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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Außenpolitisches aus Rußland

nutzen, die es mit England geschlossen hat, selbst den Fall angenommen, den
keiner von uns für möglich hält, daß Deutschland und seine Verbündeten unter¬
liegen? Was soll es mit den von England versprochenen Dardanellen, dem
Ausgang zu einem Meere, in dem England mit einer gewaltigen Flotte un¬
umschränkt gebieten würde, mit einer vollkommen ruinierten Landwirtschaft, mit
einer am Boden liegenden Industrie und für immer heruntergewirtschafteten
Finanzen, nachdem feine Goldproduktion und seine Goldbestände, seine Berg¬
werke und womöglich Eisenbahnen inzwischen an Engländer und Amerikaner
übergegangen sein werden? Rußland würde, ebenso wie es jetzt in Bezug auf
den fernen Osten eine 80Lieta,3 leonina mit Japan eingehen mußte, auf Jahr¬
zehnte, ja vielleicht auf immer zu einer Politik der Entsagung der einzig über¬
bleibenden Großmacht, England, gegenüber gezwungen sein. Die Russen haben
sich seinerzeit über die harmlosen wirtschaftlichen Pläne Deutschlands in der
Türkei und in Kleinasten beschwert gefühlt (vergl. Mitrofanow und Gesinnungs¬
genossen). Was wollen aber diese Pläne bedeuten gegenüber einem England,
das von Indien über Mesopotamien, Arabien und Syrien seine feste Brücke
nach Ägypten gebaut hätte!

Wir wissen wenig über den jetzt zwischen England und Rußland ab¬
geschlossenen Vertrag über Persien, der die alte Abmachung von 1907 zu einem
wesentlichen Teile verändert. Persien wird durch ihn in ein englisch "russisches
Protektorat verwandelt. Die Finanzen des Landes werden von einem englisch¬
russisch-persischen Rate, dem ein Belgier (!) vorsitzt, geführt werden. Im
Norden wird Rußlands Einfluß überwiegen, im Süden der Englands. Jeder
der beiden Vertragschließenden wird die Militärmacht in seinem Einflußgebiet
(man stellt sich hier wie dort eine von Persern gebildete Truppe von je elf¬
tausend Mann vor) in den Händen haben. Aber hat man etwas davon
gehört, daß England den Russen Zutritt zum Persischen Golf gestattet? Das
einzige Ergebnis des Vertrages für Rußland wird das sein, daß die englisch¬
indische Militärmacht sich am Persischen Golf immer mehr festigt, daß Afghanistan
ganz von ihr umklammert ein für allemal dem englischen Einflüsse unterliegen
wird und daß sich der gewaltige englische Block von Süden her fester an Ru߬
land heranlegen würde. Wie unsicher die Verhältnisse in den russisch-zentral¬
asiatischen Besitzungen sind, sehen wir jetzt aus der Ernennung Kuropatkins
und der Proklamierung des Kriegszustandes in Turkestan. Wird es der
englischen Regierungskunst in einem späteren Kriege Englands mit Rußland
nicht leicht gelingen, in diesen mohamedanischen Gebieten die gewünschten anti-
russischen Tendenzen hervorzurufen und die Volksstämme von Indien her zum
Aufmarsch gegen Rußland zu bringen? In einem solchen Kriege, in dem ein
geschlagenes Deutschland und ein vernichtetes Frankreich in Europa zurück¬
geblieben wären, würde es England möglich sein, durch ein paar Schiffe an den
Dardanellen, im Persischen Golf, in der Ostsee und im Weißen Meer unter
Mithilfe von Japan, Nußland im eigenen Fett ersticken zu lassen --


Außenpolitisches aus Rußland

nutzen, die es mit England geschlossen hat, selbst den Fall angenommen, den
keiner von uns für möglich hält, daß Deutschland und seine Verbündeten unter¬
liegen? Was soll es mit den von England versprochenen Dardanellen, dem
Ausgang zu einem Meere, in dem England mit einer gewaltigen Flotte un¬
umschränkt gebieten würde, mit einer vollkommen ruinierten Landwirtschaft, mit
einer am Boden liegenden Industrie und für immer heruntergewirtschafteten
Finanzen, nachdem feine Goldproduktion und seine Goldbestände, seine Berg¬
werke und womöglich Eisenbahnen inzwischen an Engländer und Amerikaner
übergegangen sein werden? Rußland würde, ebenso wie es jetzt in Bezug auf
den fernen Osten eine 80Lieta,3 leonina mit Japan eingehen mußte, auf Jahr¬
zehnte, ja vielleicht auf immer zu einer Politik der Entsagung der einzig über¬
bleibenden Großmacht, England, gegenüber gezwungen sein. Die Russen haben
sich seinerzeit über die harmlosen wirtschaftlichen Pläne Deutschlands in der
Türkei und in Kleinasten beschwert gefühlt (vergl. Mitrofanow und Gesinnungs¬
genossen). Was wollen aber diese Pläne bedeuten gegenüber einem England,
das von Indien über Mesopotamien, Arabien und Syrien seine feste Brücke
nach Ägypten gebaut hätte!

Wir wissen wenig über den jetzt zwischen England und Rußland ab¬
geschlossenen Vertrag über Persien, der die alte Abmachung von 1907 zu einem
wesentlichen Teile verändert. Persien wird durch ihn in ein englisch »russisches
Protektorat verwandelt. Die Finanzen des Landes werden von einem englisch¬
russisch-persischen Rate, dem ein Belgier (!) vorsitzt, geführt werden. Im
Norden wird Rußlands Einfluß überwiegen, im Süden der Englands. Jeder
der beiden Vertragschließenden wird die Militärmacht in seinem Einflußgebiet
(man stellt sich hier wie dort eine von Persern gebildete Truppe von je elf¬
tausend Mann vor) in den Händen haben. Aber hat man etwas davon
gehört, daß England den Russen Zutritt zum Persischen Golf gestattet? Das
einzige Ergebnis des Vertrages für Rußland wird das sein, daß die englisch¬
indische Militärmacht sich am Persischen Golf immer mehr festigt, daß Afghanistan
ganz von ihr umklammert ein für allemal dem englischen Einflüsse unterliegen
wird und daß sich der gewaltige englische Block von Süden her fester an Ru߬
land heranlegen würde. Wie unsicher die Verhältnisse in den russisch-zentral¬
asiatischen Besitzungen sind, sehen wir jetzt aus der Ernennung Kuropatkins
und der Proklamierung des Kriegszustandes in Turkestan. Wird es der
englischen Regierungskunst in einem späteren Kriege Englands mit Rußland
nicht leicht gelingen, in diesen mohamedanischen Gebieten die gewünschten anti-
russischen Tendenzen hervorzurufen und die Volksstämme von Indien her zum
Aufmarsch gegen Rußland zu bringen? In einem solchen Kriege, in dem ein
geschlagenes Deutschland und ein vernichtetes Frankreich in Europa zurück¬
geblieben wären, würde es England möglich sein, durch ein paar Schiffe an den
Dardanellen, im Persischen Golf, in der Ostsee und im Weißen Meer unter
Mithilfe von Japan, Nußland im eigenen Fett ersticken zu lassen —


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[0339] Außenpolitisches aus Rußland nutzen, die es mit England geschlossen hat, selbst den Fall angenommen, den keiner von uns für möglich hält, daß Deutschland und seine Verbündeten unter¬ liegen? Was soll es mit den von England versprochenen Dardanellen, dem Ausgang zu einem Meere, in dem England mit einer gewaltigen Flotte un¬ umschränkt gebieten würde, mit einer vollkommen ruinierten Landwirtschaft, mit einer am Boden liegenden Industrie und für immer heruntergewirtschafteten Finanzen, nachdem feine Goldproduktion und seine Goldbestände, seine Berg¬ werke und womöglich Eisenbahnen inzwischen an Engländer und Amerikaner übergegangen sein werden? Rußland würde, ebenso wie es jetzt in Bezug auf den fernen Osten eine 80Lieta,3 leonina mit Japan eingehen mußte, auf Jahr¬ zehnte, ja vielleicht auf immer zu einer Politik der Entsagung der einzig über¬ bleibenden Großmacht, England, gegenüber gezwungen sein. Die Russen haben sich seinerzeit über die harmlosen wirtschaftlichen Pläne Deutschlands in der Türkei und in Kleinasten beschwert gefühlt (vergl. Mitrofanow und Gesinnungs¬ genossen). Was wollen aber diese Pläne bedeuten gegenüber einem England, das von Indien über Mesopotamien, Arabien und Syrien seine feste Brücke nach Ägypten gebaut hätte! Wir wissen wenig über den jetzt zwischen England und Rußland ab¬ geschlossenen Vertrag über Persien, der die alte Abmachung von 1907 zu einem wesentlichen Teile verändert. Persien wird durch ihn in ein englisch »russisches Protektorat verwandelt. Die Finanzen des Landes werden von einem englisch¬ russisch-persischen Rate, dem ein Belgier (!) vorsitzt, geführt werden. Im Norden wird Rußlands Einfluß überwiegen, im Süden der Englands. Jeder der beiden Vertragschließenden wird die Militärmacht in seinem Einflußgebiet (man stellt sich hier wie dort eine von Persern gebildete Truppe von je elf¬ tausend Mann vor) in den Händen haben. Aber hat man etwas davon gehört, daß England den Russen Zutritt zum Persischen Golf gestattet? Das einzige Ergebnis des Vertrages für Rußland wird das sein, daß die englisch¬ indische Militärmacht sich am Persischen Golf immer mehr festigt, daß Afghanistan ganz von ihr umklammert ein für allemal dem englischen Einflüsse unterliegen wird und daß sich der gewaltige englische Block von Süden her fester an Ru߬ land heranlegen würde. Wie unsicher die Verhältnisse in den russisch-zentral¬ asiatischen Besitzungen sind, sehen wir jetzt aus der Ernennung Kuropatkins und der Proklamierung des Kriegszustandes in Turkestan. Wird es der englischen Regierungskunst in einem späteren Kriege Englands mit Rußland nicht leicht gelingen, in diesen mohamedanischen Gebieten die gewünschten anti- russischen Tendenzen hervorzurufen und die Volksstämme von Indien her zum Aufmarsch gegen Rußland zu bringen? In einem solchen Kriege, in dem ein geschlagenes Deutschland und ein vernichtetes Frankreich in Europa zurück¬ geblieben wären, würde es England möglich sein, durch ein paar Schiffe an den Dardanellen, im Persischen Golf, in der Ostsee und im Weißen Meer unter Mithilfe von Japan, Nußland im eigenen Fett ersticken zu lassen —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/339>, abgerufen am 23.07.2024.