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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Wir und die Chinesen

überschaut, sind die Chinesen ein Volk, das alle Hochachtung verdient und in
seiner kernigen, geschlossenen Art auch, für die Zukunft Großes verspricht" (Witte).

Mag eine eingehende Beschäftigung mit dem chinesischen Volkscharakter,
seinen guten und schlechten Eigenschaften, den uns sympathischen und un¬
sympathischen Zügen, des Raumes wegen einem späteren Aufsatze vorbehalten
bleiben. Worauf es mir heute ankam, war, darauf hinzuweisen, daß wir uns
entschieden davor hüten müssen, die Chinesen nur deswegen so einzuschätzen,
wie wir es nach den Erlebnissen der letzten Jahre bei den Japanern tun müssen,
weil sie wie diese Ostasiaten, Mongolen sind.

Wer mit den hier lebenden Chinesen verkehrt, weiß, daß manche von ihnen
die Befürchtung hegen, man könnte sie die an den Japanern erlebte Enttäuschung
durch eine allzu sehr betonte Reserviertheit und Kühle vergelten lassen. Diese
Befürchtung darf und soll meines Erachtens nicht aufkommen. Das weitgehende,
zum Teil allzu große Entgegenkommen, das den Japanern in jeder Hinficht,
insbesondere auch im gesellschaftlichen Verkehr erwiesen wurde, darf den Chinesen
gegenüber nicht ins völlige Gegenteil verkehrt werden. Alle Übertreibungen
sind von Nachteil, und kein gebildeter Chinese erwartet im Verkehr mit uns
eine wie immer geartete Überschwänglichkeit in Wort oder Tat (sie würde ihn
im Gegenteil in seiner ruhigen, bescheidenen Art nur verwirren und abstoßen),
aber was er mit Recht erwartet, ist, daß wir ihm ohne Voreingenommenheit,
ohne Mißtrauen, ohne Falsch begegnen, daß wir ihn weder unter- noch über¬
schätzen, sondern mit ihm in der Weise verkehren, wie zwei gebildete Menschen,
die Achtung voreinander hegen, zu tun pflegen.




Wir und die Chinesen

überschaut, sind die Chinesen ein Volk, das alle Hochachtung verdient und in
seiner kernigen, geschlossenen Art auch, für die Zukunft Großes verspricht" (Witte).

Mag eine eingehende Beschäftigung mit dem chinesischen Volkscharakter,
seinen guten und schlechten Eigenschaften, den uns sympathischen und un¬
sympathischen Zügen, des Raumes wegen einem späteren Aufsatze vorbehalten
bleiben. Worauf es mir heute ankam, war, darauf hinzuweisen, daß wir uns
entschieden davor hüten müssen, die Chinesen nur deswegen so einzuschätzen,
wie wir es nach den Erlebnissen der letzten Jahre bei den Japanern tun müssen,
weil sie wie diese Ostasiaten, Mongolen sind.

Wer mit den hier lebenden Chinesen verkehrt, weiß, daß manche von ihnen
die Befürchtung hegen, man könnte sie die an den Japanern erlebte Enttäuschung
durch eine allzu sehr betonte Reserviertheit und Kühle vergelten lassen. Diese
Befürchtung darf und soll meines Erachtens nicht aufkommen. Das weitgehende,
zum Teil allzu große Entgegenkommen, das den Japanern in jeder Hinficht,
insbesondere auch im gesellschaftlichen Verkehr erwiesen wurde, darf den Chinesen
gegenüber nicht ins völlige Gegenteil verkehrt werden. Alle Übertreibungen
sind von Nachteil, und kein gebildeter Chinese erwartet im Verkehr mit uns
eine wie immer geartete Überschwänglichkeit in Wort oder Tat (sie würde ihn
im Gegenteil in seiner ruhigen, bescheidenen Art nur verwirren und abstoßen),
aber was er mit Recht erwartet, ist, daß wir ihm ohne Voreingenommenheit,
ohne Mißtrauen, ohne Falsch begegnen, daß wir ihn weder unter- noch über¬
schätzen, sondern mit ihm in der Weise verkehren, wie zwei gebildete Menschen,
die Achtung voreinander hegen, zu tun pflegen.




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[0264] Wir und die Chinesen überschaut, sind die Chinesen ein Volk, das alle Hochachtung verdient und in seiner kernigen, geschlossenen Art auch, für die Zukunft Großes verspricht" (Witte). Mag eine eingehende Beschäftigung mit dem chinesischen Volkscharakter, seinen guten und schlechten Eigenschaften, den uns sympathischen und un¬ sympathischen Zügen, des Raumes wegen einem späteren Aufsatze vorbehalten bleiben. Worauf es mir heute ankam, war, darauf hinzuweisen, daß wir uns entschieden davor hüten müssen, die Chinesen nur deswegen so einzuschätzen, wie wir es nach den Erlebnissen der letzten Jahre bei den Japanern tun müssen, weil sie wie diese Ostasiaten, Mongolen sind. Wer mit den hier lebenden Chinesen verkehrt, weiß, daß manche von ihnen die Befürchtung hegen, man könnte sie die an den Japanern erlebte Enttäuschung durch eine allzu sehr betonte Reserviertheit und Kühle vergelten lassen. Diese Befürchtung darf und soll meines Erachtens nicht aufkommen. Das weitgehende, zum Teil allzu große Entgegenkommen, das den Japanern in jeder Hinficht, insbesondere auch im gesellschaftlichen Verkehr erwiesen wurde, darf den Chinesen gegenüber nicht ins völlige Gegenteil verkehrt werden. Alle Übertreibungen sind von Nachteil, und kein gebildeter Chinese erwartet im Verkehr mit uns eine wie immer geartete Überschwänglichkeit in Wort oder Tat (sie würde ihn im Gegenteil in seiner ruhigen, bescheidenen Art nur verwirren und abstoßen), aber was er mit Recht erwartet, ist, daß wir ihm ohne Voreingenommenheit, ohne Mißtrauen, ohne Falsch begegnen, daß wir ihn weder unter- noch über¬ schätzen, sondern mit ihm in der Weise verkehren, wie zwei gebildete Menschen, die Achtung voreinander hegen, zu tun pflegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/264>, abgerufen am 25.08.2024.