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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und die Koalition

bisher nicht die Möglichkeit boten, an dem Kriege gegen Rußland den Anteil
zu nehmen, den ihm die Geschichte zuweist und seine Kräfte erlauben. Denn
dieser Krieg, den der Zweibund gegen Moskau führt, ist auch unser polnischer
Krieg gegen Moskau, der sechzehnte in der Reihenfolge, aber er ist nur in
unbedeutendem Maße unser, nur dank der polnischen Legionen und in ihrem
Rahmen, während er unser Krieg sein müßte im Rahmen des ganzen Volkes
und nach dem königlichen Maße unseres Blutes und Ruhmes. Wieviel könnte
in einem Volke, wo der Name und das Grab Koöciuskos für sich allein im
Laufe eines Jahrhunderts fast soviel wert waren wie hunderttausend Soldaten,
weil er allein unser einziger Hort gegen Rußland war und die von Osten
drohende Invasion abwehrte, die lebendige Fahne KoSciuskos. unter der Armee
auf Jasna Gora entfaltet, wirken!

Wie kommt es jedoch, daß der polnische Gefangene im deutschen Lager,
der Pole, der denkt und fühlt, trotz dieser Fülle von Sorge und Enttäuschung
und Trauer, die ihn zu brechen droht, dennoch ungebrochen bleibt und daß er
seine Leiden überwindend die Objektivität des Urteils wahrt, unbeeinflußt durch
Unbill empfindet, unbeeinflußt durch Gefühle denkt und ohne Illusionen die
Dinge betrachtet?

Wie kommt es. daß der polnische Gefangene, von harter Wirklichkeit um-
geben, von ihr seine Augen nicht mit Unlust abwendet und sich nicht in unheil¬
baren Pessimismus verliert und nur noch dem Glauben an das Leiden huldigt?
Irgend etwas ist offenbar in dieser Wirklichkeit, was ihn mit ihr versöhnt und
ihn ihr unterwirft. Es ist in ihr wohl etwas enthalten, was ihm Trost verleiht,
was ihn mit der Menschheit verbindet und -- vor allem Achtung erheischt.
Dieses Element ist die Welt der deutschen Kraftentfaltung und Arbeit,
die die Geschichte Europas von Grund aus umgestaltete, die die Tore gewisser
Möglichkeiten in Europa für Jahrhunderte verrammelte und wieder andere Tore
weit vor ihm öffnete und für die Zukunft geöffnet hält.

Und doch ist die Welt der deutschen Kraftanstrengung nicht aus sich selbst
heraus zu begreifen. Beredt spricht sie zu uns erst im Vergleich mit dem Lager
der Koalition, das wir in dem Gefangenenlager uns angesehen haben. Aber
außer der Koalition, die die Waffen niedergelegt hat, gibt es eine Koalition,
die kämpft -- und von dieser kämpfenden Koalition habe ich jetzt zu sprechen.

Der grundsätzliche Charakter der Koalition bestand seit dem ersten Schuß
darin, daß sie -- den Krieg nicht wollte. Sie verlangt nur nach Siegen.
Selbstverständlich ist für jede Macht der Krieg das Mittel zur Erreichung eines
bestimmten Zieles; wer jedoch das Ziel will, muß auch die Mittel organisieren.
Indessen war für jeden der Partner der Koalition charakteristisch, daß er ohne
diese Mittel gerade auf das Ziel lossteuern wollte. Sowohl England wie
Rußland, um auf diese beiden Hauptmächte die Aufmerksamkeit zu konzentrieren,
sahen ihre Kriegsziele mit unvergleichlicher Plastik: wie viel Raum und Zeit
opferten sie nicht der Aufzählung der Eroberungen. Trophäen. Lorbeeren und


Deutschland und die Koalition

bisher nicht die Möglichkeit boten, an dem Kriege gegen Rußland den Anteil
zu nehmen, den ihm die Geschichte zuweist und seine Kräfte erlauben. Denn
dieser Krieg, den der Zweibund gegen Moskau führt, ist auch unser polnischer
Krieg gegen Moskau, der sechzehnte in der Reihenfolge, aber er ist nur in
unbedeutendem Maße unser, nur dank der polnischen Legionen und in ihrem
Rahmen, während er unser Krieg sein müßte im Rahmen des ganzen Volkes
und nach dem königlichen Maße unseres Blutes und Ruhmes. Wieviel könnte
in einem Volke, wo der Name und das Grab Koöciuskos für sich allein im
Laufe eines Jahrhunderts fast soviel wert waren wie hunderttausend Soldaten,
weil er allein unser einziger Hort gegen Rußland war und die von Osten
drohende Invasion abwehrte, die lebendige Fahne KoSciuskos. unter der Armee
auf Jasna Gora entfaltet, wirken!

Wie kommt es jedoch, daß der polnische Gefangene im deutschen Lager,
der Pole, der denkt und fühlt, trotz dieser Fülle von Sorge und Enttäuschung
und Trauer, die ihn zu brechen droht, dennoch ungebrochen bleibt und daß er
seine Leiden überwindend die Objektivität des Urteils wahrt, unbeeinflußt durch
Unbill empfindet, unbeeinflußt durch Gefühle denkt und ohne Illusionen die
Dinge betrachtet?

Wie kommt es. daß der polnische Gefangene, von harter Wirklichkeit um-
geben, von ihr seine Augen nicht mit Unlust abwendet und sich nicht in unheil¬
baren Pessimismus verliert und nur noch dem Glauben an das Leiden huldigt?
Irgend etwas ist offenbar in dieser Wirklichkeit, was ihn mit ihr versöhnt und
ihn ihr unterwirft. Es ist in ihr wohl etwas enthalten, was ihm Trost verleiht,
was ihn mit der Menschheit verbindet und — vor allem Achtung erheischt.
Dieses Element ist die Welt der deutschen Kraftentfaltung und Arbeit,
die die Geschichte Europas von Grund aus umgestaltete, die die Tore gewisser
Möglichkeiten in Europa für Jahrhunderte verrammelte und wieder andere Tore
weit vor ihm öffnete und für die Zukunft geöffnet hält.

Und doch ist die Welt der deutschen Kraftanstrengung nicht aus sich selbst
heraus zu begreifen. Beredt spricht sie zu uns erst im Vergleich mit dem Lager
der Koalition, das wir in dem Gefangenenlager uns angesehen haben. Aber
außer der Koalition, die die Waffen niedergelegt hat, gibt es eine Koalition,
die kämpft — und von dieser kämpfenden Koalition habe ich jetzt zu sprechen.

Der grundsätzliche Charakter der Koalition bestand seit dem ersten Schuß
darin, daß sie — den Krieg nicht wollte. Sie verlangt nur nach Siegen.
Selbstverständlich ist für jede Macht der Krieg das Mittel zur Erreichung eines
bestimmten Zieles; wer jedoch das Ziel will, muß auch die Mittel organisieren.
Indessen war für jeden der Partner der Koalition charakteristisch, daß er ohne
diese Mittel gerade auf das Ziel lossteuern wollte. Sowohl England wie
Rußland, um auf diese beiden Hauptmächte die Aufmerksamkeit zu konzentrieren,
sahen ihre Kriegsziele mit unvergleichlicher Plastik: wie viel Raum und Zeit
opferten sie nicht der Aufzählung der Eroberungen. Trophäen. Lorbeeren und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/25>, abgerufen am 23.07.2024.