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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Unterricht auf den Universitäten

Glaube verschließt sich allzu gewaltsam vor der Tatsache, daß die überwiegende
Mehrzahl der Hörer an den philosophischen Fakultäten sich aus künftigen
Lehrern zusammensetzt. Diese Rücksicht vernachlässigen heißt nichts anderes
als auf einen Einfluß verzichten, durch den am wirkungsvollsten die Ani--
versitäten sich Geltung im geistigen Leben unseres Volkes verschaffen können.
Daß sie in dieser Hinsicht vielfach Versäumnisse begangen haben, ist wohl
kaum zu leugnen. Sie erziehen allzusehr zu Gelehrten und zwingen die
Studierenden dazu, sich Jahre lang einzig und allein mit Aufgaben zu be¬
schäftigen, die in ihrem späteren Wirken kaum wieder sich geltend machen. Die
Wahrheit des Goethewortes: "Was man nicht nützt, ist eine schwere Last"
wird sicherlich allzu oft von diesen empfunden. Daß der Student auf der
Universität in das Wesen wissenschaftlicher Arbeit eingeführt werde und daß
er selbständig wissenschaftlich denken lerne, ist eine Forderung, die keiner Er¬
örterung unterliegt. Man darf aber wohl fragen, ob dies Ziel durch eine so
große Extensität des Arbeitens erreicht werden muß. Es scheint oft so, als ob
die Gelehrten an den Universitäten die für sie selbst notwendigen Voraus¬
setzungen ihrer eigenen Forschungsarbeit auch von jedem ihrer Hörer erfüllt
sehen möchten, obgleich diese doch nicht ein Leben, sondern nur ewige Jahre
einer rein wissenschaftlichen Arbeit widmen können. So ist ein Mißverhältnis
entstanden zwischen der ihrem Wesen nach immer ins Unendliche gehenden
wissenschaftlichen Bemühung und den auf praktische, aber darum doch nicht
minder bedeutungsvolle Ziele gerichteten Ausgaben der künftigen Lehrer.
Der Ruf nach einer besseren pädagogischen Vorbildung der letzteren, wie er
heute so vielfach zu vernehmen ist, entspringt schließlich aus dieser Quelle.
Diese Bewegung sollten die Universtäten nicht unbeachtet lassen.

Hierüber wäre noch manches zu sagen, doch heute möchte ich das all¬
gemeine Interesse auf eine besondere Frage richten, die vornehmlich mit der
Forderung einer nationalen Bildung sich beschäftigt. Was leisten unsere
Universitäten für die Ausbildung des Lehrers für den Unterricht im Deutschen
an den Schulen? Ich glaube diese Frage mit einem: "Nicht genug" be¬
antworten zu müssen.

Die deutsche Philologie ist eine Schülerin der klassischen Philologie. Ihre
Arbeitsweise und Methoden hat sie übernommen und sie findet in der historischen
Grammatik der deutschen Sprache und der Überlieferung unserer ältesten
und älteren Literatur Aufgaben vor, die den von ihrer Lehrerin zu lösenden
gleichartig oder mindestens verwandt sind. So hat sie einen Begriff von
Wissenschaftlichkeit übernommen und auf ihrem Gebiete weiter ausgebildet, der
innerhalb der bezeichneten Grenzen sich fruchtbar erwiesen hat, in seiner Über¬
tragung auf die neuere deutsche Literatur aber wohl kaum zu ähnlichen Re¬
sultaten führen konnte. Schließlich nutz jede wissenschaftliche Methode im
Zusammenhang mit der Eigenart des von ihr zu behandelnden Stoffes gefunden
werden. Eine einfache Übertragung von dem einen Gebiet auf das andere hat


Der deutsche Unterricht auf den Universitäten

Glaube verschließt sich allzu gewaltsam vor der Tatsache, daß die überwiegende
Mehrzahl der Hörer an den philosophischen Fakultäten sich aus künftigen
Lehrern zusammensetzt. Diese Rücksicht vernachlässigen heißt nichts anderes
als auf einen Einfluß verzichten, durch den am wirkungsvollsten die Ani--
versitäten sich Geltung im geistigen Leben unseres Volkes verschaffen können.
Daß sie in dieser Hinsicht vielfach Versäumnisse begangen haben, ist wohl
kaum zu leugnen. Sie erziehen allzusehr zu Gelehrten und zwingen die
Studierenden dazu, sich Jahre lang einzig und allein mit Aufgaben zu be¬
schäftigen, die in ihrem späteren Wirken kaum wieder sich geltend machen. Die
Wahrheit des Goethewortes: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last"
wird sicherlich allzu oft von diesen empfunden. Daß der Student auf der
Universität in das Wesen wissenschaftlicher Arbeit eingeführt werde und daß
er selbständig wissenschaftlich denken lerne, ist eine Forderung, die keiner Er¬
örterung unterliegt. Man darf aber wohl fragen, ob dies Ziel durch eine so
große Extensität des Arbeitens erreicht werden muß. Es scheint oft so, als ob
die Gelehrten an den Universitäten die für sie selbst notwendigen Voraus¬
setzungen ihrer eigenen Forschungsarbeit auch von jedem ihrer Hörer erfüllt
sehen möchten, obgleich diese doch nicht ein Leben, sondern nur ewige Jahre
einer rein wissenschaftlichen Arbeit widmen können. So ist ein Mißverhältnis
entstanden zwischen der ihrem Wesen nach immer ins Unendliche gehenden
wissenschaftlichen Bemühung und den auf praktische, aber darum doch nicht
minder bedeutungsvolle Ziele gerichteten Ausgaben der künftigen Lehrer.
Der Ruf nach einer besseren pädagogischen Vorbildung der letzteren, wie er
heute so vielfach zu vernehmen ist, entspringt schließlich aus dieser Quelle.
Diese Bewegung sollten die Universtäten nicht unbeachtet lassen.

Hierüber wäre noch manches zu sagen, doch heute möchte ich das all¬
gemeine Interesse auf eine besondere Frage richten, die vornehmlich mit der
Forderung einer nationalen Bildung sich beschäftigt. Was leisten unsere
Universitäten für die Ausbildung des Lehrers für den Unterricht im Deutschen
an den Schulen? Ich glaube diese Frage mit einem: „Nicht genug" be¬
antworten zu müssen.

Die deutsche Philologie ist eine Schülerin der klassischen Philologie. Ihre
Arbeitsweise und Methoden hat sie übernommen und sie findet in der historischen
Grammatik der deutschen Sprache und der Überlieferung unserer ältesten
und älteren Literatur Aufgaben vor, die den von ihrer Lehrerin zu lösenden
gleichartig oder mindestens verwandt sind. So hat sie einen Begriff von
Wissenschaftlichkeit übernommen und auf ihrem Gebiete weiter ausgebildet, der
innerhalb der bezeichneten Grenzen sich fruchtbar erwiesen hat, in seiner Über¬
tragung auf die neuere deutsche Literatur aber wohl kaum zu ähnlichen Re¬
sultaten führen konnte. Schließlich nutz jede wissenschaftliche Methode im
Zusammenhang mit der Eigenart des von ihr zu behandelnden Stoffes gefunden
werden. Eine einfache Übertragung von dem einen Gebiet auf das andere hat


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[0036] Der deutsche Unterricht auf den Universitäten Glaube verschließt sich allzu gewaltsam vor der Tatsache, daß die überwiegende Mehrzahl der Hörer an den philosophischen Fakultäten sich aus künftigen Lehrern zusammensetzt. Diese Rücksicht vernachlässigen heißt nichts anderes als auf einen Einfluß verzichten, durch den am wirkungsvollsten die Ani-- versitäten sich Geltung im geistigen Leben unseres Volkes verschaffen können. Daß sie in dieser Hinsicht vielfach Versäumnisse begangen haben, ist wohl kaum zu leugnen. Sie erziehen allzusehr zu Gelehrten und zwingen die Studierenden dazu, sich Jahre lang einzig und allein mit Aufgaben zu be¬ schäftigen, die in ihrem späteren Wirken kaum wieder sich geltend machen. Die Wahrheit des Goethewortes: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last" wird sicherlich allzu oft von diesen empfunden. Daß der Student auf der Universität in das Wesen wissenschaftlicher Arbeit eingeführt werde und daß er selbständig wissenschaftlich denken lerne, ist eine Forderung, die keiner Er¬ örterung unterliegt. Man darf aber wohl fragen, ob dies Ziel durch eine so große Extensität des Arbeitens erreicht werden muß. Es scheint oft so, als ob die Gelehrten an den Universitäten die für sie selbst notwendigen Voraus¬ setzungen ihrer eigenen Forschungsarbeit auch von jedem ihrer Hörer erfüllt sehen möchten, obgleich diese doch nicht ein Leben, sondern nur ewige Jahre einer rein wissenschaftlichen Arbeit widmen können. So ist ein Mißverhältnis entstanden zwischen der ihrem Wesen nach immer ins Unendliche gehenden wissenschaftlichen Bemühung und den auf praktische, aber darum doch nicht minder bedeutungsvolle Ziele gerichteten Ausgaben der künftigen Lehrer. Der Ruf nach einer besseren pädagogischen Vorbildung der letzteren, wie er heute so vielfach zu vernehmen ist, entspringt schließlich aus dieser Quelle. Diese Bewegung sollten die Universtäten nicht unbeachtet lassen. Hierüber wäre noch manches zu sagen, doch heute möchte ich das all¬ gemeine Interesse auf eine besondere Frage richten, die vornehmlich mit der Forderung einer nationalen Bildung sich beschäftigt. Was leisten unsere Universitäten für die Ausbildung des Lehrers für den Unterricht im Deutschen an den Schulen? Ich glaube diese Frage mit einem: „Nicht genug" be¬ antworten zu müssen. Die deutsche Philologie ist eine Schülerin der klassischen Philologie. Ihre Arbeitsweise und Methoden hat sie übernommen und sie findet in der historischen Grammatik der deutschen Sprache und der Überlieferung unserer ältesten und älteren Literatur Aufgaben vor, die den von ihrer Lehrerin zu lösenden gleichartig oder mindestens verwandt sind. So hat sie einen Begriff von Wissenschaftlichkeit übernommen und auf ihrem Gebiete weiter ausgebildet, der innerhalb der bezeichneten Grenzen sich fruchtbar erwiesen hat, in seiner Über¬ tragung auf die neuere deutsche Literatur aber wohl kaum zu ähnlichen Re¬ sultaten führen konnte. Schließlich nutz jede wissenschaftliche Methode im Zusammenhang mit der Eigenart des von ihr zu behandelnden Stoffes gefunden werden. Eine einfache Übertragung von dem einen Gebiet auf das andere hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/36>, abgerufen am 25.08.2024.