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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Finanzen nach demi Kriege

Materialien aller Art selbst herzustellen. Dafür haben sie die berühmte Formel
aufgebracht, daß ihnen die Hilfskräfte der ganzen Welt zur Verfügung stünden.
Das ist richtig, mit dem Nachsatz, daß der Gebrauch der Kräfte teuer bezahlt
werden muß, so teuer, daß er in absehbarer Zeit zu einer finanziellen Erschöpfung
der Westmächte führt. Sie ziehen es vor, ihre Operationen mit den Vereinigten
Staaten hinter dichten Schleiern vorzunehmen. Allein wir wissen doch, daß
die Union seit Beginn des Krieges für rund 12 Milliarden Mark Kriegsmaterial
aller Art lieferte, daß England und Frankreich sie bezahlten, indem sie Milliarden
an Auslandswerten abführten. Die Liste der Auslandswerte, die das englische
Schatzamt als Sicherheiten in New Jork hinterlegt, umfaßt außer südamerikanischen
Werten auch schon Stadtanleihen europäischer Hauptstädte, wie Kopenhagen
und Stockholm. Das legt den Schluß nahe, daß die Bestände an Werttiteln
der nordamerikanischen Union, die England im Besitz hatte, erschöpft sind.

Das bis 1914 in den Vereinigten Staaten angelegte englische Kapital
wurde auf 12 Milliarden Mark geschätzt. Diese 12 Milliarden müssen also
wohl in der Hauptsache zurückgeflossen sein, zumal die Liste der nordameri¬
kanischen Werte fast vollständig war. Das vor dem Krieg im Auslande (ohne
Kolonien) angelegte britische Kapital betrug rund 40 Milliarden Mark. Es
wäre wichtig, festzustellen, wie hoch die Summen sind, die England bis heute
an Auslandswerten abgestoßen hat. Die Zinsen und andere Dienste der Kapital¬
anlagen im Auslande waren bislang eine der Säulen der englischen Zahlungs¬
bilanz. Wenn sie schwach sind, rüttelt das an den Fundamenten der Londoner
City, da England mit den Erträgnissen der Zahlungsbilanz nicht nur das
Passionen der Handelsbilanz deckte, sondern auch noch einen Überschuß besaß,
der in der Regel immer wieder zu Neuanlagen benutzt wurde. So wie Eng¬
land die Technik des Finanzkapitals ausgebildet hatte, brachte es ihm nicht nur
Zinsen, sondern auch Gewinne, da mit der Hergabe die Verpflichtung zur Ab¬
nahme englischer Fabrikate verbunden war. Auf diesem Wege macht England
gerade den vielumworbenen südamerikanischen Markt von sich abhängig.

Nun hat das britische Schatzamt neuerdings auf die Liste der verpfändeten
Werte vornehmlich südamerikanische Anleihen gesetzt. Es sind darunter sämtliche
seit 1839 in London abgeschlossene Anleihen Argentiniens, ebenso die Chiles
seit 1885. Mit der Verschärfung dieser Werte an die nordamerikanische Union
schreitet die Entwicklung kräftig fort, die Englands Handelssuprematie in
Lateinisch-Amerika brechen muß. Mißliebig hatte es die Londoner City schon
aufgenommen, daß die ABC-Staaten ihren Kapitalbedarf in Wallstreet und
nicht mehr in Lombardstreet deckten. Rund 350 Millionen Mark hat New York
bereits in Argentinien angelegt. Andere amerikanische Banken haben die übrigen
ABC-Staaten poussiere, wie das Bankhaus Chartier u. Co in Philadelphia,
das mit der chilenischen Negierung im Juli eine Anleihe von 120 Millionen
Mark zu 6 Prozent abschloß, die zum Bau von Eisenbahnen verwendet werden
sollen. In Argentinien sind Englands Kapitalinteressen auf 7,5, in Brasilien


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Finanzen nach demi Kriege

Materialien aller Art selbst herzustellen. Dafür haben sie die berühmte Formel
aufgebracht, daß ihnen die Hilfskräfte der ganzen Welt zur Verfügung stünden.
Das ist richtig, mit dem Nachsatz, daß der Gebrauch der Kräfte teuer bezahlt
werden muß, so teuer, daß er in absehbarer Zeit zu einer finanziellen Erschöpfung
der Westmächte führt. Sie ziehen es vor, ihre Operationen mit den Vereinigten
Staaten hinter dichten Schleiern vorzunehmen. Allein wir wissen doch, daß
die Union seit Beginn des Krieges für rund 12 Milliarden Mark Kriegsmaterial
aller Art lieferte, daß England und Frankreich sie bezahlten, indem sie Milliarden
an Auslandswerten abführten. Die Liste der Auslandswerte, die das englische
Schatzamt als Sicherheiten in New Jork hinterlegt, umfaßt außer südamerikanischen
Werten auch schon Stadtanleihen europäischer Hauptstädte, wie Kopenhagen
und Stockholm. Das legt den Schluß nahe, daß die Bestände an Werttiteln
der nordamerikanischen Union, die England im Besitz hatte, erschöpft sind.

Das bis 1914 in den Vereinigten Staaten angelegte englische Kapital
wurde auf 12 Milliarden Mark geschätzt. Diese 12 Milliarden müssen also
wohl in der Hauptsache zurückgeflossen sein, zumal die Liste der nordameri¬
kanischen Werte fast vollständig war. Das vor dem Krieg im Auslande (ohne
Kolonien) angelegte britische Kapital betrug rund 40 Milliarden Mark. Es
wäre wichtig, festzustellen, wie hoch die Summen sind, die England bis heute
an Auslandswerten abgestoßen hat. Die Zinsen und andere Dienste der Kapital¬
anlagen im Auslande waren bislang eine der Säulen der englischen Zahlungs¬
bilanz. Wenn sie schwach sind, rüttelt das an den Fundamenten der Londoner
City, da England mit den Erträgnissen der Zahlungsbilanz nicht nur das
Passionen der Handelsbilanz deckte, sondern auch noch einen Überschuß besaß,
der in der Regel immer wieder zu Neuanlagen benutzt wurde. So wie Eng¬
land die Technik des Finanzkapitals ausgebildet hatte, brachte es ihm nicht nur
Zinsen, sondern auch Gewinne, da mit der Hergabe die Verpflichtung zur Ab¬
nahme englischer Fabrikate verbunden war. Auf diesem Wege macht England
gerade den vielumworbenen südamerikanischen Markt von sich abhängig.

Nun hat das britische Schatzamt neuerdings auf die Liste der verpfändeten
Werte vornehmlich südamerikanische Anleihen gesetzt. Es sind darunter sämtliche
seit 1839 in London abgeschlossene Anleihen Argentiniens, ebenso die Chiles
seit 1885. Mit der Verschärfung dieser Werte an die nordamerikanische Union
schreitet die Entwicklung kräftig fort, die Englands Handelssuprematie in
Lateinisch-Amerika brechen muß. Mißliebig hatte es die Londoner City schon
aufgenommen, daß die ABC-Staaten ihren Kapitalbedarf in Wallstreet und
nicht mehr in Lombardstreet deckten. Rund 350 Millionen Mark hat New York
bereits in Argentinien angelegt. Andere amerikanische Banken haben die übrigen
ABC-Staaten poussiere, wie das Bankhaus Chartier u. Co in Philadelphia,
das mit der chilenischen Negierung im Juli eine Anleihe von 120 Millionen
Mark zu 6 Prozent abschloß, die zum Bau von Eisenbahnen verwendet werden
sollen. In Argentinien sind Englands Kapitalinteressen auf 7,5, in Brasilien


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[0367] Finanzen nach demi Kriege Materialien aller Art selbst herzustellen. Dafür haben sie die berühmte Formel aufgebracht, daß ihnen die Hilfskräfte der ganzen Welt zur Verfügung stünden. Das ist richtig, mit dem Nachsatz, daß der Gebrauch der Kräfte teuer bezahlt werden muß, so teuer, daß er in absehbarer Zeit zu einer finanziellen Erschöpfung der Westmächte führt. Sie ziehen es vor, ihre Operationen mit den Vereinigten Staaten hinter dichten Schleiern vorzunehmen. Allein wir wissen doch, daß die Union seit Beginn des Krieges für rund 12 Milliarden Mark Kriegsmaterial aller Art lieferte, daß England und Frankreich sie bezahlten, indem sie Milliarden an Auslandswerten abführten. Die Liste der Auslandswerte, die das englische Schatzamt als Sicherheiten in New Jork hinterlegt, umfaßt außer südamerikanischen Werten auch schon Stadtanleihen europäischer Hauptstädte, wie Kopenhagen und Stockholm. Das legt den Schluß nahe, daß die Bestände an Werttiteln der nordamerikanischen Union, die England im Besitz hatte, erschöpft sind. Das bis 1914 in den Vereinigten Staaten angelegte englische Kapital wurde auf 12 Milliarden Mark geschätzt. Diese 12 Milliarden müssen also wohl in der Hauptsache zurückgeflossen sein, zumal die Liste der nordameri¬ kanischen Werte fast vollständig war. Das vor dem Krieg im Auslande (ohne Kolonien) angelegte britische Kapital betrug rund 40 Milliarden Mark. Es wäre wichtig, festzustellen, wie hoch die Summen sind, die England bis heute an Auslandswerten abgestoßen hat. Die Zinsen und andere Dienste der Kapital¬ anlagen im Auslande waren bislang eine der Säulen der englischen Zahlungs¬ bilanz. Wenn sie schwach sind, rüttelt das an den Fundamenten der Londoner City, da England mit den Erträgnissen der Zahlungsbilanz nicht nur das Passionen der Handelsbilanz deckte, sondern auch noch einen Überschuß besaß, der in der Regel immer wieder zu Neuanlagen benutzt wurde. So wie Eng¬ land die Technik des Finanzkapitals ausgebildet hatte, brachte es ihm nicht nur Zinsen, sondern auch Gewinne, da mit der Hergabe die Verpflichtung zur Ab¬ nahme englischer Fabrikate verbunden war. Auf diesem Wege macht England gerade den vielumworbenen südamerikanischen Markt von sich abhängig. Nun hat das britische Schatzamt neuerdings auf die Liste der verpfändeten Werte vornehmlich südamerikanische Anleihen gesetzt. Es sind darunter sämtliche seit 1839 in London abgeschlossene Anleihen Argentiniens, ebenso die Chiles seit 1885. Mit der Verschärfung dieser Werte an die nordamerikanische Union schreitet die Entwicklung kräftig fort, die Englands Handelssuprematie in Lateinisch-Amerika brechen muß. Mißliebig hatte es die Londoner City schon aufgenommen, daß die ABC-Staaten ihren Kapitalbedarf in Wallstreet und nicht mehr in Lombardstreet deckten. Rund 350 Millionen Mark hat New York bereits in Argentinien angelegt. Andere amerikanische Banken haben die übrigen ABC-Staaten poussiere, wie das Bankhaus Chartier u. Co in Philadelphia, das mit der chilenischen Negierung im Juli eine Anleihe von 120 Millionen Mark zu 6 Prozent abschloß, die zum Bau von Eisenbahnen verwendet werden sollen. In Argentinien sind Englands Kapitalinteressen auf 7,5, in Brasilien 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/367>, abgerufen am 23.07.2024.