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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des warschauer deutschen Ieitungswescns

genauer kennen zu lernen und daß bey vielen auf die Unwissenheit sich
gründende Vorurtheil, als wenn die Polen keine Skribenten hätten, abzulegen".

Fast gleichzeitig mit Mitzlers "Warschauer Bibliothek" erschien das "Journal
literaire de Pologne", ebenfalls herausgegeben von einem Manne deutscher Ab¬
stammung. Dies war Christian Boguslav Friese, ein geborener Sachse. Frieses
Vater siedelte im achtzehnten Jahrhundert nach Polen über und zog nach
Warschau. Als Protestant wurde er hier ein Schirmherr der evangelischen
Konfession und zur Zeit Poniatowskis Förderer der Dissidentenrechte in Polen.
Der junge Friese eröffnete seine literarische Tätigkeit mit einer Dissertation
über eines der ältesten griechischen Bücher, die in Polen gedruckt worden sind,
über die "Kommentarien zu Aristoteles", die Georg Libanus, Professor an der
Krakauer Akademie, 1537 herausgegeben hatte. Nachdem Friese dann Sekretär
des Großmarschalls Bielinski geworden war, kam er auf den Gedanken, eine
Zeitschrift zu gründen. Er begriff sehr wohl, daß die Zeitungen Mitzlers zum
großen Teil nur deshalb einen so geringen Erfolg hatten, weil die deutsche
Sprache den polnischen Gelehrten zumeist fremd war. So beschloß er, eine
französische Zeitschrift ins Leben zu rufen, und auf diese Weise trat er, der
Deutsche, mit Mitzler, dem Deutschen, in Wettbewerb. Der erste Band der
neuen Zeitschrift erschien im September 1754 und umfaßte zweihundertzweiund-
siebzig Seiten. In jedem Jahre sollten zwei Bände erscheinen, aber im ganzen
sind überhaupt nur zwei herausgekommen, von denen indessen bisher bloß einer
bekannt geworden ist. Es ist im Grunde eine neue Auflage der "Warschauer
Bibliothek" und kann daher in seiner ganzen Struktur als ein deutsches Er¬
zeugnis angesehen werden^ Auch Frieses Kritik ist ganz blaß und allgemein.
Trotzdem wurde auch an diesem Organ von den Polen etwas Anstößiges ge¬
funden, so daß Mitzler recht zu haben schien, wenn er damals sagte: "Nelius
L83S in polonia tacere quam herbere".

Ein Jahr nach der Thronbesteigung Poniatowskis, im Jahre 1765, er¬
schien die erste Nummer einer polnischen moralischen Wochenschrift, die sich
das größte Verdienst um das bürgerliche und geistige Leben in Polen erwarb
und die mithalf, den Boden zu bereiten, aus dem im Jahre 1791 die Kon¬
stitution vom 3. Mai emporwuchs. Es war dies der "Monitor", der, bis zum
Jahre 1784 erschienen, zu den wenigen Zeitschriften in Polen gehört, die sich
über einen Zeitraum von mehreren Jahren erhalten konnten. Ein um so
ehrenvolleres Zeugnis für den Herausgeber und namentlich für seine Leser, als
jener aus seinem Herzen keine Mördergrube machte und mit diesen und ihren
Sitten und Gebräuchen sehr scharf ins Gericht ging. Herausgegeben wurde
die Wochenschrift von dem Jesuiten und späteren königlichen Rat Franz
Bohomolez, der zu den regsten und erfolgreichsten Mitarbeitern Poniatowskis
bei dem von dem König beabsichtigten Reformwerk in Polen gehörte. Der
"Monitor" erschien in der Mitzlerschen Druckerei und Mitzler, der so eifrig
bemüht war, sein geliebtes Polen in Deutschland bekannt zu machen, ist es


Zur Geschichte des warschauer deutschen Ieitungswescns

genauer kennen zu lernen und daß bey vielen auf die Unwissenheit sich
gründende Vorurtheil, als wenn die Polen keine Skribenten hätten, abzulegen".

Fast gleichzeitig mit Mitzlers „Warschauer Bibliothek" erschien das „Journal
literaire de Pologne", ebenfalls herausgegeben von einem Manne deutscher Ab¬
stammung. Dies war Christian Boguslav Friese, ein geborener Sachse. Frieses
Vater siedelte im achtzehnten Jahrhundert nach Polen über und zog nach
Warschau. Als Protestant wurde er hier ein Schirmherr der evangelischen
Konfession und zur Zeit Poniatowskis Förderer der Dissidentenrechte in Polen.
Der junge Friese eröffnete seine literarische Tätigkeit mit einer Dissertation
über eines der ältesten griechischen Bücher, die in Polen gedruckt worden sind,
über die „Kommentarien zu Aristoteles", die Georg Libanus, Professor an der
Krakauer Akademie, 1537 herausgegeben hatte. Nachdem Friese dann Sekretär
des Großmarschalls Bielinski geworden war, kam er auf den Gedanken, eine
Zeitschrift zu gründen. Er begriff sehr wohl, daß die Zeitungen Mitzlers zum
großen Teil nur deshalb einen so geringen Erfolg hatten, weil die deutsche
Sprache den polnischen Gelehrten zumeist fremd war. So beschloß er, eine
französische Zeitschrift ins Leben zu rufen, und auf diese Weise trat er, der
Deutsche, mit Mitzler, dem Deutschen, in Wettbewerb. Der erste Band der
neuen Zeitschrift erschien im September 1754 und umfaßte zweihundertzweiund-
siebzig Seiten. In jedem Jahre sollten zwei Bände erscheinen, aber im ganzen
sind überhaupt nur zwei herausgekommen, von denen indessen bisher bloß einer
bekannt geworden ist. Es ist im Grunde eine neue Auflage der „Warschauer
Bibliothek" und kann daher in seiner ganzen Struktur als ein deutsches Er¬
zeugnis angesehen werden^ Auch Frieses Kritik ist ganz blaß und allgemein.
Trotzdem wurde auch an diesem Organ von den Polen etwas Anstößiges ge¬
funden, so daß Mitzler recht zu haben schien, wenn er damals sagte: „Nelius
L83S in polonia tacere quam herbere".

Ein Jahr nach der Thronbesteigung Poniatowskis, im Jahre 1765, er¬
schien die erste Nummer einer polnischen moralischen Wochenschrift, die sich
das größte Verdienst um das bürgerliche und geistige Leben in Polen erwarb
und die mithalf, den Boden zu bereiten, aus dem im Jahre 1791 die Kon¬
stitution vom 3. Mai emporwuchs. Es war dies der „Monitor", der, bis zum
Jahre 1784 erschienen, zu den wenigen Zeitschriften in Polen gehört, die sich
über einen Zeitraum von mehreren Jahren erhalten konnten. Ein um so
ehrenvolleres Zeugnis für den Herausgeber und namentlich für seine Leser, als
jener aus seinem Herzen keine Mördergrube machte und mit diesen und ihren
Sitten und Gebräuchen sehr scharf ins Gericht ging. Herausgegeben wurde
die Wochenschrift von dem Jesuiten und späteren königlichen Rat Franz
Bohomolez, der zu den regsten und erfolgreichsten Mitarbeitern Poniatowskis
bei dem von dem König beabsichtigten Reformwerk in Polen gehörte. Der
„Monitor" erschien in der Mitzlerschen Druckerei und Mitzler, der so eifrig
bemüht war, sein geliebtes Polen in Deutschland bekannt zu machen, ist es


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[0285] Zur Geschichte des warschauer deutschen Ieitungswescns genauer kennen zu lernen und daß bey vielen auf die Unwissenheit sich gründende Vorurtheil, als wenn die Polen keine Skribenten hätten, abzulegen". Fast gleichzeitig mit Mitzlers „Warschauer Bibliothek" erschien das „Journal literaire de Pologne", ebenfalls herausgegeben von einem Manne deutscher Ab¬ stammung. Dies war Christian Boguslav Friese, ein geborener Sachse. Frieses Vater siedelte im achtzehnten Jahrhundert nach Polen über und zog nach Warschau. Als Protestant wurde er hier ein Schirmherr der evangelischen Konfession und zur Zeit Poniatowskis Förderer der Dissidentenrechte in Polen. Der junge Friese eröffnete seine literarische Tätigkeit mit einer Dissertation über eines der ältesten griechischen Bücher, die in Polen gedruckt worden sind, über die „Kommentarien zu Aristoteles", die Georg Libanus, Professor an der Krakauer Akademie, 1537 herausgegeben hatte. Nachdem Friese dann Sekretär des Großmarschalls Bielinski geworden war, kam er auf den Gedanken, eine Zeitschrift zu gründen. Er begriff sehr wohl, daß die Zeitungen Mitzlers zum großen Teil nur deshalb einen so geringen Erfolg hatten, weil die deutsche Sprache den polnischen Gelehrten zumeist fremd war. So beschloß er, eine französische Zeitschrift ins Leben zu rufen, und auf diese Weise trat er, der Deutsche, mit Mitzler, dem Deutschen, in Wettbewerb. Der erste Band der neuen Zeitschrift erschien im September 1754 und umfaßte zweihundertzweiund- siebzig Seiten. In jedem Jahre sollten zwei Bände erscheinen, aber im ganzen sind überhaupt nur zwei herausgekommen, von denen indessen bisher bloß einer bekannt geworden ist. Es ist im Grunde eine neue Auflage der „Warschauer Bibliothek" und kann daher in seiner ganzen Struktur als ein deutsches Er¬ zeugnis angesehen werden^ Auch Frieses Kritik ist ganz blaß und allgemein. Trotzdem wurde auch an diesem Organ von den Polen etwas Anstößiges ge¬ funden, so daß Mitzler recht zu haben schien, wenn er damals sagte: „Nelius L83S in polonia tacere quam herbere". Ein Jahr nach der Thronbesteigung Poniatowskis, im Jahre 1765, er¬ schien die erste Nummer einer polnischen moralischen Wochenschrift, die sich das größte Verdienst um das bürgerliche und geistige Leben in Polen erwarb und die mithalf, den Boden zu bereiten, aus dem im Jahre 1791 die Kon¬ stitution vom 3. Mai emporwuchs. Es war dies der „Monitor", der, bis zum Jahre 1784 erschienen, zu den wenigen Zeitschriften in Polen gehört, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erhalten konnten. Ein um so ehrenvolleres Zeugnis für den Herausgeber und namentlich für seine Leser, als jener aus seinem Herzen keine Mördergrube machte und mit diesen und ihren Sitten und Gebräuchen sehr scharf ins Gericht ging. Herausgegeben wurde die Wochenschrift von dem Jesuiten und späteren königlichen Rat Franz Bohomolez, der zu den regsten und erfolgreichsten Mitarbeitern Poniatowskis bei dem von dem König beabsichtigten Reformwerk in Polen gehörte. Der „Monitor" erschien in der Mitzlerschen Druckerei und Mitzler, der so eifrig bemüht war, sein geliebtes Polen in Deutschland bekannt zu machen, ist es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/285>, abgerufen am 23.07.2024.