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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

einandergesetzt hatte. Dabei war er nie em Fanatiker und hat keine mystische
Bekehrung erlebt. Durch ruhiges Denken bahnte er sich aus eigner Kraft den
Weg ins katholische Geistesleben zurück: ein lebendiger Zeuge dafür, daß der
Protestantismus keinen Anlaß hat, die Überlegenheit seiner Philosophie für eine
selbstverständliche Sache zu halten.

Etwas anderer Art, wie schon angedeutet, als die der vom Mainzer Kreis
ausgehenden Propaganda, waren die Quellen der neukatholischen Bewegung im
preußischen Rheinland. Zunächst erstarkte die katholische Konfession als Stütze
des partikulanstischen Bewußtseins gegen Preußen. Dann aber wirkte stark das
Vorbild des Katholizismus im benachbarten Belgien ein. Diesen Beziehungen
ist das bereits erwähnte Buch von Schwahn gewidmet. Belgien hatte sich in
seiner siegreichen Revolution gegen Holland, an der die Katholiken ebenso
wesentlich beteiligt waren wie die Liberalen, zum Bannerträger des sogenannten
liberalen Katholizismus eines Lamennais gemacht. In diesen Anschauungen
erschien die katholische Kirche als Hort der politischen Freiheit, der Errungen¬
schaften von 1789, des Rechtes aller Unterdrückten. Hat doch nachmals auch
die Februarrevolution in Gestalt des Dominikaners Lacordaire einen schwung¬
vollen priesterlichen Lobredner auf der Kanzel von Notre Dame in Paris ge¬
funden. Damals, 1830, blieb diese katholische Revolutionspropaganda in Belgien
siegreich und richtete sich einen Staat nach ihrem Willen ein: Parlaments¬
herrschaft, Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, freie Schule, freie katholische
Universität in Löwen. Mächtig fachte dieses Vorbild im Rheinland den, Freiheits¬
willen aller derer an, die in der Abhängigkeit der katholischen Kirche von der
protestantischen preußischen Regierung einen unleidlichen Zustand sahen. Das
Signal zum offenen Kampfe gab der Ausbruch des Kölner Kirchenstreites zwischen
der Regierung und dem Erzbischof von Köln. Neben dem Buche von Schwahn
haben diese Ereignisse eine interessante Sonderdarstellung in der Schrift von
Paul Vogel "Beiträge zur Geschichte des Kölner Kirchenstreits" (Studien zur rhei¬
nischen Geschichte V, Bonn, A. Marcus und E. Weber >Dr. Albert AhnZ. 1913)
gefunden. Zur Zeit der Besitzergreifung der Rheinlande durch Preußen (1315)
war der religiöse Jndifferentismus der Aufklärungszeit noch weit im Lande ver¬
breitet gewesen. Die Universität Bonn war eine Hochburg staatsfreundlicher
katholischer Theologie. Sie war noch in den dreißiger Jahren beherrscht von
der Lehre des Professors Hermes, der den katholischen Glauben auf die reine
Vernunft Kants, also auf die protestantische Philosophie begründen wollte. Und
air der Spitze der Kölner Erzdiözese stand bis 1835 ein hochgebildeter aristo¬
kratischer Vertreter des Staatskirchentums, Graf Spiegel. Aber mehr und mehr
gewannen besonders im niederen Klerus die neukatholischen, kurialistischen Ideen
Boden. Sie erfuhren unter dem Einflüsse Belgiens eine bewußt politische Zu¬
spitzung, und der Staat war unklug genug, ihnen nach Spiegels Tode in der
Person des Grafen Clemens August zu Droste-Vischering auf den Erzstuhl des
heiligen Köln zu verhelfen. Droste war zwar kein Politiker, aber, um so mehr


Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

einandergesetzt hatte. Dabei war er nie em Fanatiker und hat keine mystische
Bekehrung erlebt. Durch ruhiges Denken bahnte er sich aus eigner Kraft den
Weg ins katholische Geistesleben zurück: ein lebendiger Zeuge dafür, daß der
Protestantismus keinen Anlaß hat, die Überlegenheit seiner Philosophie für eine
selbstverständliche Sache zu halten.

Etwas anderer Art, wie schon angedeutet, als die der vom Mainzer Kreis
ausgehenden Propaganda, waren die Quellen der neukatholischen Bewegung im
preußischen Rheinland. Zunächst erstarkte die katholische Konfession als Stütze
des partikulanstischen Bewußtseins gegen Preußen. Dann aber wirkte stark das
Vorbild des Katholizismus im benachbarten Belgien ein. Diesen Beziehungen
ist das bereits erwähnte Buch von Schwahn gewidmet. Belgien hatte sich in
seiner siegreichen Revolution gegen Holland, an der die Katholiken ebenso
wesentlich beteiligt waren wie die Liberalen, zum Bannerträger des sogenannten
liberalen Katholizismus eines Lamennais gemacht. In diesen Anschauungen
erschien die katholische Kirche als Hort der politischen Freiheit, der Errungen¬
schaften von 1789, des Rechtes aller Unterdrückten. Hat doch nachmals auch
die Februarrevolution in Gestalt des Dominikaners Lacordaire einen schwung¬
vollen priesterlichen Lobredner auf der Kanzel von Notre Dame in Paris ge¬
funden. Damals, 1830, blieb diese katholische Revolutionspropaganda in Belgien
siegreich und richtete sich einen Staat nach ihrem Willen ein: Parlaments¬
herrschaft, Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, freie Schule, freie katholische
Universität in Löwen. Mächtig fachte dieses Vorbild im Rheinland den, Freiheits¬
willen aller derer an, die in der Abhängigkeit der katholischen Kirche von der
protestantischen preußischen Regierung einen unleidlichen Zustand sahen. Das
Signal zum offenen Kampfe gab der Ausbruch des Kölner Kirchenstreites zwischen
der Regierung und dem Erzbischof von Köln. Neben dem Buche von Schwahn
haben diese Ereignisse eine interessante Sonderdarstellung in der Schrift von
Paul Vogel „Beiträge zur Geschichte des Kölner Kirchenstreits" (Studien zur rhei¬
nischen Geschichte V, Bonn, A. Marcus und E. Weber >Dr. Albert AhnZ. 1913)
gefunden. Zur Zeit der Besitzergreifung der Rheinlande durch Preußen (1315)
war der religiöse Jndifferentismus der Aufklärungszeit noch weit im Lande ver¬
breitet gewesen. Die Universität Bonn war eine Hochburg staatsfreundlicher
katholischer Theologie. Sie war noch in den dreißiger Jahren beherrscht von
der Lehre des Professors Hermes, der den katholischen Glauben auf die reine
Vernunft Kants, also auf die protestantische Philosophie begründen wollte. Und
air der Spitze der Kölner Erzdiözese stand bis 1835 ein hochgebildeter aristo¬
kratischer Vertreter des Staatskirchentums, Graf Spiegel. Aber mehr und mehr
gewannen besonders im niederen Klerus die neukatholischen, kurialistischen Ideen
Boden. Sie erfuhren unter dem Einflüsse Belgiens eine bewußt politische Zu¬
spitzung, und der Staat war unklug genug, ihnen nach Spiegels Tode in der
Person des Grafen Clemens August zu Droste-Vischering auf den Erzstuhl des
heiligen Köln zu verhelfen. Droste war zwar kein Politiker, aber, um so mehr


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[0346] Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken einandergesetzt hatte. Dabei war er nie em Fanatiker und hat keine mystische Bekehrung erlebt. Durch ruhiges Denken bahnte er sich aus eigner Kraft den Weg ins katholische Geistesleben zurück: ein lebendiger Zeuge dafür, daß der Protestantismus keinen Anlaß hat, die Überlegenheit seiner Philosophie für eine selbstverständliche Sache zu halten. Etwas anderer Art, wie schon angedeutet, als die der vom Mainzer Kreis ausgehenden Propaganda, waren die Quellen der neukatholischen Bewegung im preußischen Rheinland. Zunächst erstarkte die katholische Konfession als Stütze des partikulanstischen Bewußtseins gegen Preußen. Dann aber wirkte stark das Vorbild des Katholizismus im benachbarten Belgien ein. Diesen Beziehungen ist das bereits erwähnte Buch von Schwahn gewidmet. Belgien hatte sich in seiner siegreichen Revolution gegen Holland, an der die Katholiken ebenso wesentlich beteiligt waren wie die Liberalen, zum Bannerträger des sogenannten liberalen Katholizismus eines Lamennais gemacht. In diesen Anschauungen erschien die katholische Kirche als Hort der politischen Freiheit, der Errungen¬ schaften von 1789, des Rechtes aller Unterdrückten. Hat doch nachmals auch die Februarrevolution in Gestalt des Dominikaners Lacordaire einen schwung¬ vollen priesterlichen Lobredner auf der Kanzel von Notre Dame in Paris ge¬ funden. Damals, 1830, blieb diese katholische Revolutionspropaganda in Belgien siegreich und richtete sich einen Staat nach ihrem Willen ein: Parlaments¬ herrschaft, Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, freie Schule, freie katholische Universität in Löwen. Mächtig fachte dieses Vorbild im Rheinland den, Freiheits¬ willen aller derer an, die in der Abhängigkeit der katholischen Kirche von der protestantischen preußischen Regierung einen unleidlichen Zustand sahen. Das Signal zum offenen Kampfe gab der Ausbruch des Kölner Kirchenstreites zwischen der Regierung und dem Erzbischof von Köln. Neben dem Buche von Schwahn haben diese Ereignisse eine interessante Sonderdarstellung in der Schrift von Paul Vogel „Beiträge zur Geschichte des Kölner Kirchenstreits" (Studien zur rhei¬ nischen Geschichte V, Bonn, A. Marcus und E. Weber >Dr. Albert AhnZ. 1913) gefunden. Zur Zeit der Besitzergreifung der Rheinlande durch Preußen (1315) war der religiöse Jndifferentismus der Aufklärungszeit noch weit im Lande ver¬ breitet gewesen. Die Universität Bonn war eine Hochburg staatsfreundlicher katholischer Theologie. Sie war noch in den dreißiger Jahren beherrscht von der Lehre des Professors Hermes, der den katholischen Glauben auf die reine Vernunft Kants, also auf die protestantische Philosophie begründen wollte. Und air der Spitze der Kölner Erzdiözese stand bis 1835 ein hochgebildeter aristo¬ kratischer Vertreter des Staatskirchentums, Graf Spiegel. Aber mehr und mehr gewannen besonders im niederen Klerus die neukatholischen, kurialistischen Ideen Boden. Sie erfuhren unter dem Einflüsse Belgiens eine bewußt politische Zu¬ spitzung, und der Staat war unklug genug, ihnen nach Spiegels Tode in der Person des Grafen Clemens August zu Droste-Vischering auf den Erzstuhl des heiligen Köln zu verhelfen. Droste war zwar kein Politiker, aber, um so mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/346>, abgerufen am 23.07.2024.