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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckgeist

zösischen, hielt er nieder. Erst spannte er im Schleswig-holsteinschen Konflikt
die österreichische Politik vor seinen Wagen, und dann lief er der verschlagenen
Staatskunst Napoleons des Dritten den Rang ab, indem er sie um alle
territorialen wie moralischen Kompensationshoffnungen nach dem Siege über
Österreich betrog. Daher der Schlachtruf: "Kevanetie pour Laäo^va,!", mit
dem Paris in den Krieg von 1870 ging. Ohne, ja an gewissen kritischen
Punkten selbst gegen den Willen seines Königs hat Bismarck diese Machtpolitik
durchgeführt; gegen den Willen der deutschen öffentlichen Meinung ganz gewiß.
König Wilhelm hielt ihn ja nur, weil er ihn gegen diese öffentliche Meinung
brauchte, um seinen Konflikt gegen den preußischen Landtag durchzuführen. Den
liberalen Rechtsfanatikern der inneren Politik ist Bismarck mit denselben macht¬
politischen Grundsätzen entgegengetreten, nach denen er in den auswärtigen
und deutschen Fragen verfuhr. Seine staatsmännische Persönlichkeit bietet
darum ein Bild einheitlicher Überzeugung, das sich um so schärfer abhebt, je
mehr in der deutschen oder wenigstens preußischen Staatskunst vor ihm andere
Grundsätze herrschend waren.

In unsrer heutigen politischen Öffentlichkeit und in den Stimmungen, mit
denen unser Volk den gegenwärtigen Krieg durchkämpft, stehen sich immer noch
die beiden Grundauffassungen über Politik, die ethische und die des Macht¬
gedankens, die bismarckische und die vorbismarckische gegenüber. Wir haben
unter uns ebensogut Leute, die sich die Leiden des Krieges mit dem Gedanken
an die Weltmacht des deutschen Volkes versüßen, wie solche, die sich mit dem
Recht, das doch endlich Recht bleiben müsse, und mit der Hoffnung auf eine
sittlich bessere Zukunft der Menschheit trösten. Beide Grundstimmungen brauchen
nicht scharf geschieden zu sein. Doch wird es dem Burgfrieden dienen, wenn
man sich der Tatsache dieser polaren Gruppierung der Anschauungen wenigstens
bewußt wird. Von hier aus wird man z. B. die viel beanstandeten Aus¬
führungen des Münchener Professors F. W. Förster über deutsche Politik leicht
begreifen, wenn auch nicht billigen. Es ist kein Zweifel, daß unser Deutsches
Reich auf der Grundlage eines ausgesprochen machtpolitischen Willens erwachsen
ist, der den Gesinnungen der meisten Deutschen damals nicht entsprach und
vielleicht noch weniger entsprochen hätte, wenn er ihnen vollständig zum Be¬
wußtsein gekommen wäre. Darum betont dieser Aufsatz das Besondere des
Geistes der Bismarckschen Staatskunst, der vorher unter deutschen Politikern
selten war. Diesen Bismarckgeist glaubt Förster auch heute noch ablehnen zu
müssen, obwohl der gegenwärtige Krieg von der ehernen Notwendigkeit der
Macht, die natürlich Heil und Unheil wirken kann, eindringlich genug zu uns
redet. Die Deutlichkeit des Försterschen Standpunktes ist an sich anzuerkennen,
aber wenn seine politische Moral den Lebensbedingungen des Staates nicht
gerecht wird und die Sprache der Erfahrungen dieses Krieges nicht versteht, dann
ist ihre Unzulänglichkeit erwiesen. Das Christentum für seine Sache ausschließlich
in Anspruch zu nehmen, dazu hat Förster kein Recht. Er nennt den Geist des


Bismarckgeist

zösischen, hielt er nieder. Erst spannte er im Schleswig-holsteinschen Konflikt
die österreichische Politik vor seinen Wagen, und dann lief er der verschlagenen
Staatskunst Napoleons des Dritten den Rang ab, indem er sie um alle
territorialen wie moralischen Kompensationshoffnungen nach dem Siege über
Österreich betrog. Daher der Schlachtruf: „Kevanetie pour Laäo^va,!", mit
dem Paris in den Krieg von 1870 ging. Ohne, ja an gewissen kritischen
Punkten selbst gegen den Willen seines Königs hat Bismarck diese Machtpolitik
durchgeführt; gegen den Willen der deutschen öffentlichen Meinung ganz gewiß.
König Wilhelm hielt ihn ja nur, weil er ihn gegen diese öffentliche Meinung
brauchte, um seinen Konflikt gegen den preußischen Landtag durchzuführen. Den
liberalen Rechtsfanatikern der inneren Politik ist Bismarck mit denselben macht¬
politischen Grundsätzen entgegengetreten, nach denen er in den auswärtigen
und deutschen Fragen verfuhr. Seine staatsmännische Persönlichkeit bietet
darum ein Bild einheitlicher Überzeugung, das sich um so schärfer abhebt, je
mehr in der deutschen oder wenigstens preußischen Staatskunst vor ihm andere
Grundsätze herrschend waren.

In unsrer heutigen politischen Öffentlichkeit und in den Stimmungen, mit
denen unser Volk den gegenwärtigen Krieg durchkämpft, stehen sich immer noch
die beiden Grundauffassungen über Politik, die ethische und die des Macht¬
gedankens, die bismarckische und die vorbismarckische gegenüber. Wir haben
unter uns ebensogut Leute, die sich die Leiden des Krieges mit dem Gedanken
an die Weltmacht des deutschen Volkes versüßen, wie solche, die sich mit dem
Recht, das doch endlich Recht bleiben müsse, und mit der Hoffnung auf eine
sittlich bessere Zukunft der Menschheit trösten. Beide Grundstimmungen brauchen
nicht scharf geschieden zu sein. Doch wird es dem Burgfrieden dienen, wenn
man sich der Tatsache dieser polaren Gruppierung der Anschauungen wenigstens
bewußt wird. Von hier aus wird man z. B. die viel beanstandeten Aus¬
führungen des Münchener Professors F. W. Förster über deutsche Politik leicht
begreifen, wenn auch nicht billigen. Es ist kein Zweifel, daß unser Deutsches
Reich auf der Grundlage eines ausgesprochen machtpolitischen Willens erwachsen
ist, der den Gesinnungen der meisten Deutschen damals nicht entsprach und
vielleicht noch weniger entsprochen hätte, wenn er ihnen vollständig zum Be¬
wußtsein gekommen wäre. Darum betont dieser Aufsatz das Besondere des
Geistes der Bismarckschen Staatskunst, der vorher unter deutschen Politikern
selten war. Diesen Bismarckgeist glaubt Förster auch heute noch ablehnen zu
müssen, obwohl der gegenwärtige Krieg von der ehernen Notwendigkeit der
Macht, die natürlich Heil und Unheil wirken kann, eindringlich genug zu uns
redet. Die Deutlichkeit des Försterschen Standpunktes ist an sich anzuerkennen,
aber wenn seine politische Moral den Lebensbedingungen des Staates nicht
gerecht wird und die Sprache der Erfahrungen dieses Krieges nicht versteht, dann
ist ihre Unzulänglichkeit erwiesen. Das Christentum für seine Sache ausschließlich
in Anspruch zu nehmen, dazu hat Förster kein Recht. Er nennt den Geist des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/308>, abgerufen am 23.07.2024.