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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Buch des Fürsten von Bülow

einander abweichen? Wer von beiden mag solchenfalls den allein echten Ring
besitzen? Müssen die Vertreter des deutschen Volkes bei jedem derartigen
Ministerwechsel umschwenken und heute verwerfen, was ihnen gestern vielleicht
als Staatsweisheit gelten sollte? Fürst Bülow ist natürlich selbst viel zu auf¬
geklärt, um die Ausschaltung der Parteien und Parteiungen aus dem politischen
Leben für möglich zu halten. Die Daseinsberechtigung des Parteiwesens und
die Fortdauer der parteipolitischer Gegensätze werden von ihm sehr wohl
anerkannt. Im Prinzip will er mit den Parteien nicht hadern, an ihrer
praktischen Tätigkeit aber hat er, wie bereits erwähnt, sehr viel auszusetzen.
Die Verdrossenheit des Staatsmannes, dem während seiner Aktivität der hart¬
näckige Widerstand einzelner großer Parteien die größten Schwierigkeiten in der
innerpolitischen Gesetzgebungsarbeit bereitet hat, beeinflußt mehrmals es sein
sollte, seine Urteilsfällung. Inwieweit Bülow im Recht ist, ließe sich nur von
Fall zu Fall entscheiden, kommt aber nicht weiter in Betracht, weil die strittigen
Einzelfragen nicht kritisch beleuchtet werden.

Bülow nimmt für die von ihm in der letzten Zeit feiner Kanzlerschaft
vertretene Blockpolitik, welche einem bedeutungsvollen nationalen Ziele zustrebte,
den dauernden Wert einer fruchtbaren politischen Orientierung in Anspruch.
Denn durch den Block wäre der Freisinn aus seiner verbohrten Oppositions¬
stellung herausgebracht und zu positiver Mitarbeit an den nationalen Lebens¬
fragen gewonnen worden. Daß das ein Erfolg war, ist gern zuzugeben, mit
Unrecht wird jedoch der Zusammenbruch dieser Parteienklitterung auf die klein¬
liche Eifersüchtelei der bürgerlichen Parteien zurückgeführt. Die Bedingungen
für die Festigkeit der Blockmehrheit standen in zu starkem Widerspruch zu der
seitherigen Basis des Regierungskurses, um den Block zusammenhalten zu
können. Doch es ist jetzt wahrlich nicht die Zeit dazu, in jene Parteikämpfe
hineinzuleuchten, die nach den alle Parteipolitik überwältigenden Geschehnissen
der letzten beiden Jahre wie ein zwerghafter Meinungsstreit sich ausnehmen.
In einem Rückblick des damaligen Reichskanzlers sind die Auseinandersetzungen
der damaligen innerpolitischen Lage allerdings wertvoll als ein lehrreiches
Beispiel für den Verlauf eines ernsten Konflikts zwischen Regierungswillen und
Parteiüberzeugung.

Der Hauptwert der "Deutschen Politik" des Fürsten Bülow erschöpft sich
auch nicht in einer Darstellung der Grundzüge unserer politischen Entwicklung
in vergangenen friedlichen Tagen; das Buch wird in warmherziger Ergriffenheit
zugleich dem nationalen Aufschwung der Gegenwart gerecht und lenkt die Blicke
der Nation hinaus auf die Zukunft, von der wir die Morgenröte einer neuen
lichten Zeitepoche erhoffen. Vom neuen Deutschland heischt Bülow die Erfüllung
der Aufgabe, daß das deutsche Geistesleben, dessen Ausbildung und Pflege
vorwiegend in der Hut des Westens und Südens des Reiches sich vollzieht,
mit den strengeren Formen des preußischen Staatslebens sich vermähle, so daß
der preußische und der deutsche Geist ineinander verwachsen, ohne einander zu


Das Buch des Fürsten von Bülow

einander abweichen? Wer von beiden mag solchenfalls den allein echten Ring
besitzen? Müssen die Vertreter des deutschen Volkes bei jedem derartigen
Ministerwechsel umschwenken und heute verwerfen, was ihnen gestern vielleicht
als Staatsweisheit gelten sollte? Fürst Bülow ist natürlich selbst viel zu auf¬
geklärt, um die Ausschaltung der Parteien und Parteiungen aus dem politischen
Leben für möglich zu halten. Die Daseinsberechtigung des Parteiwesens und
die Fortdauer der parteipolitischer Gegensätze werden von ihm sehr wohl
anerkannt. Im Prinzip will er mit den Parteien nicht hadern, an ihrer
praktischen Tätigkeit aber hat er, wie bereits erwähnt, sehr viel auszusetzen.
Die Verdrossenheit des Staatsmannes, dem während seiner Aktivität der hart¬
näckige Widerstand einzelner großer Parteien die größten Schwierigkeiten in der
innerpolitischen Gesetzgebungsarbeit bereitet hat, beeinflußt mehrmals es sein
sollte, seine Urteilsfällung. Inwieweit Bülow im Recht ist, ließe sich nur von
Fall zu Fall entscheiden, kommt aber nicht weiter in Betracht, weil die strittigen
Einzelfragen nicht kritisch beleuchtet werden.

Bülow nimmt für die von ihm in der letzten Zeit feiner Kanzlerschaft
vertretene Blockpolitik, welche einem bedeutungsvollen nationalen Ziele zustrebte,
den dauernden Wert einer fruchtbaren politischen Orientierung in Anspruch.
Denn durch den Block wäre der Freisinn aus seiner verbohrten Oppositions¬
stellung herausgebracht und zu positiver Mitarbeit an den nationalen Lebens¬
fragen gewonnen worden. Daß das ein Erfolg war, ist gern zuzugeben, mit
Unrecht wird jedoch der Zusammenbruch dieser Parteienklitterung auf die klein¬
liche Eifersüchtelei der bürgerlichen Parteien zurückgeführt. Die Bedingungen
für die Festigkeit der Blockmehrheit standen in zu starkem Widerspruch zu der
seitherigen Basis des Regierungskurses, um den Block zusammenhalten zu
können. Doch es ist jetzt wahrlich nicht die Zeit dazu, in jene Parteikämpfe
hineinzuleuchten, die nach den alle Parteipolitik überwältigenden Geschehnissen
der letzten beiden Jahre wie ein zwerghafter Meinungsstreit sich ausnehmen.
In einem Rückblick des damaligen Reichskanzlers sind die Auseinandersetzungen
der damaligen innerpolitischen Lage allerdings wertvoll als ein lehrreiches
Beispiel für den Verlauf eines ernsten Konflikts zwischen Regierungswillen und
Parteiüberzeugung.

Der Hauptwert der „Deutschen Politik" des Fürsten Bülow erschöpft sich
auch nicht in einer Darstellung der Grundzüge unserer politischen Entwicklung
in vergangenen friedlichen Tagen; das Buch wird in warmherziger Ergriffenheit
zugleich dem nationalen Aufschwung der Gegenwart gerecht und lenkt die Blicke
der Nation hinaus auf die Zukunft, von der wir die Morgenröte einer neuen
lichten Zeitepoche erhoffen. Vom neuen Deutschland heischt Bülow die Erfüllung
der Aufgabe, daß das deutsche Geistesleben, dessen Ausbildung und Pflege
vorwiegend in der Hut des Westens und Südens des Reiches sich vollzieht,
mit den strengeren Formen des preußischen Staatslebens sich vermähle, so daß
der preußische und der deutsche Geist ineinander verwachsen, ohne einander zu


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[0182] Das Buch des Fürsten von Bülow einander abweichen? Wer von beiden mag solchenfalls den allein echten Ring besitzen? Müssen die Vertreter des deutschen Volkes bei jedem derartigen Ministerwechsel umschwenken und heute verwerfen, was ihnen gestern vielleicht als Staatsweisheit gelten sollte? Fürst Bülow ist natürlich selbst viel zu auf¬ geklärt, um die Ausschaltung der Parteien und Parteiungen aus dem politischen Leben für möglich zu halten. Die Daseinsberechtigung des Parteiwesens und die Fortdauer der parteipolitischer Gegensätze werden von ihm sehr wohl anerkannt. Im Prinzip will er mit den Parteien nicht hadern, an ihrer praktischen Tätigkeit aber hat er, wie bereits erwähnt, sehr viel auszusetzen. Die Verdrossenheit des Staatsmannes, dem während seiner Aktivität der hart¬ näckige Widerstand einzelner großer Parteien die größten Schwierigkeiten in der innerpolitischen Gesetzgebungsarbeit bereitet hat, beeinflußt mehrmals es sein sollte, seine Urteilsfällung. Inwieweit Bülow im Recht ist, ließe sich nur von Fall zu Fall entscheiden, kommt aber nicht weiter in Betracht, weil die strittigen Einzelfragen nicht kritisch beleuchtet werden. Bülow nimmt für die von ihm in der letzten Zeit feiner Kanzlerschaft vertretene Blockpolitik, welche einem bedeutungsvollen nationalen Ziele zustrebte, den dauernden Wert einer fruchtbaren politischen Orientierung in Anspruch. Denn durch den Block wäre der Freisinn aus seiner verbohrten Oppositions¬ stellung herausgebracht und zu positiver Mitarbeit an den nationalen Lebens¬ fragen gewonnen worden. Daß das ein Erfolg war, ist gern zuzugeben, mit Unrecht wird jedoch der Zusammenbruch dieser Parteienklitterung auf die klein¬ liche Eifersüchtelei der bürgerlichen Parteien zurückgeführt. Die Bedingungen für die Festigkeit der Blockmehrheit standen in zu starkem Widerspruch zu der seitherigen Basis des Regierungskurses, um den Block zusammenhalten zu können. Doch es ist jetzt wahrlich nicht die Zeit dazu, in jene Parteikämpfe hineinzuleuchten, die nach den alle Parteipolitik überwältigenden Geschehnissen der letzten beiden Jahre wie ein zwerghafter Meinungsstreit sich ausnehmen. In einem Rückblick des damaligen Reichskanzlers sind die Auseinandersetzungen der damaligen innerpolitischen Lage allerdings wertvoll als ein lehrreiches Beispiel für den Verlauf eines ernsten Konflikts zwischen Regierungswillen und Parteiüberzeugung. Der Hauptwert der „Deutschen Politik" des Fürsten Bülow erschöpft sich auch nicht in einer Darstellung der Grundzüge unserer politischen Entwicklung in vergangenen friedlichen Tagen; das Buch wird in warmherziger Ergriffenheit zugleich dem nationalen Aufschwung der Gegenwart gerecht und lenkt die Blicke der Nation hinaus auf die Zukunft, von der wir die Morgenröte einer neuen lichten Zeitepoche erhoffen. Vom neuen Deutschland heischt Bülow die Erfüllung der Aufgabe, daß das deutsche Geistesleben, dessen Ausbildung und Pflege vorwiegend in der Hut des Westens und Südens des Reiches sich vollzieht, mit den strengeren Formen des preußischen Staatslebens sich vermähle, so daß der preußische und der deutsche Geist ineinander verwachsen, ohne einander zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/182>, abgerufen am 23.07.2024.