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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckgeist

ihrer Pläne, aber nicht die Einsicht in die machtpolitischen Realitäten. In dieser
Beziehung hatten sie mehr Bismarckgeist als andere achtundvierziger Politiker.

Der eigentliche Sieger in der ganzen Bewegung der Jahre 1848 bis 1850
war die durch den Fürsten Felix Schwarzenberg erneuerte österreichische Staats¬
macht. An ihr scheiterte die preußische Unionspolitik. Schwarzenberg wäre
wahrscheinlich in der Lage gewesen, die deutsche Frage im österreichischen Sinne
zu lösen, wenn er dieser Ausgabe das nötige Interesse entgegengebracht hätte.
Er ist an realpolitischer Tatkraft mit Bismarck zu vergleichen, aber ihm fehlte
die Überzeugung von einem deutschen Beruf Österreichs. Seine deutsche Politik
verstand es meisterhaft, dem preußischen Konkurrenten die Waffen aus der
Hand zu schlagen, aber nach dem Stege nun selbst ein neues Deutschland zu
schaffen, dazu verstand er sich nicht. Er bekämpfte die preußische Politik unter
Radowitz im Bunde mit den Mittelstaaten. Die Kleinstaaten sollten faktisch
mediatisiert und der Souveränität der Königreiche unterstellt werden. Im
Bundeszentralorgan, bestehend aus einem Königskollegium und einer Ver¬
tretung der Kammern und Regierungen, sollten nur Österreich, Preußen,
Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover vertreten sein, und der Bund
sollte zu einem leistungsfähigen Gesamtkörper gestaltet werden. Der öster¬
reichische Handelsminister Brück entwickelte ein Programm, das bei seiner
Durchführung die heute wieder erstrebte mitteleuropäische Wirtschafts- und
Militäreinheit auf der Grundlage dieses sechsköpfigen Staatenbundes ver¬
wirklicht hätte. Aber Schwarzenberg nahm an diesen Plänen keinen inneren
Anteil. Er benutzte sie bloß zur Bekämpfung Preußens. Über den deutschen
Nationalgedanken dachte er skeptisch und begnügte sich nach dem Siege über
Preußen, als auf den Dresdner Konferenzen 1851 sich den Bruckschen Wirt-
schastsplänen Widerstände entgegenstellten, mit der einfachen Wiederherstellung
des alten Bundestages in Frankfurt. Schwarzenbergs früher Tod beraubte
überdies Österreich bald dieses kraftvollen Führers, und die Leistungsfähigkeit
der zentralisierten neu-österreichischen Staatsmacht nahm von da an ganz all¬
mählich ab bis zur Katastrophe von 1866, die den Kaiserstaat zur heutigen
österreichisch-ungarischen Monarchie umgestaltete. Die positive Lösung der
deutschen Frage, die Österreich kurz vorher noch einmal versuchte, ging nicht in
den Bahnen der Schwarzenbergschen Machtpolitik, sondern hoffte wie die
Frankfurter Großdeutschen von 1848 auf eine Reform des unreformierbaren
Deutschen Bundes. Der leitende Geist dieser Pläne war denn auch derselbe
Minister Schmerling, der schon in der Paulskirche das kleindeutsche Programm
der Erbkaiserpartei bekämpft hatte. Auf dem Frankfurter Fürstentag von 1863
beantragte er ein fünfköpfiges Direktorium, eine Delegiertenversammlung aus
den Einzellandtagen mit beratender Stimme, ein Bundesgericht und für
wichtige Angelegenheiten periodische Fürstenkongresse. Der Geist Schwarzen¬
bergs, der in der Macht den Quell politischer Gestaltung erkannte, lebte in diesen
Versuchen nicht mehr. Inzwischen war seine Erkenntnis in Preußen aufgegangen.


Bismarckgeist

ihrer Pläne, aber nicht die Einsicht in die machtpolitischen Realitäten. In dieser
Beziehung hatten sie mehr Bismarckgeist als andere achtundvierziger Politiker.

Der eigentliche Sieger in der ganzen Bewegung der Jahre 1848 bis 1850
war die durch den Fürsten Felix Schwarzenberg erneuerte österreichische Staats¬
macht. An ihr scheiterte die preußische Unionspolitik. Schwarzenberg wäre
wahrscheinlich in der Lage gewesen, die deutsche Frage im österreichischen Sinne
zu lösen, wenn er dieser Ausgabe das nötige Interesse entgegengebracht hätte.
Er ist an realpolitischer Tatkraft mit Bismarck zu vergleichen, aber ihm fehlte
die Überzeugung von einem deutschen Beruf Österreichs. Seine deutsche Politik
verstand es meisterhaft, dem preußischen Konkurrenten die Waffen aus der
Hand zu schlagen, aber nach dem Stege nun selbst ein neues Deutschland zu
schaffen, dazu verstand er sich nicht. Er bekämpfte die preußische Politik unter
Radowitz im Bunde mit den Mittelstaaten. Die Kleinstaaten sollten faktisch
mediatisiert und der Souveränität der Königreiche unterstellt werden. Im
Bundeszentralorgan, bestehend aus einem Königskollegium und einer Ver¬
tretung der Kammern und Regierungen, sollten nur Österreich, Preußen,
Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover vertreten sein, und der Bund
sollte zu einem leistungsfähigen Gesamtkörper gestaltet werden. Der öster¬
reichische Handelsminister Brück entwickelte ein Programm, das bei seiner
Durchführung die heute wieder erstrebte mitteleuropäische Wirtschafts- und
Militäreinheit auf der Grundlage dieses sechsköpfigen Staatenbundes ver¬
wirklicht hätte. Aber Schwarzenberg nahm an diesen Plänen keinen inneren
Anteil. Er benutzte sie bloß zur Bekämpfung Preußens. Über den deutschen
Nationalgedanken dachte er skeptisch und begnügte sich nach dem Siege über
Preußen, als auf den Dresdner Konferenzen 1851 sich den Bruckschen Wirt-
schastsplänen Widerstände entgegenstellten, mit der einfachen Wiederherstellung
des alten Bundestages in Frankfurt. Schwarzenbergs früher Tod beraubte
überdies Österreich bald dieses kraftvollen Führers, und die Leistungsfähigkeit
der zentralisierten neu-österreichischen Staatsmacht nahm von da an ganz all¬
mählich ab bis zur Katastrophe von 1866, die den Kaiserstaat zur heutigen
österreichisch-ungarischen Monarchie umgestaltete. Die positive Lösung der
deutschen Frage, die Österreich kurz vorher noch einmal versuchte, ging nicht in
den Bahnen der Schwarzenbergschen Machtpolitik, sondern hoffte wie die
Frankfurter Großdeutschen von 1848 auf eine Reform des unreformierbaren
Deutschen Bundes. Der leitende Geist dieser Pläne war denn auch derselbe
Minister Schmerling, der schon in der Paulskirche das kleindeutsche Programm
der Erbkaiserpartei bekämpft hatte. Auf dem Frankfurter Fürstentag von 1863
beantragte er ein fünfköpfiges Direktorium, eine Delegiertenversammlung aus
den Einzellandtagen mit beratender Stimme, ein Bundesgericht und für
wichtige Angelegenheiten periodische Fürstenkongresse. Der Geist Schwarzen¬
bergs, der in der Macht den Quell politischer Gestaltung erkannte, lebte in diesen
Versuchen nicht mehr. Inzwischen war seine Erkenntnis in Preußen aufgegangen.


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[0306] Bismarckgeist ihrer Pläne, aber nicht die Einsicht in die machtpolitischen Realitäten. In dieser Beziehung hatten sie mehr Bismarckgeist als andere achtundvierziger Politiker. Der eigentliche Sieger in der ganzen Bewegung der Jahre 1848 bis 1850 war die durch den Fürsten Felix Schwarzenberg erneuerte österreichische Staats¬ macht. An ihr scheiterte die preußische Unionspolitik. Schwarzenberg wäre wahrscheinlich in der Lage gewesen, die deutsche Frage im österreichischen Sinne zu lösen, wenn er dieser Ausgabe das nötige Interesse entgegengebracht hätte. Er ist an realpolitischer Tatkraft mit Bismarck zu vergleichen, aber ihm fehlte die Überzeugung von einem deutschen Beruf Österreichs. Seine deutsche Politik verstand es meisterhaft, dem preußischen Konkurrenten die Waffen aus der Hand zu schlagen, aber nach dem Stege nun selbst ein neues Deutschland zu schaffen, dazu verstand er sich nicht. Er bekämpfte die preußische Politik unter Radowitz im Bunde mit den Mittelstaaten. Die Kleinstaaten sollten faktisch mediatisiert und der Souveränität der Königreiche unterstellt werden. Im Bundeszentralorgan, bestehend aus einem Königskollegium und einer Ver¬ tretung der Kammern und Regierungen, sollten nur Österreich, Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover vertreten sein, und der Bund sollte zu einem leistungsfähigen Gesamtkörper gestaltet werden. Der öster¬ reichische Handelsminister Brück entwickelte ein Programm, das bei seiner Durchführung die heute wieder erstrebte mitteleuropäische Wirtschafts- und Militäreinheit auf der Grundlage dieses sechsköpfigen Staatenbundes ver¬ wirklicht hätte. Aber Schwarzenberg nahm an diesen Plänen keinen inneren Anteil. Er benutzte sie bloß zur Bekämpfung Preußens. Über den deutschen Nationalgedanken dachte er skeptisch und begnügte sich nach dem Siege über Preußen, als auf den Dresdner Konferenzen 1851 sich den Bruckschen Wirt- schastsplänen Widerstände entgegenstellten, mit der einfachen Wiederherstellung des alten Bundestages in Frankfurt. Schwarzenbergs früher Tod beraubte überdies Österreich bald dieses kraftvollen Führers, und die Leistungsfähigkeit der zentralisierten neu-österreichischen Staatsmacht nahm von da an ganz all¬ mählich ab bis zur Katastrophe von 1866, die den Kaiserstaat zur heutigen österreichisch-ungarischen Monarchie umgestaltete. Die positive Lösung der deutschen Frage, die Österreich kurz vorher noch einmal versuchte, ging nicht in den Bahnen der Schwarzenbergschen Machtpolitik, sondern hoffte wie die Frankfurter Großdeutschen von 1848 auf eine Reform des unreformierbaren Deutschen Bundes. Der leitende Geist dieser Pläne war denn auch derselbe Minister Schmerling, der schon in der Paulskirche das kleindeutsche Programm der Erbkaiserpartei bekämpft hatte. Auf dem Frankfurter Fürstentag von 1863 beantragte er ein fünfköpfiges Direktorium, eine Delegiertenversammlung aus den Einzellandtagen mit beratender Stimme, ein Bundesgericht und für wichtige Angelegenheiten periodische Fürstenkongresse. Der Geist Schwarzen¬ bergs, der in der Macht den Quell politischer Gestaltung erkannte, lebte in diesen Versuchen nicht mehr. Inzwischen war seine Erkenntnis in Preußen aufgegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/306>, abgerufen am 23.07.2024.