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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckgeist

Pathos vor. Ganz charakteristisch hierfür ist das Ideal, das die Brust des
Fürsten erfüllte, dem man damals die deutsche Kaiserkrone zudachte. Friedrich
Wilhelm der Vierte ersehnte die Wiederherstellung des universalen christlichen
Kaisertums und sah in ihm einen Eckstein von Gottes Ordnung auf Erden.
Das Haus Österreich besaß den alleinigen Anspruch auf diese geweihte Krone.
Darum hielt es der König für Usurpation, nach ihr zu greifen, wenn nicht der
rechtmäßige Träger unzweideutig und freiwillig auf sie verzichtete. Er war
folgerichtig durch alle Wechselfälle der Jahre 1848 und 1849, durch alles
Zureden wohlmeinender Parteiführer und Minister nicht dazu zu bringen, eine
deutsche Politik ohne Rücksicht auf Österreich oder gar gegen dieses zu treiben.
An dieser sittlichen nationalen Überzeugung des Königs ist das Verfassungswerk
der Paulskirche, nachdem über tausend Hindernisse hinweg doch etwas zustande
zu kommen schien, gescheitert. Dabei waren die Staatsmänner, die Friedrich
Wilhelm auf die Bahn einer deutschen Politik vom preußischen Gesichtspunkte
ans zu drängen suchten, ihrerseits durchaus keine Propheten des nackten Staats¬
egoismus. Auch sie hofften ohne Blut und Eisen, durch Verträge, die
niemandem sehr weh tun sollten, und durch freiwillige Vereinbarung eine
deutsche Einheit aufrichten zu können.

Das Jahr 1848 kennt in der preußischen Politik noch keinen Bismarck-
geist, wenn es auch nicht ganz an Staatsmännern fehlte, die die Lösung der
deutschen Frage mit richtigerer Einschätzung machtpolitischer Gesichtspunkte be¬
urteilten. Zu ihnen gehörte der preußische Bundestagsgesandte Graf Dönhoff.
Es ist bezeichnend, daß dieser Mann an derselben Stelle stand, an der später
Bismarck das deutsche Problem mit durchdringender Einsicht studierte. Wir
haben die Kopie einer Denkschrift Dönhoffs schon vom September 1847*),
worin er eine Förderung der deutschen Einheit ohne und selbst gegen Österreich
mittels Aufrichtung von SpezialVereinen mit andern deutschen Staaten nach
dem Muster des Zollvereins empfahl. Wie in diesem für die Zollpolitik, so
sollten nach und nach für andere Kompetenzen parallele Verbände geschaffen
werden und in dieser Weise allmählich eine deutsche Einheit nach praktischen
Interessen unter rein preußischer Führung erwachsen. Die in Deutschland
damals noch ungewohnte ökonomisch-praktische Begründung der nationalen
Politik klingt hier also deutlich durch. Nicht von der nationalen Idee, sondern
von den Notwendigkeiten der Wirtschaft, Verwaltung, Landesverteidigung und
vom Interesse Preußens geht Dönhoff ans. Er ist sich Aar, daß solche Politik
nur gegen Österreich gemacht werden könne, nur hofft er etwas optimistisch,
der Kaiserstaat werde ihre Ergebnisse schließlich wie den Zollverein still¬
schweigend anerkennen. Die Denkschrift hatte an maßgebender Stelle keinen
Erfolg. Aber als ein halbes Jahr später die Funken der Februarrevolution
über den Rhein flogen und in Deutschland zündeten, da hielt Dönhoff seine



") Aus dem Nachlaß Ludolf Camphansens, veröffentlicht von Erich Brandenburg,
"Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung" 1916, Seite 243 ff.
19*
Bismarckgeist

Pathos vor. Ganz charakteristisch hierfür ist das Ideal, das die Brust des
Fürsten erfüllte, dem man damals die deutsche Kaiserkrone zudachte. Friedrich
Wilhelm der Vierte ersehnte die Wiederherstellung des universalen christlichen
Kaisertums und sah in ihm einen Eckstein von Gottes Ordnung auf Erden.
Das Haus Österreich besaß den alleinigen Anspruch auf diese geweihte Krone.
Darum hielt es der König für Usurpation, nach ihr zu greifen, wenn nicht der
rechtmäßige Träger unzweideutig und freiwillig auf sie verzichtete. Er war
folgerichtig durch alle Wechselfälle der Jahre 1848 und 1849, durch alles
Zureden wohlmeinender Parteiführer und Minister nicht dazu zu bringen, eine
deutsche Politik ohne Rücksicht auf Österreich oder gar gegen dieses zu treiben.
An dieser sittlichen nationalen Überzeugung des Königs ist das Verfassungswerk
der Paulskirche, nachdem über tausend Hindernisse hinweg doch etwas zustande
zu kommen schien, gescheitert. Dabei waren die Staatsmänner, die Friedrich
Wilhelm auf die Bahn einer deutschen Politik vom preußischen Gesichtspunkte
ans zu drängen suchten, ihrerseits durchaus keine Propheten des nackten Staats¬
egoismus. Auch sie hofften ohne Blut und Eisen, durch Verträge, die
niemandem sehr weh tun sollten, und durch freiwillige Vereinbarung eine
deutsche Einheit aufrichten zu können.

Das Jahr 1848 kennt in der preußischen Politik noch keinen Bismarck-
geist, wenn es auch nicht ganz an Staatsmännern fehlte, die die Lösung der
deutschen Frage mit richtigerer Einschätzung machtpolitischer Gesichtspunkte be¬
urteilten. Zu ihnen gehörte der preußische Bundestagsgesandte Graf Dönhoff.
Es ist bezeichnend, daß dieser Mann an derselben Stelle stand, an der später
Bismarck das deutsche Problem mit durchdringender Einsicht studierte. Wir
haben die Kopie einer Denkschrift Dönhoffs schon vom September 1847*),
worin er eine Förderung der deutschen Einheit ohne und selbst gegen Österreich
mittels Aufrichtung von SpezialVereinen mit andern deutschen Staaten nach
dem Muster des Zollvereins empfahl. Wie in diesem für die Zollpolitik, so
sollten nach und nach für andere Kompetenzen parallele Verbände geschaffen
werden und in dieser Weise allmählich eine deutsche Einheit nach praktischen
Interessen unter rein preußischer Führung erwachsen. Die in Deutschland
damals noch ungewohnte ökonomisch-praktische Begründung der nationalen
Politik klingt hier also deutlich durch. Nicht von der nationalen Idee, sondern
von den Notwendigkeiten der Wirtschaft, Verwaltung, Landesverteidigung und
vom Interesse Preußens geht Dönhoff ans. Er ist sich Aar, daß solche Politik
nur gegen Österreich gemacht werden könne, nur hofft er etwas optimistisch,
der Kaiserstaat werde ihre Ergebnisse schließlich wie den Zollverein still¬
schweigend anerkennen. Die Denkschrift hatte an maßgebender Stelle keinen
Erfolg. Aber als ein halbes Jahr später die Funken der Februarrevolution
über den Rhein flogen und in Deutschland zündeten, da hielt Dönhoff seine



") Aus dem Nachlaß Ludolf Camphansens, veröffentlicht von Erich Brandenburg,
„Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung" 1916, Seite 243 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/303>, abgerufen am 23.07.2024.