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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das deutsche Soldatenlied im Felde

nach den Ermittlungen Max Friedländers auf ein 1864 verfaßtes Gedicht von
Georg Hesekiel ("Preußens Gloria") zurückführen und die Phrasen von den
Vöglein im Walde und vom Wiedersehen in der Heimat stammen gewiß aus
irgend welchem andern Volksliede oder volksmäßigen Kunstliebe, das sich schou
noch wird aufspüren lassen. Die Vertonung dieser Zeilen aber klingt unver¬
kennbar an Knakes schönes Lied an: "Wo findet die Seele die Heimat, die
Ruh?", das wieder mit dem alten Weihnachtsliede: "Ihr Kinderlein kommet"
(weiterhin auch mit der englischen, ursprünglich aber sizilianischen Melodie:
"l-lomo, sweet Kome") zusammenhängt! Und die Auflösung in den Takten:
"Die sangen so wunder-wunderschön" scheint wieder auf ganz andern Ursprung
hinzuweisen, denn sie erinnert bedenklich an das studentische: "Bei uns gehts
immer haste nicht gesehn". Aber weiter im Text! Der Gedanke des "Wieder¬
sehens" will weiter ausgeführt werden und so kommt aus einem andern Liede
der berlinische Refrain hinzu: "Wer weiß, ob wir uns wiedersehn, am grünen
Strand der Spree", nach einer Lieblingsmelodie des Soldaten: "Ich schieß
den Hirsch im wilden Forst". Und beim Wiedersehen denkt der Soldat an
den Abschied von Hause und sofort stellt sich ein anderer sentimentaler Strophen¬
teil ein, dessen Vorgeschichte man bei Meier nachlesen möge:

Ach Mädel weine nicht, sei nicht so traurig,
Mach deinem Kriegersmann das Herz nicht schwer,
Denn dieser Feldzug ist bald vorüber,
Wisch dir die Tränen ab und wein' nicht mehr.

Aber schon ist es der Traumseligkeit zuviel. Die Stimmung des Soldaten
überschlägt sich und das Ganze endet mit einer tollen Kapriole:

... wenn es nicht noch gröber kommt! Für den, der das Volk kennt, be¬
deuten diese Gesänge keine Entartung, sie entsprechen nur der besonderen Lage,
in die das Volkslied unter militärischen und zumal unter kriegerischen Verhält¬
nissen gerät. Alles, was wir sonst über Ungleichungen, über das Zersingen
und Verschmelzen, über das Umdichten und Variieren, über Aufbau und Ver¬
fall von Volksliedern hören, nimmt hier oft geradezu groteske Form an und
doch verrät es allenthalben den Pulsschlag des Volkes, dessen bester und ge¬
sundester Teil ja gerade draußen in den Schützengräben und auf den stolzen
Schiffen unserer Flotte steht. Nur keine Sorge, daß über der scheinbaren
"Entartung" im Kriege das Volkslied "eingehen" könnte: unsere Krieger
werden mit derselben, ja vielleicht mit noch größerer Liebe wie früher zum
echten Volkslied zurückkehren, wenn ihr kühnes Ringen den verdienten Erfolg
gefunden haben wird.


Das deutsche Soldatenlied im Felde

nach den Ermittlungen Max Friedländers auf ein 1864 verfaßtes Gedicht von
Georg Hesekiel („Preußens Gloria") zurückführen und die Phrasen von den
Vöglein im Walde und vom Wiedersehen in der Heimat stammen gewiß aus
irgend welchem andern Volksliede oder volksmäßigen Kunstliebe, das sich schou
noch wird aufspüren lassen. Die Vertonung dieser Zeilen aber klingt unver¬
kennbar an Knakes schönes Lied an: „Wo findet die Seele die Heimat, die
Ruh?", das wieder mit dem alten Weihnachtsliede: „Ihr Kinderlein kommet"
(weiterhin auch mit der englischen, ursprünglich aber sizilianischen Melodie:
„l-lomo, sweet Kome") zusammenhängt! Und die Auflösung in den Takten:
„Die sangen so wunder-wunderschön" scheint wieder auf ganz andern Ursprung
hinzuweisen, denn sie erinnert bedenklich an das studentische: „Bei uns gehts
immer haste nicht gesehn". Aber weiter im Text! Der Gedanke des „Wieder¬
sehens" will weiter ausgeführt werden und so kommt aus einem andern Liede
der berlinische Refrain hinzu: „Wer weiß, ob wir uns wiedersehn, am grünen
Strand der Spree", nach einer Lieblingsmelodie des Soldaten: „Ich schieß
den Hirsch im wilden Forst". Und beim Wiedersehen denkt der Soldat an
den Abschied von Hause und sofort stellt sich ein anderer sentimentaler Strophen¬
teil ein, dessen Vorgeschichte man bei Meier nachlesen möge:

Ach Mädel weine nicht, sei nicht so traurig,
Mach deinem Kriegersmann das Herz nicht schwer,
Denn dieser Feldzug ist bald vorüber,
Wisch dir die Tränen ab und wein' nicht mehr.

Aber schon ist es der Traumseligkeit zuviel. Die Stimmung des Soldaten
überschlägt sich und das Ganze endet mit einer tollen Kapriole:

... wenn es nicht noch gröber kommt! Für den, der das Volk kennt, be¬
deuten diese Gesänge keine Entartung, sie entsprechen nur der besonderen Lage,
in die das Volkslied unter militärischen und zumal unter kriegerischen Verhält¬
nissen gerät. Alles, was wir sonst über Ungleichungen, über das Zersingen
und Verschmelzen, über das Umdichten und Variieren, über Aufbau und Ver¬
fall von Volksliedern hören, nimmt hier oft geradezu groteske Form an und
doch verrät es allenthalben den Pulsschlag des Volkes, dessen bester und ge¬
sundester Teil ja gerade draußen in den Schützengräben und auf den stolzen
Schiffen unserer Flotte steht. Nur keine Sorge, daß über der scheinbaren
„Entartung" im Kriege das Volkslied „eingehen" könnte: unsere Krieger
werden mit derselben, ja vielleicht mit noch größerer Liebe wie früher zum
echten Volkslied zurückkehren, wenn ihr kühnes Ringen den verdienten Erfolg
gefunden haben wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/363>, abgerufen am 23.07.2024.