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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Ans der Politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

Luthertums, das sich auf den Luther des Marburger Religionsgesprächs berufen
kann, der zu dem religiösen Individualisten Zwingli sagte: "Ihr habt einen
anderen Geist als wir!" So ist der Lutheraner Böhmer mehr noch als alle
Konvertiten ein Zeuge dafür, daß die Bedeutung der neukatholischen Geistes¬
bewegung hinausreicht über die Grenzen der speziellen römisch-katholischen Kon¬
fession.

Damit kehrt unser Aufsatz zu seinem leitenden Gedanken zurück. Gelingt es
durch Erkenntnis katholischer politisch-kultureller Lebensvorgänge in protestantischen
Kreisen die Überzeugung ' zu befestigen, daß katholische Weltanschauung eine
gleichwertige und diskutierbare Sache sei, dann haben wir Aussicht, auf dem
Wege zu nicht nur politischer sondern geistiger Parität ein Stück voranzukommen
und der inneren Einheit des deutschen Volkes neue Wege zu ebnen. neidlose
gegenseitige Förderung der Konfessionen im Dienste des Vaterlandes, überall wo
es nicht auf Kosten der einen geht, ist eine Notwendigkeit unserer zukünftigen
Politik. So z. B. könnte man aus dem Buche von Schwahn über die
Beziehungen der katholischen Rheinlande zu Belgien die Anregung schöpfen,
neugeartete Beziehungen dieser ursprünglich verwandten Stämme nach dem
Weltkrieg anzubahnen. Im Bunde mit der katholischen Kirche können wir an:
ehesten hoffen, das heute verwelschte Belgien wieder zum Bewußsein seiner
germanischen Vergangenheit und zu einer inneren Annäherung an Deutschland
zu bringen. Man darf sich durch die deutschfeindliche Haltung des jetzigen
Erzbischofs von Mecheln nicht irre machen lassen. Seit den Tagen des Dichters
Hendrik Conscience ist doch das katholische Flandern die Stütze des germanischen
Bewußtseins in Belgien, und wenn wir die Kirche gewinnen, werden wir tiefer
in die Volksseele eindringen als nur durch den Einfluß der vlämischen Universität
in Gent und der Handelsinteressen von Antwerpen. Und so gibt es noch mehr
Stellen auf der Erde, wo nach dem Kriege das Interesse der katholischen Kirche
mit dem des Reiches Hand in Hand gehen wird. Unsere kulturellen Orientinteressen
lassen eine Annäherung der griechischen und orientalischen Christen an das
abendländische Geistesleben wünschenswert erscheinen, die nur mit Hilfe der
katholischen Kirche Aussicht auf guten Erfolg hat. Derartige Förderung der
römischen Kirche muß auch dem protestantischen Publikum am Herzen liegen. Sie
ist aber nur möglich, wenn man ihr nationale Leistungsfähigkeit zutraut, und
ich meine, daß man dieses Zutrauen durch Studium des Geisteslebens und der
Geschichte der deutschen Katholiken befestigen kann. Darum möchte dieser
Aufsatz ernsthafte und wenn möglich liebevolle Beschäftigung mit dem Wesen
unserer katholischen deutschen Volksgenossen dringend empfehlen.




Grenzkoten III 191622
Ans der Politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

Luthertums, das sich auf den Luther des Marburger Religionsgesprächs berufen
kann, der zu dem religiösen Individualisten Zwingli sagte: „Ihr habt einen
anderen Geist als wir!" So ist der Lutheraner Böhmer mehr noch als alle
Konvertiten ein Zeuge dafür, daß die Bedeutung der neukatholischen Geistes¬
bewegung hinausreicht über die Grenzen der speziellen römisch-katholischen Kon¬
fession.

Damit kehrt unser Aufsatz zu seinem leitenden Gedanken zurück. Gelingt es
durch Erkenntnis katholischer politisch-kultureller Lebensvorgänge in protestantischen
Kreisen die Überzeugung ' zu befestigen, daß katholische Weltanschauung eine
gleichwertige und diskutierbare Sache sei, dann haben wir Aussicht, auf dem
Wege zu nicht nur politischer sondern geistiger Parität ein Stück voranzukommen
und der inneren Einheit des deutschen Volkes neue Wege zu ebnen. neidlose
gegenseitige Förderung der Konfessionen im Dienste des Vaterlandes, überall wo
es nicht auf Kosten der einen geht, ist eine Notwendigkeit unserer zukünftigen
Politik. So z. B. könnte man aus dem Buche von Schwahn über die
Beziehungen der katholischen Rheinlande zu Belgien die Anregung schöpfen,
neugeartete Beziehungen dieser ursprünglich verwandten Stämme nach dem
Weltkrieg anzubahnen. Im Bunde mit der katholischen Kirche können wir an:
ehesten hoffen, das heute verwelschte Belgien wieder zum Bewußsein seiner
germanischen Vergangenheit und zu einer inneren Annäherung an Deutschland
zu bringen. Man darf sich durch die deutschfeindliche Haltung des jetzigen
Erzbischofs von Mecheln nicht irre machen lassen. Seit den Tagen des Dichters
Hendrik Conscience ist doch das katholische Flandern die Stütze des germanischen
Bewußtseins in Belgien, und wenn wir die Kirche gewinnen, werden wir tiefer
in die Volksseele eindringen als nur durch den Einfluß der vlämischen Universität
in Gent und der Handelsinteressen von Antwerpen. Und so gibt es noch mehr
Stellen auf der Erde, wo nach dem Kriege das Interesse der katholischen Kirche
mit dem des Reiches Hand in Hand gehen wird. Unsere kulturellen Orientinteressen
lassen eine Annäherung der griechischen und orientalischen Christen an das
abendländische Geistesleben wünschenswert erscheinen, die nur mit Hilfe der
katholischen Kirche Aussicht auf guten Erfolg hat. Derartige Förderung der
römischen Kirche muß auch dem protestantischen Publikum am Herzen liegen. Sie
ist aber nur möglich, wenn man ihr nationale Leistungsfähigkeit zutraut, und
ich meine, daß man dieses Zutrauen durch Studium des Geisteslebens und der
Geschichte der deutschen Katholiken befestigen kann. Darum möchte dieser
Aufsatz ernsthafte und wenn möglich liebevolle Beschäftigung mit dem Wesen
unserer katholischen deutschen Volksgenossen dringend empfehlen.




Grenzkoten III 191622
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[0349] Ans der Politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken Luthertums, das sich auf den Luther des Marburger Religionsgesprächs berufen kann, der zu dem religiösen Individualisten Zwingli sagte: „Ihr habt einen anderen Geist als wir!" So ist der Lutheraner Böhmer mehr noch als alle Konvertiten ein Zeuge dafür, daß die Bedeutung der neukatholischen Geistes¬ bewegung hinausreicht über die Grenzen der speziellen römisch-katholischen Kon¬ fession. Damit kehrt unser Aufsatz zu seinem leitenden Gedanken zurück. Gelingt es durch Erkenntnis katholischer politisch-kultureller Lebensvorgänge in protestantischen Kreisen die Überzeugung ' zu befestigen, daß katholische Weltanschauung eine gleichwertige und diskutierbare Sache sei, dann haben wir Aussicht, auf dem Wege zu nicht nur politischer sondern geistiger Parität ein Stück voranzukommen und der inneren Einheit des deutschen Volkes neue Wege zu ebnen. neidlose gegenseitige Förderung der Konfessionen im Dienste des Vaterlandes, überall wo es nicht auf Kosten der einen geht, ist eine Notwendigkeit unserer zukünftigen Politik. So z. B. könnte man aus dem Buche von Schwahn über die Beziehungen der katholischen Rheinlande zu Belgien die Anregung schöpfen, neugeartete Beziehungen dieser ursprünglich verwandten Stämme nach dem Weltkrieg anzubahnen. Im Bunde mit der katholischen Kirche können wir an: ehesten hoffen, das heute verwelschte Belgien wieder zum Bewußsein seiner germanischen Vergangenheit und zu einer inneren Annäherung an Deutschland zu bringen. Man darf sich durch die deutschfeindliche Haltung des jetzigen Erzbischofs von Mecheln nicht irre machen lassen. Seit den Tagen des Dichters Hendrik Conscience ist doch das katholische Flandern die Stütze des germanischen Bewußtseins in Belgien, und wenn wir die Kirche gewinnen, werden wir tiefer in die Volksseele eindringen als nur durch den Einfluß der vlämischen Universität in Gent und der Handelsinteressen von Antwerpen. Und so gibt es noch mehr Stellen auf der Erde, wo nach dem Kriege das Interesse der katholischen Kirche mit dem des Reiches Hand in Hand gehen wird. Unsere kulturellen Orientinteressen lassen eine Annäherung der griechischen und orientalischen Christen an das abendländische Geistesleben wünschenswert erscheinen, die nur mit Hilfe der katholischen Kirche Aussicht auf guten Erfolg hat. Derartige Förderung der römischen Kirche muß auch dem protestantischen Publikum am Herzen liegen. Sie ist aber nur möglich, wenn man ihr nationale Leistungsfähigkeit zutraut, und ich meine, daß man dieses Zutrauen durch Studium des Geisteslebens und der Geschichte der deutschen Katholiken befestigen kann. Darum möchte dieser Aufsatz ernsthafte und wenn möglich liebevolle Beschäftigung mit dem Wesen unserer katholischen deutschen Volksgenossen dringend empfehlen. Grenzkoten III 191622

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/349>, abgerufen am 23.07.2024.