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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Ministerumwälzungen in Rußland

Frage, in der ausdrücklich festgestellt wird, daß die Mehrzahl der Polen auch
in Rußland sich auf die österreichisch-deutsche Seite gestellt haben, keiner
Erörterung mehr.

Das Ssasonowsche Projekt scheint polenfreundlicher gewesen zu sein als
die übrigen, genaues über seinen Inhalt wissen wir nicht. In der Minister¬
ratssitzung, in welcher über die verschiedenen Projekte abgestimmt worden ist
und in der Kryschanowsky, der antipolnische frühere Vorsitzende der russisch¬
polnischen Einigungskommission, eine Hauptrolle gespielt hat, ist das Projekt
Ssanonows verworfen und beschlossen worden, vorläufig nur eine Bekannt¬
machung zu erlassen, die den früheren nichtssagenden Aufruf des Großfürsten
Nikolai bekräftigt. Der Zar soll die Absicht haben, diese Beschlüsse zu
billigen.

Es liegt die Frage nahe, ob der Rücktritt Ssasonows und der Eintritt
Stürmers in das Ministerium irgendeine Änderung in der auswärtigen Politik
Rußlands herbeiführen kann. Wir finden verschiedentlich in auswärtigen Zei¬
tungen Ausführungen in diesem Sinne. Es werden Äußerungen extrem kon¬
servativer russischer Blätter, wie z. B. "swjet" und "Semschtschina" angeführt,
aus denen versucht wird, die Möglichkeit einer Änderung in der russischen
Politik durch Stürmer zu konstruieren. Man vergleiche dazu besonders die
Ausführungen des "Berner Bundes" vom 13. August 1916. Es erscheint mir
höchst zweifelhaft, ob eine solche Annahme auch nur den Schatten einer Berech¬
tigung hat. Die Äußerungen Stürmers, die bisher vorliegen, lassen jedenfalls
nicht darauf schließen, daß diese Ansichten richtig sind. In seiner bekannten
Erklärung nach der Rückkehr aus dem Hauptquartier findet sich der Passus:
"Deutschland hat den Krieg veranlaßt und führt ihn mit renommistischer Ver¬
achtung aller Kultur. Mag es dann auch die Folgen tragen. Unsere Ge¬
danken, Gefühle und Handlungen werden von einer einzigen gewaltigen Losung
diktiert: Krieg bis zum Ende. Das mir anvertraute Ministerium wird ohne
Zweifel alles tun, um den eingeschlagenen Weg Rußlands fest und klar weiter
An beschreiten." Im übrigen hat es allerdings Stürmer bisher abgelehnt, dieses
Thema weiter zu variieren. Mit Ausnahme einiger verstreuter Notizen in
ein paar ausgesuchten russischen Zeitungen ist nichts in die Öffentlichkeit ge¬
drungen. Die Notiz, die am Jahrestage des Kriegsbeginn in der "Nowoje
Wremja" und "Rußkoje Slovo" gleichlautend veröffentlicht worden ist, lautete
folgendermaßen: "An dem Tage, da/wir in das dritte Kriegsjahr eintreten,
ist die russische Regierung ebenso wie ihre treuen Alliierten mehr als je ent¬
schlossen, den Kampf gegen den Feind bis zum vollen und endgültigen Siege
fortzuführen." Sie ist sehr allgemein gehalten und hat die linksstehende
Presse in Rußland nicht beruhigt. Man befürchtet offenbar alles mögliche von
dem in den linksstehenden Schichten unsympathischen und in der äußeren Politik
uoch unbeschriebenen Stürmer. In der "Njetsch" heißt es sehr bezeichnend
über Stürmer:


Ministerumwälzungen in Rußland

Frage, in der ausdrücklich festgestellt wird, daß die Mehrzahl der Polen auch
in Rußland sich auf die österreichisch-deutsche Seite gestellt haben, keiner
Erörterung mehr.

Das Ssasonowsche Projekt scheint polenfreundlicher gewesen zu sein als
die übrigen, genaues über seinen Inhalt wissen wir nicht. In der Minister¬
ratssitzung, in welcher über die verschiedenen Projekte abgestimmt worden ist
und in der Kryschanowsky, der antipolnische frühere Vorsitzende der russisch¬
polnischen Einigungskommission, eine Hauptrolle gespielt hat, ist das Projekt
Ssanonows verworfen und beschlossen worden, vorläufig nur eine Bekannt¬
machung zu erlassen, die den früheren nichtssagenden Aufruf des Großfürsten
Nikolai bekräftigt. Der Zar soll die Absicht haben, diese Beschlüsse zu
billigen.

Es liegt die Frage nahe, ob der Rücktritt Ssasonows und der Eintritt
Stürmers in das Ministerium irgendeine Änderung in der auswärtigen Politik
Rußlands herbeiführen kann. Wir finden verschiedentlich in auswärtigen Zei¬
tungen Ausführungen in diesem Sinne. Es werden Äußerungen extrem kon¬
servativer russischer Blätter, wie z. B. „swjet" und „Semschtschina" angeführt,
aus denen versucht wird, die Möglichkeit einer Änderung in der russischen
Politik durch Stürmer zu konstruieren. Man vergleiche dazu besonders die
Ausführungen des „Berner Bundes" vom 13. August 1916. Es erscheint mir
höchst zweifelhaft, ob eine solche Annahme auch nur den Schatten einer Berech¬
tigung hat. Die Äußerungen Stürmers, die bisher vorliegen, lassen jedenfalls
nicht darauf schließen, daß diese Ansichten richtig sind. In seiner bekannten
Erklärung nach der Rückkehr aus dem Hauptquartier findet sich der Passus:
„Deutschland hat den Krieg veranlaßt und führt ihn mit renommistischer Ver¬
achtung aller Kultur. Mag es dann auch die Folgen tragen. Unsere Ge¬
danken, Gefühle und Handlungen werden von einer einzigen gewaltigen Losung
diktiert: Krieg bis zum Ende. Das mir anvertraute Ministerium wird ohne
Zweifel alles tun, um den eingeschlagenen Weg Rußlands fest und klar weiter
An beschreiten." Im übrigen hat es allerdings Stürmer bisher abgelehnt, dieses
Thema weiter zu variieren. Mit Ausnahme einiger verstreuter Notizen in
ein paar ausgesuchten russischen Zeitungen ist nichts in die Öffentlichkeit ge¬
drungen. Die Notiz, die am Jahrestage des Kriegsbeginn in der „Nowoje
Wremja" und „Rußkoje Slovo" gleichlautend veröffentlicht worden ist, lautete
folgendermaßen: „An dem Tage, da/wir in das dritte Kriegsjahr eintreten,
ist die russische Regierung ebenso wie ihre treuen Alliierten mehr als je ent¬
schlossen, den Kampf gegen den Feind bis zum vollen und endgültigen Siege
fortzuführen." Sie ist sehr allgemein gehalten und hat die linksstehende
Presse in Rußland nicht beruhigt. Man befürchtet offenbar alles mögliche von
dem in den linksstehenden Schichten unsympathischen und in der äußeren Politik
uoch unbeschriebenen Stürmer. In der „Njetsch" heißt es sehr bezeichnend
über Stürmer:


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[0272] Ministerumwälzungen in Rußland Frage, in der ausdrücklich festgestellt wird, daß die Mehrzahl der Polen auch in Rußland sich auf die österreichisch-deutsche Seite gestellt haben, keiner Erörterung mehr. Das Ssasonowsche Projekt scheint polenfreundlicher gewesen zu sein als die übrigen, genaues über seinen Inhalt wissen wir nicht. In der Minister¬ ratssitzung, in welcher über die verschiedenen Projekte abgestimmt worden ist und in der Kryschanowsky, der antipolnische frühere Vorsitzende der russisch¬ polnischen Einigungskommission, eine Hauptrolle gespielt hat, ist das Projekt Ssanonows verworfen und beschlossen worden, vorläufig nur eine Bekannt¬ machung zu erlassen, die den früheren nichtssagenden Aufruf des Großfürsten Nikolai bekräftigt. Der Zar soll die Absicht haben, diese Beschlüsse zu billigen. Es liegt die Frage nahe, ob der Rücktritt Ssasonows und der Eintritt Stürmers in das Ministerium irgendeine Änderung in der auswärtigen Politik Rußlands herbeiführen kann. Wir finden verschiedentlich in auswärtigen Zei¬ tungen Ausführungen in diesem Sinne. Es werden Äußerungen extrem kon¬ servativer russischer Blätter, wie z. B. „swjet" und „Semschtschina" angeführt, aus denen versucht wird, die Möglichkeit einer Änderung in der russischen Politik durch Stürmer zu konstruieren. Man vergleiche dazu besonders die Ausführungen des „Berner Bundes" vom 13. August 1916. Es erscheint mir höchst zweifelhaft, ob eine solche Annahme auch nur den Schatten einer Berech¬ tigung hat. Die Äußerungen Stürmers, die bisher vorliegen, lassen jedenfalls nicht darauf schließen, daß diese Ansichten richtig sind. In seiner bekannten Erklärung nach der Rückkehr aus dem Hauptquartier findet sich der Passus: „Deutschland hat den Krieg veranlaßt und führt ihn mit renommistischer Ver¬ achtung aller Kultur. Mag es dann auch die Folgen tragen. Unsere Ge¬ danken, Gefühle und Handlungen werden von einer einzigen gewaltigen Losung diktiert: Krieg bis zum Ende. Das mir anvertraute Ministerium wird ohne Zweifel alles tun, um den eingeschlagenen Weg Rußlands fest und klar weiter An beschreiten." Im übrigen hat es allerdings Stürmer bisher abgelehnt, dieses Thema weiter zu variieren. Mit Ausnahme einiger verstreuter Notizen in ein paar ausgesuchten russischen Zeitungen ist nichts in die Öffentlichkeit ge¬ drungen. Die Notiz, die am Jahrestage des Kriegsbeginn in der „Nowoje Wremja" und „Rußkoje Slovo" gleichlautend veröffentlicht worden ist, lautete folgendermaßen: „An dem Tage, da/wir in das dritte Kriegsjahr eintreten, ist die russische Regierung ebenso wie ihre treuen Alliierten mehr als je ent¬ schlossen, den Kampf gegen den Feind bis zum vollen und endgültigen Siege fortzuführen." Sie ist sehr allgemein gehalten und hat die linksstehende Presse in Rußland nicht beruhigt. Man befürchtet offenbar alles mögliche von dem in den linksstehenden Schichten unsympathischen und in der äußeren Politik uoch unbeschriebenen Stürmer. In der „Njetsch" heißt es sehr bezeichnend über Stürmer:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/272>, abgerufen am 23.07.2024.