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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Napoleons Aampf gegen England
im Achte der Gegenwart
I. p. Buß von

eopold von Ranke bezeichnet in seinen Denkwürdigkeiten des
Staatskanzlers Hardenberg den Kampf wider England als das
größte Weltverhältnis, in welchem sich Napoleon überhaupt
bewegte, den eigentlichen Faden, an dem sich sein genialisches
Tun und Lassen anknüpft. Denn sicher kann von jener Be¬
trachtungsweise, die in dem großen Korsen nur den machthaberischen Eroberer
erblickt, keine Brücke führen zum Verständnis des napoleonischen Genius. Die
Lebensaufgabe des Imperators war der Kampf gegen das britische Weltreich.
Und, um diesen Kampf durchfechten zu können, mußte sein ganzes Streben
darauf gerichtet sein, eine Hegemonie Frankreichs auf dem Kontinent zu erlangen,
deren Wesensgehalt einen fundamentalen Gegenpol zu der traditionellen aus¬
wärtigen Politik Englands darstellte. Denn eine französische Weltmachtpolitik
mußte mit der englischen mit organischer Notwendigkeit kollidieren, weil sie
deren rücksichtslosen Anspruch auf alleinigen Besitz der Welt und ihrer Ver¬
kehrswege in höchstem Maße einzuengen drohte. Des Korsen Ringen bedeutet
letzten Endes einen Kampf titanenhafter Größe auf Leben und Tod wider die
Macht des Schicksals, an dem seine Kraft sich unaufhörlich zermürbte und
zermürben mußte.

Schon zu Ende des Jahres l 800 hatte der erste Konsul selbst nachzuweisen
versucht, in welchen Bahnen die französische Politik auf dem Kontinent sich
bewegen und wie sie notwendig in schärfsten Gegensatz zu den Richtungen
der britischen Politik geraten müsse. Für die historische Wissenschaft liegt
bekanntlich der Kernpunkt des Problems Napoleon--England in der Frage
welche von beiden Mächten, Frankreich oder Großbritannien, den Friedens¬
vertrag von Amiens (1802) verletzt und die Wiederaufnahme des Krieges
gewollt hat, des Krieges, in den nach und nach der ganze Kontinent hinein¬
gerissen wurde und der erst mit der Verbannung Napoleons auf Se. Helena
seinen Abschluß fand. In diesen Kriegen ward der diplomatische Hauptzweck
Englands erreicht, der ihm im Kampf gegen den Korsen die ihm nottuenden
kontinentalen Verbündeten sichern sollte. Aus solchen Erwägungen heraus
konnte ein französisches Blatt jener Zeit in manchem Betracht mit vollem Recht




Napoleons Aampf gegen England
im Achte der Gegenwart
I. p. Buß von

eopold von Ranke bezeichnet in seinen Denkwürdigkeiten des
Staatskanzlers Hardenberg den Kampf wider England als das
größte Weltverhältnis, in welchem sich Napoleon überhaupt
bewegte, den eigentlichen Faden, an dem sich sein genialisches
Tun und Lassen anknüpft. Denn sicher kann von jener Be¬
trachtungsweise, die in dem großen Korsen nur den machthaberischen Eroberer
erblickt, keine Brücke führen zum Verständnis des napoleonischen Genius. Die
Lebensaufgabe des Imperators war der Kampf gegen das britische Weltreich.
Und, um diesen Kampf durchfechten zu können, mußte sein ganzes Streben
darauf gerichtet sein, eine Hegemonie Frankreichs auf dem Kontinent zu erlangen,
deren Wesensgehalt einen fundamentalen Gegenpol zu der traditionellen aus¬
wärtigen Politik Englands darstellte. Denn eine französische Weltmachtpolitik
mußte mit der englischen mit organischer Notwendigkeit kollidieren, weil sie
deren rücksichtslosen Anspruch auf alleinigen Besitz der Welt und ihrer Ver¬
kehrswege in höchstem Maße einzuengen drohte. Des Korsen Ringen bedeutet
letzten Endes einen Kampf titanenhafter Größe auf Leben und Tod wider die
Macht des Schicksals, an dem seine Kraft sich unaufhörlich zermürbte und
zermürben mußte.

Schon zu Ende des Jahres l 800 hatte der erste Konsul selbst nachzuweisen
versucht, in welchen Bahnen die französische Politik auf dem Kontinent sich
bewegen und wie sie notwendig in schärfsten Gegensatz zu den Richtungen
der britischen Politik geraten müsse. Für die historische Wissenschaft liegt
bekanntlich der Kernpunkt des Problems Napoleon—England in der Frage
welche von beiden Mächten, Frankreich oder Großbritannien, den Friedens¬
vertrag von Amiens (1802) verletzt und die Wiederaufnahme des Krieges
gewollt hat, des Krieges, in den nach und nach der ganze Kontinent hinein¬
gerissen wurde und der erst mit der Verbannung Napoleons auf Se. Helena
seinen Abschluß fand. In diesen Kriegen ward der diplomatische Hauptzweck
Englands erreicht, der ihm im Kampf gegen den Korsen die ihm nottuenden
kontinentalen Verbündeten sichern sollte. Aus solchen Erwägungen heraus
konnte ein französisches Blatt jener Zeit in manchem Betracht mit vollem Recht


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[0372] [Abbildung] Napoleons Aampf gegen England im Achte der Gegenwart I. p. Buß von eopold von Ranke bezeichnet in seinen Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Hardenberg den Kampf wider England als das größte Weltverhältnis, in welchem sich Napoleon überhaupt bewegte, den eigentlichen Faden, an dem sich sein genialisches Tun und Lassen anknüpft. Denn sicher kann von jener Be¬ trachtungsweise, die in dem großen Korsen nur den machthaberischen Eroberer erblickt, keine Brücke führen zum Verständnis des napoleonischen Genius. Die Lebensaufgabe des Imperators war der Kampf gegen das britische Weltreich. Und, um diesen Kampf durchfechten zu können, mußte sein ganzes Streben darauf gerichtet sein, eine Hegemonie Frankreichs auf dem Kontinent zu erlangen, deren Wesensgehalt einen fundamentalen Gegenpol zu der traditionellen aus¬ wärtigen Politik Englands darstellte. Denn eine französische Weltmachtpolitik mußte mit der englischen mit organischer Notwendigkeit kollidieren, weil sie deren rücksichtslosen Anspruch auf alleinigen Besitz der Welt und ihrer Ver¬ kehrswege in höchstem Maße einzuengen drohte. Des Korsen Ringen bedeutet letzten Endes einen Kampf titanenhafter Größe auf Leben und Tod wider die Macht des Schicksals, an dem seine Kraft sich unaufhörlich zermürbte und zermürben mußte. Schon zu Ende des Jahres l 800 hatte der erste Konsul selbst nachzuweisen versucht, in welchen Bahnen die französische Politik auf dem Kontinent sich bewegen und wie sie notwendig in schärfsten Gegensatz zu den Richtungen der britischen Politik geraten müsse. Für die historische Wissenschaft liegt bekanntlich der Kernpunkt des Problems Napoleon—England in der Frage welche von beiden Mächten, Frankreich oder Großbritannien, den Friedens¬ vertrag von Amiens (1802) verletzt und die Wiederaufnahme des Krieges gewollt hat, des Krieges, in den nach und nach der ganze Kontinent hinein¬ gerissen wurde und der erst mit der Verbannung Napoleons auf Se. Helena seinen Abschluß fand. In diesen Kriegen ward der diplomatische Hauptzweck Englands erreicht, der ihm im Kampf gegen den Korsen die ihm nottuenden kontinentalen Verbündeten sichern sollte. Aus solchen Erwägungen heraus konnte ein französisches Blatt jener Zeit in manchem Betracht mit vollem Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/372>, abgerufen am 03.07.2024.