Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

lischen Klerus des achtzehnten Jahrhunderts Anhänger fanden und den Glauben
auf die Vernunft gründen wollten. Er ist eine gut katholische Theorie, denn
er läßt die Unfehlbarkeit der Kirche als solcher restlos bestehen, wenn er dabei
auch versöhnlich gegen das Luthertum war und einer Wiedervereinigung der
Konfessionen gern die Wege geebnet hätte. Der Febronianismus ist als inner¬
kirchliche Antithese die Voraussetzung der streng kurialistisch und römisch-univer-
saliftisch auftretenden neukatholischen Bewegung in dem durch Revolution und
Restauration gründlich umgepflügten Europa des neunzehnten Jahrhunderts.

Die durch den Wiener Kongreß restaurierten deutschen Regierungen huldigten
sämtlich dem StaatskirchensvsteM, das auch in der Geistlichkeit, zumal im hohen
Klerus, viele überzeugte Vertreter fand. Demgegenüber regte sich neben andern
Freiheitsidealen auch das Ideal der Freiheit der Kirche vom Polizeistaat und
fand ganz von selber gegen die staatskirchlichen Elemente in der überstaatlichen
und übernationalen Zentrale in Rom seine natürliche Stütze. Es ist eine un¬
zweifelhafte Tatsache, daß die liberalen Freiheitslehrer gewaltig dazu beigetragen
haben, die Macht des konsequenten Kurialismus über katholische Seelen zu be¬
festigen. Es ist auch für heutige Liberale, zumal soweit sie antikirchlich sein
zu müssen glauben, höchst wichtig, sich eine klare Einsicht in diese historischen
Konsequenzen ihrer eignen Theorien gegenwärtig zu halten. Für die historisch
Gebildeten der vormärzlichen Zeit wirkte neben dem Liberalismus besonders
noch der Einfluß der Romantik dahin, das kirchliche Feuer anzufachen, und
die verwandten Strömungen der romanischen Nachbarländer wirkten anregend
über die Grenzen herüber. Liberalismus, Romantik und die romanischen
Revolutions- und Restaurationsideen sind also die Taufpaten des deutschen
politischen Katholizismus des neunzehnten Jahrhunderts. Es sind erlauchte
Namen von geistigen Grundlagen der modernen Kultur überhaupt. Wenn
man sich das klar macht, wird man inne, daß das katholische Geistesleben
keineswegs veraltet ist.

Über die Einwirkung der romanischen liberalen und Restaurationsideen
kann man sich in zwei neuen Abhandlungen unterrichten: Alexander Schnütgen
"Das Elsaß und die Erneuerung des katholischen Lebens in Deutschland
von 1814 bis 1848" (Straßburg, Herder 1913) und Lukas Schwahn "Die
Beziehungen der katholischen Rheinlande und Belgiens in den Jahren 1830 bis
1840" (Straßburg, Herder 1914). Beide Arbeiten sind im Rahmen der von
Professor Martin spähn herausgegebenen "Straßburger Beiträge zur neueren
Geschichte" erschienen. Schon aus ihrem Titel ersehen wir, wo wir die Ein-
bruchstellen der romanischen Ideen nach Deutschland zu suchen haben: das
damals zu Frankreich gehörige Elsaß und das von französischem Einfluß be¬
herrschte Belgien, beides Länder eines hochstehenden selbstbewußten katholischen
Geisteslebens, bildeten die Vermittler. Besonders die Schrift von Schnütgen
enthält eine treffliche knappe und sachliche Schilderung des Erziehungs- und
Bildungseinflusfes elsässischer Geistlicher auf das katholische Deutschland seit


Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

lischen Klerus des achtzehnten Jahrhunderts Anhänger fanden und den Glauben
auf die Vernunft gründen wollten. Er ist eine gut katholische Theorie, denn
er läßt die Unfehlbarkeit der Kirche als solcher restlos bestehen, wenn er dabei
auch versöhnlich gegen das Luthertum war und einer Wiedervereinigung der
Konfessionen gern die Wege geebnet hätte. Der Febronianismus ist als inner¬
kirchliche Antithese die Voraussetzung der streng kurialistisch und römisch-univer-
saliftisch auftretenden neukatholischen Bewegung in dem durch Revolution und
Restauration gründlich umgepflügten Europa des neunzehnten Jahrhunderts.

Die durch den Wiener Kongreß restaurierten deutschen Regierungen huldigten
sämtlich dem StaatskirchensvsteM, das auch in der Geistlichkeit, zumal im hohen
Klerus, viele überzeugte Vertreter fand. Demgegenüber regte sich neben andern
Freiheitsidealen auch das Ideal der Freiheit der Kirche vom Polizeistaat und
fand ganz von selber gegen die staatskirchlichen Elemente in der überstaatlichen
und übernationalen Zentrale in Rom seine natürliche Stütze. Es ist eine un¬
zweifelhafte Tatsache, daß die liberalen Freiheitslehrer gewaltig dazu beigetragen
haben, die Macht des konsequenten Kurialismus über katholische Seelen zu be¬
festigen. Es ist auch für heutige Liberale, zumal soweit sie antikirchlich sein
zu müssen glauben, höchst wichtig, sich eine klare Einsicht in diese historischen
Konsequenzen ihrer eignen Theorien gegenwärtig zu halten. Für die historisch
Gebildeten der vormärzlichen Zeit wirkte neben dem Liberalismus besonders
noch der Einfluß der Romantik dahin, das kirchliche Feuer anzufachen, und
die verwandten Strömungen der romanischen Nachbarländer wirkten anregend
über die Grenzen herüber. Liberalismus, Romantik und die romanischen
Revolutions- und Restaurationsideen sind also die Taufpaten des deutschen
politischen Katholizismus des neunzehnten Jahrhunderts. Es sind erlauchte
Namen von geistigen Grundlagen der modernen Kultur überhaupt. Wenn
man sich das klar macht, wird man inne, daß das katholische Geistesleben
keineswegs veraltet ist.

Über die Einwirkung der romanischen liberalen und Restaurationsideen
kann man sich in zwei neuen Abhandlungen unterrichten: Alexander Schnütgen
„Das Elsaß und die Erneuerung des katholischen Lebens in Deutschland
von 1814 bis 1848" (Straßburg, Herder 1913) und Lukas Schwahn „Die
Beziehungen der katholischen Rheinlande und Belgiens in den Jahren 1830 bis
1840" (Straßburg, Herder 1914). Beide Arbeiten sind im Rahmen der von
Professor Martin spähn herausgegebenen „Straßburger Beiträge zur neueren
Geschichte" erschienen. Schon aus ihrem Titel ersehen wir, wo wir die Ein-
bruchstellen der romanischen Ideen nach Deutschland zu suchen haben: das
damals zu Frankreich gehörige Elsaß und das von französischem Einfluß be¬
herrschte Belgien, beides Länder eines hochstehenden selbstbewußten katholischen
Geisteslebens, bildeten die Vermittler. Besonders die Schrift von Schnütgen
enthält eine treffliche knappe und sachliche Schilderung des Erziehungs- und
Bildungseinflusfes elsässischer Geistlicher auf das katholische Deutschland seit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330881"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1092" prev="#ID_1091"> lischen Klerus des achtzehnten Jahrhunderts Anhänger fanden und den Glauben<lb/>
auf die Vernunft gründen wollten. Er ist eine gut katholische Theorie, denn<lb/>
er läßt die Unfehlbarkeit der Kirche als solcher restlos bestehen, wenn er dabei<lb/>
auch versöhnlich gegen das Luthertum war und einer Wiedervereinigung der<lb/>
Konfessionen gern die Wege geebnet hätte. Der Febronianismus ist als inner¬<lb/>
kirchliche Antithese die Voraussetzung der streng kurialistisch und römisch-univer-<lb/>
saliftisch auftretenden neukatholischen Bewegung in dem durch Revolution und<lb/>
Restauration gründlich umgepflügten Europa des neunzehnten Jahrhunderts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1093"> Die durch den Wiener Kongreß restaurierten deutschen Regierungen huldigten<lb/>
sämtlich dem StaatskirchensvsteM, das auch in der Geistlichkeit, zumal im hohen<lb/>
Klerus, viele überzeugte Vertreter fand. Demgegenüber regte sich neben andern<lb/>
Freiheitsidealen auch das Ideal der Freiheit der Kirche vom Polizeistaat und<lb/>
fand ganz von selber gegen die staatskirchlichen Elemente in der überstaatlichen<lb/>
und übernationalen Zentrale in Rom seine natürliche Stütze. Es ist eine un¬<lb/>
zweifelhafte Tatsache, daß die liberalen Freiheitslehrer gewaltig dazu beigetragen<lb/>
haben, die Macht des konsequenten Kurialismus über katholische Seelen zu be¬<lb/>
festigen. Es ist auch für heutige Liberale, zumal soweit sie antikirchlich sein<lb/>
zu müssen glauben, höchst wichtig, sich eine klare Einsicht in diese historischen<lb/>
Konsequenzen ihrer eignen Theorien gegenwärtig zu halten. Für die historisch<lb/>
Gebildeten der vormärzlichen Zeit wirkte neben dem Liberalismus besonders<lb/>
noch der Einfluß der Romantik dahin, das kirchliche Feuer anzufachen, und<lb/>
die verwandten Strömungen der romanischen Nachbarländer wirkten anregend<lb/>
über die Grenzen herüber. Liberalismus, Romantik und die romanischen<lb/>
Revolutions- und Restaurationsideen sind also die Taufpaten des deutschen<lb/>
politischen Katholizismus des neunzehnten Jahrhunderts. Es sind erlauchte<lb/>
Namen von geistigen Grundlagen der modernen Kultur überhaupt. Wenn<lb/>
man sich das klar macht, wird man inne, daß das katholische Geistesleben<lb/>
keineswegs veraltet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1094" next="#ID_1095"> Über die Einwirkung der romanischen liberalen und Restaurationsideen<lb/>
kann man sich in zwei neuen Abhandlungen unterrichten: Alexander Schnütgen<lb/>
&#x201E;Das Elsaß und die Erneuerung des katholischen Lebens in Deutschland<lb/>
von 1814 bis 1848" (Straßburg, Herder 1913) und Lukas Schwahn &#x201E;Die<lb/>
Beziehungen der katholischen Rheinlande und Belgiens in den Jahren 1830 bis<lb/>
1840" (Straßburg, Herder 1914). Beide Arbeiten sind im Rahmen der von<lb/>
Professor Martin spähn herausgegebenen &#x201E;Straßburger Beiträge zur neueren<lb/>
Geschichte" erschienen. Schon aus ihrem Titel ersehen wir, wo wir die Ein-<lb/>
bruchstellen der romanischen Ideen nach Deutschland zu suchen haben: das<lb/>
damals zu Frankreich gehörige Elsaß und das von französischem Einfluß be¬<lb/>
herrschte Belgien, beides Länder eines hochstehenden selbstbewußten katholischen<lb/>
Geisteslebens, bildeten die Vermittler. Besonders die Schrift von Schnütgen<lb/>
enthält eine treffliche knappe und sachliche Schilderung des Erziehungs- und<lb/>
Bildungseinflusfes elsässischer Geistlicher auf das katholische Deutschland seit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0343] Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken lischen Klerus des achtzehnten Jahrhunderts Anhänger fanden und den Glauben auf die Vernunft gründen wollten. Er ist eine gut katholische Theorie, denn er läßt die Unfehlbarkeit der Kirche als solcher restlos bestehen, wenn er dabei auch versöhnlich gegen das Luthertum war und einer Wiedervereinigung der Konfessionen gern die Wege geebnet hätte. Der Febronianismus ist als inner¬ kirchliche Antithese die Voraussetzung der streng kurialistisch und römisch-univer- saliftisch auftretenden neukatholischen Bewegung in dem durch Revolution und Restauration gründlich umgepflügten Europa des neunzehnten Jahrhunderts. Die durch den Wiener Kongreß restaurierten deutschen Regierungen huldigten sämtlich dem StaatskirchensvsteM, das auch in der Geistlichkeit, zumal im hohen Klerus, viele überzeugte Vertreter fand. Demgegenüber regte sich neben andern Freiheitsidealen auch das Ideal der Freiheit der Kirche vom Polizeistaat und fand ganz von selber gegen die staatskirchlichen Elemente in der überstaatlichen und übernationalen Zentrale in Rom seine natürliche Stütze. Es ist eine un¬ zweifelhafte Tatsache, daß die liberalen Freiheitslehrer gewaltig dazu beigetragen haben, die Macht des konsequenten Kurialismus über katholische Seelen zu be¬ festigen. Es ist auch für heutige Liberale, zumal soweit sie antikirchlich sein zu müssen glauben, höchst wichtig, sich eine klare Einsicht in diese historischen Konsequenzen ihrer eignen Theorien gegenwärtig zu halten. Für die historisch Gebildeten der vormärzlichen Zeit wirkte neben dem Liberalismus besonders noch der Einfluß der Romantik dahin, das kirchliche Feuer anzufachen, und die verwandten Strömungen der romanischen Nachbarländer wirkten anregend über die Grenzen herüber. Liberalismus, Romantik und die romanischen Revolutions- und Restaurationsideen sind also die Taufpaten des deutschen politischen Katholizismus des neunzehnten Jahrhunderts. Es sind erlauchte Namen von geistigen Grundlagen der modernen Kultur überhaupt. Wenn man sich das klar macht, wird man inne, daß das katholische Geistesleben keineswegs veraltet ist. Über die Einwirkung der romanischen liberalen und Restaurationsideen kann man sich in zwei neuen Abhandlungen unterrichten: Alexander Schnütgen „Das Elsaß und die Erneuerung des katholischen Lebens in Deutschland von 1814 bis 1848" (Straßburg, Herder 1913) und Lukas Schwahn „Die Beziehungen der katholischen Rheinlande und Belgiens in den Jahren 1830 bis 1840" (Straßburg, Herder 1914). Beide Arbeiten sind im Rahmen der von Professor Martin spähn herausgegebenen „Straßburger Beiträge zur neueren Geschichte" erschienen. Schon aus ihrem Titel ersehen wir, wo wir die Ein- bruchstellen der romanischen Ideen nach Deutschland zu suchen haben: das damals zu Frankreich gehörige Elsaß und das von französischem Einfluß be¬ herrschte Belgien, beides Länder eines hochstehenden selbstbewußten katholischen Geisteslebens, bildeten die Vermittler. Besonders die Schrift von Schnütgen enthält eine treffliche knappe und sachliche Schilderung des Erziehungs- und Bildungseinflusfes elsässischer Geistlicher auf das katholische Deutschland seit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/343
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/343>, abgerufen am 23.07.2024.