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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das deutsche Soldatenlied im Felde

So beginnt ein frischer Sang, den der Generalleutnant Freiherr von
Henning auf Schönhof nach einem alten Husarenliede gedichtet hat. das der
Regimentskoch zu pfeifen pflegte.

Weitaus die meisten Lieder sind älteren Herkommens, werden aber zum
Teil mit zeitgemäßen Abänderungen gesungen oder gar sehr frei erweitert
und mit einander verbunden. Die Art nun, wie die Soldaten unbewußt aus
der großen Masse des ihnen Überlieferten einzelnes auswählen und festhalten,
eröffnen dem Kenner tiefe Einblicke in die Seele unserer Feldgrauen. Man
würde sehr irren, wollte man glauben, daß unsere Soldaten viel von dem
Hurrakitsch sich aneigneten, der in den ersten Kriegsmonaten durch die Spalten
unserer Zeitungen ging; noch weniger aber pflegt der gemeine Mann das
getragene, vaterländische Lied im engeren Sinn des Wortes. Im Anfange
freilich, als Jünglinge der gebildeten Stände in Massen als Kriegsfreiwillige
zu den Fahnen eilten, da drang der Liedervorrat der Wandervögel, der Turn¬
vereine und der akademischen Verbindungen in die weitesten Kreise des Heeres
und niemals wird in Deutschland der ergreifende Tagesbericht an Schillers
Geburtstag 1914 vergessen werden, als ganze Regimenter, meist rheinische
Studenten, unter dem Gesänge "Deutschland, Deutschland über alles" die
feindliche Stellung bei Langemark erstürmten. Mit dem Zusammenschmelzen
dieser Art Rekruten und mit ihrer Abwanderung in die Offiziersaspirantenkurse
sind aber diese Töne allmählich verstummt, und der Gesang der Soldaten
spiegelt nun um so reiner jene Stimmung, mit der die große Masse unseres
Volkes in den Kampf zieht.

Hier und "vor allem bei den aus der Landbevölkerung stammenden Soldaten
haben wir nicht jenen Rausch der Begeisterung, wohl aber ruhige, stumme,
unwiderstehliche Entschlossenheit, die auf die Dauer mehr wert ist", wie
John Meier mit gesundem Verständnis sagt. Auch der Gesang dieser Kreise
will eben als Ganzes gewürdigt werden, zumal die einzelnen Lieder an Wert
hinter denen früherer Jahrhunderte zurückstehen. Alles, was mit dem wirklichen
Kampfe, ja mit dem Dienst überhaupt zusammenhängt, erscheint dem Soldaten
so handgreiflich nahe und so selbstverständlich, daß es zu keinem dichterisch-
musikalischen Ausdruck gelangt. Allenfalls werden nach glücklich überstandener
Gefahr, beim Abzüge aus schwieriger Stellung und in der Freude des Sieges
ganz vereinzelt vaterländische und geistliche Lieder, dann aber die eigentlichen
Soldatengesänge angestimmt, die den Stolz des Kanoniers auf seinen Truppenteil,
des Baiern auf seinen Kontingent zum Ausdruck bringen. Aber selbst diese
Lieder sind doch nur dann lebendig, wenn sie jene Töne anschlagen, die nun
einmal unserm Soldaten am nächsten liegen, sobald es ihm überhaupt ums
Singen zu tun ist. Man mag da über kitschige Sentimentalität und über eine
gewisse Gedankenlosigkeit oder gar Verrohung schmälen, wenn man will: was
aus der Tiefe des Soldatenherzens empordringt und ihn zum Singen zwingt,
ist immer wieder der Gedanke an die Heimat, an den Abschied und an das


Das deutsche Soldatenlied im Felde

So beginnt ein frischer Sang, den der Generalleutnant Freiherr von
Henning auf Schönhof nach einem alten Husarenliede gedichtet hat. das der
Regimentskoch zu pfeifen pflegte.

Weitaus die meisten Lieder sind älteren Herkommens, werden aber zum
Teil mit zeitgemäßen Abänderungen gesungen oder gar sehr frei erweitert
und mit einander verbunden. Die Art nun, wie die Soldaten unbewußt aus
der großen Masse des ihnen Überlieferten einzelnes auswählen und festhalten,
eröffnen dem Kenner tiefe Einblicke in die Seele unserer Feldgrauen. Man
würde sehr irren, wollte man glauben, daß unsere Soldaten viel von dem
Hurrakitsch sich aneigneten, der in den ersten Kriegsmonaten durch die Spalten
unserer Zeitungen ging; noch weniger aber pflegt der gemeine Mann das
getragene, vaterländische Lied im engeren Sinn des Wortes. Im Anfange
freilich, als Jünglinge der gebildeten Stände in Massen als Kriegsfreiwillige
zu den Fahnen eilten, da drang der Liedervorrat der Wandervögel, der Turn¬
vereine und der akademischen Verbindungen in die weitesten Kreise des Heeres
und niemals wird in Deutschland der ergreifende Tagesbericht an Schillers
Geburtstag 1914 vergessen werden, als ganze Regimenter, meist rheinische
Studenten, unter dem Gesänge „Deutschland, Deutschland über alles" die
feindliche Stellung bei Langemark erstürmten. Mit dem Zusammenschmelzen
dieser Art Rekruten und mit ihrer Abwanderung in die Offiziersaspirantenkurse
sind aber diese Töne allmählich verstummt, und der Gesang der Soldaten
spiegelt nun um so reiner jene Stimmung, mit der die große Masse unseres
Volkes in den Kampf zieht.

Hier und „vor allem bei den aus der Landbevölkerung stammenden Soldaten
haben wir nicht jenen Rausch der Begeisterung, wohl aber ruhige, stumme,
unwiderstehliche Entschlossenheit, die auf die Dauer mehr wert ist", wie
John Meier mit gesundem Verständnis sagt. Auch der Gesang dieser Kreise
will eben als Ganzes gewürdigt werden, zumal die einzelnen Lieder an Wert
hinter denen früherer Jahrhunderte zurückstehen. Alles, was mit dem wirklichen
Kampfe, ja mit dem Dienst überhaupt zusammenhängt, erscheint dem Soldaten
so handgreiflich nahe und so selbstverständlich, daß es zu keinem dichterisch-
musikalischen Ausdruck gelangt. Allenfalls werden nach glücklich überstandener
Gefahr, beim Abzüge aus schwieriger Stellung und in der Freude des Sieges
ganz vereinzelt vaterländische und geistliche Lieder, dann aber die eigentlichen
Soldatengesänge angestimmt, die den Stolz des Kanoniers auf seinen Truppenteil,
des Baiern auf seinen Kontingent zum Ausdruck bringen. Aber selbst diese
Lieder sind doch nur dann lebendig, wenn sie jene Töne anschlagen, die nun
einmal unserm Soldaten am nächsten liegen, sobald es ihm überhaupt ums
Singen zu tun ist. Man mag da über kitschige Sentimentalität und über eine
gewisse Gedankenlosigkeit oder gar Verrohung schmälen, wenn man will: was
aus der Tiefe des Soldatenherzens empordringt und ihn zum Singen zwingt,
ist immer wieder der Gedanke an die Heimat, an den Abschied und an das


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[0361] Das deutsche Soldatenlied im Felde So beginnt ein frischer Sang, den der Generalleutnant Freiherr von Henning auf Schönhof nach einem alten Husarenliede gedichtet hat. das der Regimentskoch zu pfeifen pflegte. Weitaus die meisten Lieder sind älteren Herkommens, werden aber zum Teil mit zeitgemäßen Abänderungen gesungen oder gar sehr frei erweitert und mit einander verbunden. Die Art nun, wie die Soldaten unbewußt aus der großen Masse des ihnen Überlieferten einzelnes auswählen und festhalten, eröffnen dem Kenner tiefe Einblicke in die Seele unserer Feldgrauen. Man würde sehr irren, wollte man glauben, daß unsere Soldaten viel von dem Hurrakitsch sich aneigneten, der in den ersten Kriegsmonaten durch die Spalten unserer Zeitungen ging; noch weniger aber pflegt der gemeine Mann das getragene, vaterländische Lied im engeren Sinn des Wortes. Im Anfange freilich, als Jünglinge der gebildeten Stände in Massen als Kriegsfreiwillige zu den Fahnen eilten, da drang der Liedervorrat der Wandervögel, der Turn¬ vereine und der akademischen Verbindungen in die weitesten Kreise des Heeres und niemals wird in Deutschland der ergreifende Tagesbericht an Schillers Geburtstag 1914 vergessen werden, als ganze Regimenter, meist rheinische Studenten, unter dem Gesänge „Deutschland, Deutschland über alles" die feindliche Stellung bei Langemark erstürmten. Mit dem Zusammenschmelzen dieser Art Rekruten und mit ihrer Abwanderung in die Offiziersaspirantenkurse sind aber diese Töne allmählich verstummt, und der Gesang der Soldaten spiegelt nun um so reiner jene Stimmung, mit der die große Masse unseres Volkes in den Kampf zieht. Hier und „vor allem bei den aus der Landbevölkerung stammenden Soldaten haben wir nicht jenen Rausch der Begeisterung, wohl aber ruhige, stumme, unwiderstehliche Entschlossenheit, die auf die Dauer mehr wert ist", wie John Meier mit gesundem Verständnis sagt. Auch der Gesang dieser Kreise will eben als Ganzes gewürdigt werden, zumal die einzelnen Lieder an Wert hinter denen früherer Jahrhunderte zurückstehen. Alles, was mit dem wirklichen Kampfe, ja mit dem Dienst überhaupt zusammenhängt, erscheint dem Soldaten so handgreiflich nahe und so selbstverständlich, daß es zu keinem dichterisch- musikalischen Ausdruck gelangt. Allenfalls werden nach glücklich überstandener Gefahr, beim Abzüge aus schwieriger Stellung und in der Freude des Sieges ganz vereinzelt vaterländische und geistliche Lieder, dann aber die eigentlichen Soldatengesänge angestimmt, die den Stolz des Kanoniers auf seinen Truppenteil, des Baiern auf seinen Kontingent zum Ausdruck bringen. Aber selbst diese Lieder sind doch nur dann lebendig, wenn sie jene Töne anschlagen, die nun einmal unserm Soldaten am nächsten liegen, sobald es ihm überhaupt ums Singen zu tun ist. Man mag da über kitschige Sentimentalität und über eine gewisse Gedankenlosigkeit oder gar Verrohung schmälen, wenn man will: was aus der Tiefe des Soldatenherzens empordringt und ihn zum Singen zwingt, ist immer wieder der Gedanke an die Heimat, an den Abschied und an das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/361>, abgerufen am 23.07.2024.