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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungswesens

bei seinen Lebzeiten die Werke ihres Mannes Bogen für Bogen als wertlose
Makulatur an die Juden verkaufte.

Neben Naturwissenschaften und Medizin berücksichtigt die "Warschauer
Bibliothek" am meisten die Geschichte Polens. Unter den übrigen wissen¬
schaftlichen Gebieten behandelte Mitzler vor allem die Bibliographie, wofür
ihm das Material aus zeitgenössischen bibliographischen Werken von Zaluski
und Janocki. Bibliothekar an der Zaluskischen Bibliothek, geliefert wurde.
Theologie, Philosophie, Philologie, Rechtswissenschaft u. a. sind stiefmütterlich
bedacht. Am Ende jeden Heftes gab er als eine Art entschuldigender Er¬
gänzung eine Bibliographie von Neuerscheinungen der verschiedenen Wissens¬
gebiete und von Zeit zu Zeit Notizen über deren Inhalt. Über theologische
Werke und Predigten wollte er nichts als die Titel geben, weil "unser Beruf
nicht ist, Sünder zu bekehren, sondern Wissenschafften und Litteratur in Pohlen
erweitern zu helfen, wer also mehr von den Predigten wissen will, der muß
sie selbst lesen". Bei philosophischen Werken kam es wohl vor, daß er mehr
als den Titel gab, und bei einer Arbeit über die Philosophie Christian Wolffs
fügte er einiges über deren Verbreitung in Polen hinzu und bemerkte stolz,
daß er "einer der ersten Apostel der Wolffischen Philosophie in Pohlen" ge¬
wesen sei.

Am wenigsten beschäftigte sich die "Bibliothek" mit Poesie. Nur wenige
Notizen über lateinische und polnische Dichtungen sind über die Hefte aus¬
gestreut. Wie bezeichnend aber ist es, daß Mitzler nur zwei Dichter lobt, und
zwar seinen Gönner und Freund Zaluski, der. eine Bibliographie in Versen
schrieb, und die Werke Elschbieta Druschbazkas! Die Arbeiten dieser be¬
rühmtesten polnischen Dichterin wären vermutlich unbekannt geblieben, wenn nicht
der stets bereite Mäcen Zaluski seine Sammlung von "Rythmen lebender
Dichter" mit ihren Gedichten eröffnet hätte. Wird schon dadurch das Lob des
im Grunde amusischen Mitzler verständlich, so leuchtet es uns weiter ein, wenn
wir daran denken, daß auch die Druschbazka mit ihren stets hervortretenden
didaktischen Absichten ganz in der plattesten Aufklärung wurzelt und z. B. Ge¬
dichte an einen Krakauer Bischof ihrer Zeit, der den Glauben an Gespenster
und Teufel austreiben sollte, veröffentlichte, sowie an einen Referendar, der
die verschlafenen Köpfe geweckt hatte. Genau so wenig ausführlich äußert sich
Mitzler über die zeitgenössischen und literarischen Bewegungen und über den
Zustand der Wissenschaften in Polen. Nur einmal, gleich im ersten Heft, läßt
er sich an der Spitze der Rubrik "Pohlnische gelehrte Neuigkeiten" über dies
höchst interessante Thema näher aus. Erscheint uns der Inhalt dieser
"Bibliothek" nicht gerade sehr abwechslungsreich, so ist auch die Darstellung
sehr weitschweifig und nur selten etwas gewürzt. An russische Bibltotheks-
besucher mit weitem Gewissen aus der jüngsten Vergangenheit werden wir er¬
innert, wenn sich Mitzler mit seltenem Sarkasmus über die Entwender von
Büchern aus der Zaluskischen Bibliothek äußert und betont, etwas wider den


Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungswesens

bei seinen Lebzeiten die Werke ihres Mannes Bogen für Bogen als wertlose
Makulatur an die Juden verkaufte.

Neben Naturwissenschaften und Medizin berücksichtigt die „Warschauer
Bibliothek" am meisten die Geschichte Polens. Unter den übrigen wissen¬
schaftlichen Gebieten behandelte Mitzler vor allem die Bibliographie, wofür
ihm das Material aus zeitgenössischen bibliographischen Werken von Zaluski
und Janocki. Bibliothekar an der Zaluskischen Bibliothek, geliefert wurde.
Theologie, Philosophie, Philologie, Rechtswissenschaft u. a. sind stiefmütterlich
bedacht. Am Ende jeden Heftes gab er als eine Art entschuldigender Er¬
gänzung eine Bibliographie von Neuerscheinungen der verschiedenen Wissens¬
gebiete und von Zeit zu Zeit Notizen über deren Inhalt. Über theologische
Werke und Predigten wollte er nichts als die Titel geben, weil „unser Beruf
nicht ist, Sünder zu bekehren, sondern Wissenschafften und Litteratur in Pohlen
erweitern zu helfen, wer also mehr von den Predigten wissen will, der muß
sie selbst lesen". Bei philosophischen Werken kam es wohl vor, daß er mehr
als den Titel gab, und bei einer Arbeit über die Philosophie Christian Wolffs
fügte er einiges über deren Verbreitung in Polen hinzu und bemerkte stolz,
daß er „einer der ersten Apostel der Wolffischen Philosophie in Pohlen" ge¬
wesen sei.

Am wenigsten beschäftigte sich die „Bibliothek" mit Poesie. Nur wenige
Notizen über lateinische und polnische Dichtungen sind über die Hefte aus¬
gestreut. Wie bezeichnend aber ist es, daß Mitzler nur zwei Dichter lobt, und
zwar seinen Gönner und Freund Zaluski, der. eine Bibliographie in Versen
schrieb, und die Werke Elschbieta Druschbazkas! Die Arbeiten dieser be¬
rühmtesten polnischen Dichterin wären vermutlich unbekannt geblieben, wenn nicht
der stets bereite Mäcen Zaluski seine Sammlung von „Rythmen lebender
Dichter" mit ihren Gedichten eröffnet hätte. Wird schon dadurch das Lob des
im Grunde amusischen Mitzler verständlich, so leuchtet es uns weiter ein, wenn
wir daran denken, daß auch die Druschbazka mit ihren stets hervortretenden
didaktischen Absichten ganz in der plattesten Aufklärung wurzelt und z. B. Ge¬
dichte an einen Krakauer Bischof ihrer Zeit, der den Glauben an Gespenster
und Teufel austreiben sollte, veröffentlichte, sowie an einen Referendar, der
die verschlafenen Köpfe geweckt hatte. Genau so wenig ausführlich äußert sich
Mitzler über die zeitgenössischen und literarischen Bewegungen und über den
Zustand der Wissenschaften in Polen. Nur einmal, gleich im ersten Heft, läßt
er sich an der Spitze der Rubrik „Pohlnische gelehrte Neuigkeiten" über dies
höchst interessante Thema näher aus. Erscheint uns der Inhalt dieser
„Bibliothek" nicht gerade sehr abwechslungsreich, so ist auch die Darstellung
sehr weitschweifig und nur selten etwas gewürzt. An russische Bibltotheks-
besucher mit weitem Gewissen aus der jüngsten Vergangenheit werden wir er¬
innert, wenn sich Mitzler mit seltenem Sarkasmus über die Entwender von
Büchern aus der Zaluskischen Bibliothek äußert und betont, etwas wider den


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[0283] Zur Geschichte des Warschauer deutschen Zeitungswesens bei seinen Lebzeiten die Werke ihres Mannes Bogen für Bogen als wertlose Makulatur an die Juden verkaufte. Neben Naturwissenschaften und Medizin berücksichtigt die „Warschauer Bibliothek" am meisten die Geschichte Polens. Unter den übrigen wissen¬ schaftlichen Gebieten behandelte Mitzler vor allem die Bibliographie, wofür ihm das Material aus zeitgenössischen bibliographischen Werken von Zaluski und Janocki. Bibliothekar an der Zaluskischen Bibliothek, geliefert wurde. Theologie, Philosophie, Philologie, Rechtswissenschaft u. a. sind stiefmütterlich bedacht. Am Ende jeden Heftes gab er als eine Art entschuldigender Er¬ gänzung eine Bibliographie von Neuerscheinungen der verschiedenen Wissens¬ gebiete und von Zeit zu Zeit Notizen über deren Inhalt. Über theologische Werke und Predigten wollte er nichts als die Titel geben, weil „unser Beruf nicht ist, Sünder zu bekehren, sondern Wissenschafften und Litteratur in Pohlen erweitern zu helfen, wer also mehr von den Predigten wissen will, der muß sie selbst lesen". Bei philosophischen Werken kam es wohl vor, daß er mehr als den Titel gab, und bei einer Arbeit über die Philosophie Christian Wolffs fügte er einiges über deren Verbreitung in Polen hinzu und bemerkte stolz, daß er „einer der ersten Apostel der Wolffischen Philosophie in Pohlen" ge¬ wesen sei. Am wenigsten beschäftigte sich die „Bibliothek" mit Poesie. Nur wenige Notizen über lateinische und polnische Dichtungen sind über die Hefte aus¬ gestreut. Wie bezeichnend aber ist es, daß Mitzler nur zwei Dichter lobt, und zwar seinen Gönner und Freund Zaluski, der. eine Bibliographie in Versen schrieb, und die Werke Elschbieta Druschbazkas! Die Arbeiten dieser be¬ rühmtesten polnischen Dichterin wären vermutlich unbekannt geblieben, wenn nicht der stets bereite Mäcen Zaluski seine Sammlung von „Rythmen lebender Dichter" mit ihren Gedichten eröffnet hätte. Wird schon dadurch das Lob des im Grunde amusischen Mitzler verständlich, so leuchtet es uns weiter ein, wenn wir daran denken, daß auch die Druschbazka mit ihren stets hervortretenden didaktischen Absichten ganz in der plattesten Aufklärung wurzelt und z. B. Ge¬ dichte an einen Krakauer Bischof ihrer Zeit, der den Glauben an Gespenster und Teufel austreiben sollte, veröffentlichte, sowie an einen Referendar, der die verschlafenen Köpfe geweckt hatte. Genau so wenig ausführlich äußert sich Mitzler über die zeitgenössischen und literarischen Bewegungen und über den Zustand der Wissenschaften in Polen. Nur einmal, gleich im ersten Heft, läßt er sich an der Spitze der Rubrik „Pohlnische gelehrte Neuigkeiten" über dies höchst interessante Thema näher aus. Erscheint uns der Inhalt dieser „Bibliothek" nicht gerade sehr abwechslungsreich, so ist auch die Darstellung sehr weitschweifig und nur selten etwas gewürzt. An russische Bibltotheks- besucher mit weitem Gewissen aus der jüngsten Vergangenheit werden wir er¬ innert, wenn sich Mitzler mit seltenem Sarkasmus über die Entwender von Büchern aus der Zaluskischen Bibliothek äußert und betont, etwas wider den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/283>, abgerufen am 23.07.2024.