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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

gehalten, in dem er diese Frage genau behandelte. Er kommt zu folgendem
Resultat:

Alle Pädagogik beruht auf den beiden Elementen der Erziehung und des
Unterrichts. Der Unterricht differenziert, die Erziehung sozialisiert. Je nach
der Begabung des einzelnen wird er nach dieser oder jener Richtung hin mehr
leisten. Er wird also nicht nur dieses oder jenes Fach bevorzugen, sondern er
wird auch innerhalb des bestehenden Unterrichtssystems besser auf diesem oder
jenem Anstaltstyp fortkommen.

Hieraus ergibt sich mit Notwendigkeit entsprechend der menschlichen Natur
die Forderung, daß der Unterricht nicht uniform, sondern multiform sein muß.
Der Organismus unseres Schulwesens, in dem jeder einzelne Typus und jede
einzelne Stufe (Volksschule, Mittelschule, höhere Schule) einen bestimmten, von
den anderen verschiedenen Selbstzweck verfolgt, muß also als Organismus
erhalten werden, und gerade das ist es, was die Versechter der Einheitsschule
verhindern wollen. Sie wollen -- mit einem treffenden Wort hat es Schmidt
so genannt -- eine Gleichheitsschule schaffen, durch die der Organismus zu
einem Mechanismus würde, weil die einzelnen Schulgattungen lediglich dem
Prinzip dieser Gleichheitsschule sich unterordnen müßten. Wenn diese Über¬
legung noch eines handgreiflicheren Beweises bedürfte, so liegt er darin, daß
sämtliche Verfechter der Einheitsschulidee zugeben, daß die Mittelschule innerhalb
ihres Systems überhaupt keinen Platz hat.

Trotzdem gibt Schmidt vollkommen zu, daß der Wunsch nach einer
Einheit des Unterrichts berechtigt ist, und er sucht das Fundament folgerichtig
auf dem Gebiete der Erziehung: sämtliche Schulen müssen jnoch in viel höherem
Maße als es bis jetzt schon geschehen ist, Erziehungsschulen werden.

So hat Schmidt unleugbar das Verdienst, den Fundamentalirrtum der
ganzen Einheitsschulbewegung aufgedeckt und zugleich den Weg gewiesen zu
haben, auf dem das an sich berechtigte Bestreben befriedigt werden kann, ohne
daß der Volksorganismus geschädigt wird.

Mit der vorstehenden Zusammenfassung scheinen die Hauptgründe, die
gegen eine Einführung der Einheitsschule bei uns sprechen, dargelegt zu sein.
Das Wort, das der Kultusminister seinerzeit im Abgeordnetenhause sprach,
wird in absehbarer Zeit trotz aller Sonderinteressev vielleicht doch noch einmal
Allgemeingut werden: "Die Einheitsschule ist ein Traum, und noch nicht
einmal ein schöner!"




Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

gehalten, in dem er diese Frage genau behandelte. Er kommt zu folgendem
Resultat:

Alle Pädagogik beruht auf den beiden Elementen der Erziehung und des
Unterrichts. Der Unterricht differenziert, die Erziehung sozialisiert. Je nach
der Begabung des einzelnen wird er nach dieser oder jener Richtung hin mehr
leisten. Er wird also nicht nur dieses oder jenes Fach bevorzugen, sondern er
wird auch innerhalb des bestehenden Unterrichtssystems besser auf diesem oder
jenem Anstaltstyp fortkommen.

Hieraus ergibt sich mit Notwendigkeit entsprechend der menschlichen Natur
die Forderung, daß der Unterricht nicht uniform, sondern multiform sein muß.
Der Organismus unseres Schulwesens, in dem jeder einzelne Typus und jede
einzelne Stufe (Volksschule, Mittelschule, höhere Schule) einen bestimmten, von
den anderen verschiedenen Selbstzweck verfolgt, muß also als Organismus
erhalten werden, und gerade das ist es, was die Versechter der Einheitsschule
verhindern wollen. Sie wollen — mit einem treffenden Wort hat es Schmidt
so genannt — eine Gleichheitsschule schaffen, durch die der Organismus zu
einem Mechanismus würde, weil die einzelnen Schulgattungen lediglich dem
Prinzip dieser Gleichheitsschule sich unterordnen müßten. Wenn diese Über¬
legung noch eines handgreiflicheren Beweises bedürfte, so liegt er darin, daß
sämtliche Verfechter der Einheitsschulidee zugeben, daß die Mittelschule innerhalb
ihres Systems überhaupt keinen Platz hat.

Trotzdem gibt Schmidt vollkommen zu, daß der Wunsch nach einer
Einheit des Unterrichts berechtigt ist, und er sucht das Fundament folgerichtig
auf dem Gebiete der Erziehung: sämtliche Schulen müssen jnoch in viel höherem
Maße als es bis jetzt schon geschehen ist, Erziehungsschulen werden.

So hat Schmidt unleugbar das Verdienst, den Fundamentalirrtum der
ganzen Einheitsschulbewegung aufgedeckt und zugleich den Weg gewiesen zu
haben, auf dem das an sich berechtigte Bestreben befriedigt werden kann, ohne
daß der Volksorganismus geschädigt wird.

Mit der vorstehenden Zusammenfassung scheinen die Hauptgründe, die
gegen eine Einführung der Einheitsschule bei uns sprechen, dargelegt zu sein.
Das Wort, das der Kultusminister seinerzeit im Abgeordnetenhause sprach,
wird in absehbarer Zeit trotz aller Sonderinteressev vielleicht doch noch einmal
Allgemeingut werden: „Die Einheitsschule ist ein Traum, und noch nicht
einmal ein schöner!"




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[0329] Zum Problem der sogenannten Einheitsschule gehalten, in dem er diese Frage genau behandelte. Er kommt zu folgendem Resultat: Alle Pädagogik beruht auf den beiden Elementen der Erziehung und des Unterrichts. Der Unterricht differenziert, die Erziehung sozialisiert. Je nach der Begabung des einzelnen wird er nach dieser oder jener Richtung hin mehr leisten. Er wird also nicht nur dieses oder jenes Fach bevorzugen, sondern er wird auch innerhalb des bestehenden Unterrichtssystems besser auf diesem oder jenem Anstaltstyp fortkommen. Hieraus ergibt sich mit Notwendigkeit entsprechend der menschlichen Natur die Forderung, daß der Unterricht nicht uniform, sondern multiform sein muß. Der Organismus unseres Schulwesens, in dem jeder einzelne Typus und jede einzelne Stufe (Volksschule, Mittelschule, höhere Schule) einen bestimmten, von den anderen verschiedenen Selbstzweck verfolgt, muß also als Organismus erhalten werden, und gerade das ist es, was die Versechter der Einheitsschule verhindern wollen. Sie wollen — mit einem treffenden Wort hat es Schmidt so genannt — eine Gleichheitsschule schaffen, durch die der Organismus zu einem Mechanismus würde, weil die einzelnen Schulgattungen lediglich dem Prinzip dieser Gleichheitsschule sich unterordnen müßten. Wenn diese Über¬ legung noch eines handgreiflicheren Beweises bedürfte, so liegt er darin, daß sämtliche Verfechter der Einheitsschulidee zugeben, daß die Mittelschule innerhalb ihres Systems überhaupt keinen Platz hat. Trotzdem gibt Schmidt vollkommen zu, daß der Wunsch nach einer Einheit des Unterrichts berechtigt ist, und er sucht das Fundament folgerichtig auf dem Gebiete der Erziehung: sämtliche Schulen müssen jnoch in viel höherem Maße als es bis jetzt schon geschehen ist, Erziehungsschulen werden. So hat Schmidt unleugbar das Verdienst, den Fundamentalirrtum der ganzen Einheitsschulbewegung aufgedeckt und zugleich den Weg gewiesen zu haben, auf dem das an sich berechtigte Bestreben befriedigt werden kann, ohne daß der Volksorganismus geschädigt wird. Mit der vorstehenden Zusammenfassung scheinen die Hauptgründe, die gegen eine Einführung der Einheitsschule bei uns sprechen, dargelegt zu sein. Das Wort, das der Kultusminister seinerzeit im Abgeordnetenhause sprach, wird in absehbarer Zeit trotz aller Sonderinteressev vielleicht doch noch einmal Allgemeingut werden: „Die Einheitsschule ist ein Traum, und noch nicht einmal ein schöner!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/329>, abgerufen am 23.07.2024.