Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.Bismarckgeist einer eigentlich leitenden Stellung ja nicht hat bringen können. Als Mann der Daß die deutsche Frage wirklich nur durch Blut und Eisen gelöst werden Bismarckgeist einer eigentlich leitenden Stellung ja nicht hat bringen können. Als Mann der Daß die deutsche Frage wirklich nur durch Blut und Eisen gelöst werden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330843"/> <fw type="header" place="top"> Bismarckgeist</fw><lb/> <p xml:id="ID_968" prev="#ID_967"> einer eigentlich leitenden Stellung ja nicht hat bringen können. Als Mann der<lb/> Tat reicht er, wie alle andern, an Bismarck nicht heran. Auch er war ein<lb/> Politiker von ethischen Grundansichten. Er teilte die großdeutsch-christlich¬<lb/> universalistischen Ideen seines gekrönten Freundes, war aber weniger Romantiker<lb/> und besaß einen klareren Blick für das Mögliche und für gangbare Wege zum<lb/> Ziel. Wie für den König seine romantische Religiosität, so ist für Radowitz<lb/> bezeichnend, daß er bewußter politischer Katholik, als Abgeordneter in Frankfurt<lb/> Führer des dortigen katholischen Vereins war. Der Vorteil, den der Katholik<lb/> vor dem evangelischen Romantiker in der Politik hat, liegt auf der Hand.<lb/> Denn die katholische Kirche vereinigt in einer Weise, die nicht leicht wieder zu<lb/> erreichen ist, eine ethisch-dogmatische Weltansicht mit dem Instinkt für Praxis<lb/> und Macht, wobei diese als Mittel zum Zweck in die Weltanschauung selber<lb/> eingeordnet werden. Radowitz konnte sich so bei völlig fremden Prinzipien in<lb/> manchen Punkten mit Dönhosf berühren. Auch er gedachte durch Spezial-<lb/> vereine von praktischen Bedürfnissen aus der deutschen Einheit Schritt für<lb/> Schritt näher zu kommen, und auch er wußte, daß man nur ohne oder gegen<lb/> Osterreich etwas erreichen konnte. Trotzdem glaubte er dann wieder an eine<lb/> höhere europäische Zusammengehörigkeit des erst unter sich geeinigten kleineren<lb/> Deutschlands mit Österreich. Der engere Bund sollte von einem weiteren um¬<lb/> schlossen sein. Diese Situation des jetzigen Weltkrieges hat, wie er, auch<lb/> Gagern vorausgeahnt, und Camphausen hat sie als möglich gelten lassen.<lb/> Zur Ausführung seiner Pläne ist Radowitz freilich zuletzt doch nicht imstande<lb/> gewesen, weil sich Preußen vor einem Krieg gegen Österreich als der Konsequenz<lb/> seiner Unionspolitek damals scheute und sich in Olmütz der siegreichen Staats¬<lb/> kunst des Fürsten Schwarzenberg unterwarf. Erst das rücksichtslose Bekenntnis<lb/> zum entschiedenen Machtprinzip in der deutschen Politik Preußens hat ihr<lb/> nachher unter Bismarck den Sieg verschafft.</p><lb/> <p xml:id="ID_969" next="#ID_970"> Daß die deutsche Frage wirklich nur durch Blut und Eisen gelöst werden<lb/> könne, das haben unter den Politikern von 1848 eigentlich nur die reinen<lb/> Revolutionäre, die Republikaner der Paulskirche und vor allem die Führer der<lb/> verschiedenen sächsisch-südwestdeutschen Aufstände erkannt. Diese Radikalen er¬<lb/> strebten die Verjagung sämtlicher Fürsten und die Umwandlung Deutschlands<lb/> in eine unitarische Republik. Als die Nationalversammlung für konstituierend<lb/> und souverän erklärt wurde, machte Otto von Corvin, der schon im April 1848<lb/> als einer der Führer des ersten badischen Aufstandes hervorgetreten war, den<lb/> Vorschlag, sofort eine Armee unter dem Befehl der Frankfurter zu bilden, als<lb/> deren Grundstock tausende von brodlosen deutschen Arbeitern in Paris zur Ver¬<lb/> fügung standen. Auf dieser Seite sah man also ein, daß die Volksvertretung<lb/> niemals ihren Souveränitätsanspruch durchsetzen werde, wenn sie nicht für<lb/> eigene Machtmittel gegen die Einzelstaaten und Fürsten sorge. Die Paulskirche<lb/> hat das von vornherein nicht begriffen und von ihrem Standpunkt aus gar nicht<lb/> begreifen können. Den Radikalen fehlte alle wirkliche Macht zur Durchführung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0305]
Bismarckgeist
einer eigentlich leitenden Stellung ja nicht hat bringen können. Als Mann der
Tat reicht er, wie alle andern, an Bismarck nicht heran. Auch er war ein
Politiker von ethischen Grundansichten. Er teilte die großdeutsch-christlich¬
universalistischen Ideen seines gekrönten Freundes, war aber weniger Romantiker
und besaß einen klareren Blick für das Mögliche und für gangbare Wege zum
Ziel. Wie für den König seine romantische Religiosität, so ist für Radowitz
bezeichnend, daß er bewußter politischer Katholik, als Abgeordneter in Frankfurt
Führer des dortigen katholischen Vereins war. Der Vorteil, den der Katholik
vor dem evangelischen Romantiker in der Politik hat, liegt auf der Hand.
Denn die katholische Kirche vereinigt in einer Weise, die nicht leicht wieder zu
erreichen ist, eine ethisch-dogmatische Weltansicht mit dem Instinkt für Praxis
und Macht, wobei diese als Mittel zum Zweck in die Weltanschauung selber
eingeordnet werden. Radowitz konnte sich so bei völlig fremden Prinzipien in
manchen Punkten mit Dönhosf berühren. Auch er gedachte durch Spezial-
vereine von praktischen Bedürfnissen aus der deutschen Einheit Schritt für
Schritt näher zu kommen, und auch er wußte, daß man nur ohne oder gegen
Osterreich etwas erreichen konnte. Trotzdem glaubte er dann wieder an eine
höhere europäische Zusammengehörigkeit des erst unter sich geeinigten kleineren
Deutschlands mit Österreich. Der engere Bund sollte von einem weiteren um¬
schlossen sein. Diese Situation des jetzigen Weltkrieges hat, wie er, auch
Gagern vorausgeahnt, und Camphausen hat sie als möglich gelten lassen.
Zur Ausführung seiner Pläne ist Radowitz freilich zuletzt doch nicht imstande
gewesen, weil sich Preußen vor einem Krieg gegen Österreich als der Konsequenz
seiner Unionspolitek damals scheute und sich in Olmütz der siegreichen Staats¬
kunst des Fürsten Schwarzenberg unterwarf. Erst das rücksichtslose Bekenntnis
zum entschiedenen Machtprinzip in der deutschen Politik Preußens hat ihr
nachher unter Bismarck den Sieg verschafft.
Daß die deutsche Frage wirklich nur durch Blut und Eisen gelöst werden
könne, das haben unter den Politikern von 1848 eigentlich nur die reinen
Revolutionäre, die Republikaner der Paulskirche und vor allem die Führer der
verschiedenen sächsisch-südwestdeutschen Aufstände erkannt. Diese Radikalen er¬
strebten die Verjagung sämtlicher Fürsten und die Umwandlung Deutschlands
in eine unitarische Republik. Als die Nationalversammlung für konstituierend
und souverän erklärt wurde, machte Otto von Corvin, der schon im April 1848
als einer der Führer des ersten badischen Aufstandes hervorgetreten war, den
Vorschlag, sofort eine Armee unter dem Befehl der Frankfurter zu bilden, als
deren Grundstock tausende von brodlosen deutschen Arbeitern in Paris zur Ver¬
fügung standen. Auf dieser Seite sah man also ein, daß die Volksvertretung
niemals ihren Souveränitätsanspruch durchsetzen werde, wenn sie nicht für
eigene Machtmittel gegen die Einzelstaaten und Fürsten sorge. Die Paulskirche
hat das von vornherein nicht begriffen und von ihrem Standpunkt aus gar nicht
begreifen können. Den Radikalen fehlte alle wirkliche Macht zur Durchführung
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