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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Dänische Stimmungen

Man kann überhaupt sagen, daß sehr wenig Begeisterung, aber sehr viel
Mißbilligung durch den Krieg hervorgerufen worden ist. Und ob sich die
Mißbilligung hauptsächlich gegen Deutschland oder die Ententemächte gerichtet
hat, hängt im wesentlichen davon ab. mit wem der einzelne schon im voraus
sympathisierte.

Es haben aber zwei Verschiebungen in der allgemeinen Stimmung während
des Krieges stattgefunden, die beide ganz charakteristisch sind. Im Anfang
glaubten die meisten, Deutschland sei der Friedensstörer. Man hatte in
Dänemark im allgemeinen den Krieg nicht erwartet; man fand ihn wahnsinnig,
unglaublich; man konnte ihn nicht verstehen ohne anzunehmen, daß er durch
einen bestimmten "Willen zuni Kriege" bei einem der Gegner verursacht sei.
Deutschland war besser vorbereitet als die anderen, Deutschland hatte Treitschke
und Bernhardt (deren Bedeutung überhaupt in Dänemark sehr überschätzt
worden ist), Deutschland war der erste, der den Krieg erklärte. Folglich war
Deutschland der Schuldige.

Jetzt ist es aber nicht mehr so. Jetzt glaube ich sagen zu können, daß
die meisten den Krieg als die unausweichliche Folge der ganzen europäischen
Lage betrachten. Die jetzige allgemeine Auffassung ist folgende: Die riesige
Entwicklung Deutschlands, die Abneigung Englands, die Weltherrschaft mit
jemand zu teilen, Rußlands Interessen auf dem Balkan und im Orient, waren
die Faktoren, aus denen der Krieg entstand, und man darf einer einzelnen
Macht keine Vorwürfe machen, weil jede Großmacht, die an den ungeheuren
Rüstungen teilgenommen hat, ihren Teil an der Verantwortung tragen muß.

Die andere Veränderung der Stimmung während des Krieges liegt darin,
daß die ursprüngliche Sicherheit, mit der man über alles, was mit dem Krieg
in Zusammenhang steht, urteilte, jetzt einer wachsenden Unsicherheit Platz macht.
Es gibt natürlich Leute, die ihr Urteil noch ganz von blinden Gefühlen
bestimmen lassen, die intellektuell Veranlagten werden aber im Bewußtsein der
Unmöglichkeit, die Riesenprobleme des Krieges vollkommen zu beherrschen, immer
vorsichtiger in ihrem Urteil und ihren Ausdrücken, und immer geneigter, die
Abscheu, die jeder fühlt, nicht gegen das eine oder das andere Volk, sondern
gegen den Krieg an sich zu richten. Neulich hat Georg Brandes, gegen den
Engländer William Archer polemisierend, mit großer Lebhaftigkeit gegen die
wohlfeile, oberflächliche Sicherheit, womit oft über die größten Probleme geurteilt
wird, protestiert. Und viele Dänen geben ihm Recht.

Jedoch nicht nur die Einzelheiten des Krieges werden erörtert, sondern
auch der Kulturgegensatz der verschiedenen Völker, und wegen der geographischen
Lage Dänemarks ist es ganz natürlich, daß das Verhältnis zwischen Deutschland
und England das Interesse am meisten beansprucht.

Die Feinde Deutschlands behaupten natürlich hier wie überall. England
sei das Land der Freiheit, Deutschland das des Zwangs. Ich gebe zu. daß
es Deutschen schwer fallen muß. diese Auffassung auch nur einigermaßen zu


Dänische Stimmungen

Man kann überhaupt sagen, daß sehr wenig Begeisterung, aber sehr viel
Mißbilligung durch den Krieg hervorgerufen worden ist. Und ob sich die
Mißbilligung hauptsächlich gegen Deutschland oder die Ententemächte gerichtet
hat, hängt im wesentlichen davon ab. mit wem der einzelne schon im voraus
sympathisierte.

Es haben aber zwei Verschiebungen in der allgemeinen Stimmung während
des Krieges stattgefunden, die beide ganz charakteristisch sind. Im Anfang
glaubten die meisten, Deutschland sei der Friedensstörer. Man hatte in
Dänemark im allgemeinen den Krieg nicht erwartet; man fand ihn wahnsinnig,
unglaublich; man konnte ihn nicht verstehen ohne anzunehmen, daß er durch
einen bestimmten „Willen zuni Kriege" bei einem der Gegner verursacht sei.
Deutschland war besser vorbereitet als die anderen, Deutschland hatte Treitschke
und Bernhardt (deren Bedeutung überhaupt in Dänemark sehr überschätzt
worden ist), Deutschland war der erste, der den Krieg erklärte. Folglich war
Deutschland der Schuldige.

Jetzt ist es aber nicht mehr so. Jetzt glaube ich sagen zu können, daß
die meisten den Krieg als die unausweichliche Folge der ganzen europäischen
Lage betrachten. Die jetzige allgemeine Auffassung ist folgende: Die riesige
Entwicklung Deutschlands, die Abneigung Englands, die Weltherrschaft mit
jemand zu teilen, Rußlands Interessen auf dem Balkan und im Orient, waren
die Faktoren, aus denen der Krieg entstand, und man darf einer einzelnen
Macht keine Vorwürfe machen, weil jede Großmacht, die an den ungeheuren
Rüstungen teilgenommen hat, ihren Teil an der Verantwortung tragen muß.

Die andere Veränderung der Stimmung während des Krieges liegt darin,
daß die ursprüngliche Sicherheit, mit der man über alles, was mit dem Krieg
in Zusammenhang steht, urteilte, jetzt einer wachsenden Unsicherheit Platz macht.
Es gibt natürlich Leute, die ihr Urteil noch ganz von blinden Gefühlen
bestimmen lassen, die intellektuell Veranlagten werden aber im Bewußtsein der
Unmöglichkeit, die Riesenprobleme des Krieges vollkommen zu beherrschen, immer
vorsichtiger in ihrem Urteil und ihren Ausdrücken, und immer geneigter, die
Abscheu, die jeder fühlt, nicht gegen das eine oder das andere Volk, sondern
gegen den Krieg an sich zu richten. Neulich hat Georg Brandes, gegen den
Engländer William Archer polemisierend, mit großer Lebhaftigkeit gegen die
wohlfeile, oberflächliche Sicherheit, womit oft über die größten Probleme geurteilt
wird, protestiert. Und viele Dänen geben ihm Recht.

Jedoch nicht nur die Einzelheiten des Krieges werden erörtert, sondern
auch der Kulturgegensatz der verschiedenen Völker, und wegen der geographischen
Lage Dänemarks ist es ganz natürlich, daß das Verhältnis zwischen Deutschland
und England das Interesse am meisten beansprucht.

Die Feinde Deutschlands behaupten natürlich hier wie überall. England
sei das Land der Freiheit, Deutschland das des Zwangs. Ich gebe zu. daß
es Deutschen schwer fallen muß. diese Auffassung auch nur einigermaßen zu


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[0193] Dänische Stimmungen Man kann überhaupt sagen, daß sehr wenig Begeisterung, aber sehr viel Mißbilligung durch den Krieg hervorgerufen worden ist. Und ob sich die Mißbilligung hauptsächlich gegen Deutschland oder die Ententemächte gerichtet hat, hängt im wesentlichen davon ab. mit wem der einzelne schon im voraus sympathisierte. Es haben aber zwei Verschiebungen in der allgemeinen Stimmung während des Krieges stattgefunden, die beide ganz charakteristisch sind. Im Anfang glaubten die meisten, Deutschland sei der Friedensstörer. Man hatte in Dänemark im allgemeinen den Krieg nicht erwartet; man fand ihn wahnsinnig, unglaublich; man konnte ihn nicht verstehen ohne anzunehmen, daß er durch einen bestimmten „Willen zuni Kriege" bei einem der Gegner verursacht sei. Deutschland war besser vorbereitet als die anderen, Deutschland hatte Treitschke und Bernhardt (deren Bedeutung überhaupt in Dänemark sehr überschätzt worden ist), Deutschland war der erste, der den Krieg erklärte. Folglich war Deutschland der Schuldige. Jetzt ist es aber nicht mehr so. Jetzt glaube ich sagen zu können, daß die meisten den Krieg als die unausweichliche Folge der ganzen europäischen Lage betrachten. Die jetzige allgemeine Auffassung ist folgende: Die riesige Entwicklung Deutschlands, die Abneigung Englands, die Weltherrschaft mit jemand zu teilen, Rußlands Interessen auf dem Balkan und im Orient, waren die Faktoren, aus denen der Krieg entstand, und man darf einer einzelnen Macht keine Vorwürfe machen, weil jede Großmacht, die an den ungeheuren Rüstungen teilgenommen hat, ihren Teil an der Verantwortung tragen muß. Die andere Veränderung der Stimmung während des Krieges liegt darin, daß die ursprüngliche Sicherheit, mit der man über alles, was mit dem Krieg in Zusammenhang steht, urteilte, jetzt einer wachsenden Unsicherheit Platz macht. Es gibt natürlich Leute, die ihr Urteil noch ganz von blinden Gefühlen bestimmen lassen, die intellektuell Veranlagten werden aber im Bewußtsein der Unmöglichkeit, die Riesenprobleme des Krieges vollkommen zu beherrschen, immer vorsichtiger in ihrem Urteil und ihren Ausdrücken, und immer geneigter, die Abscheu, die jeder fühlt, nicht gegen das eine oder das andere Volk, sondern gegen den Krieg an sich zu richten. Neulich hat Georg Brandes, gegen den Engländer William Archer polemisierend, mit großer Lebhaftigkeit gegen die wohlfeile, oberflächliche Sicherheit, womit oft über die größten Probleme geurteilt wird, protestiert. Und viele Dänen geben ihm Recht. Jedoch nicht nur die Einzelheiten des Krieges werden erörtert, sondern auch der Kulturgegensatz der verschiedenen Völker, und wegen der geographischen Lage Dänemarks ist es ganz natürlich, daß das Verhältnis zwischen Deutschland und England das Interesse am meisten beansprucht. Die Feinde Deutschlands behaupten natürlich hier wie überall. England sei das Land der Freiheit, Deutschland das des Zwangs. Ich gebe zu. daß es Deutschen schwer fallen muß. diese Auffassung auch nur einigermaßen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/193>, abgerufen am 23.07.2024.