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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Buch des Fürsten von Bülow

in dem allen Demokraten und Spöttern zum Trotz festgestellt wird, daß des
deutschen Volkes beste, in Geschichte und Gegenwart erprobte Kraft die ist. die
in schwerster Not und Bedrohung Deutschlands Leben bewahrt: der deutsche
Militarismus.

Es dürfte erinnerlich sein, daß die harte und teilweise zweifellos ungerechte
Kritik, die vom fürstlichen Verfasser in seiner vor dem Kriege erschienenen
Abhandlung an den Parteien und ihrer Betätigung geübt wurde, auf mannig¬
fachen Widerspruch stieß. An den früheren Auslassungen ist, soweit erkennbar,
kaum etwas geändert worden, doch ist der hocherfreulichen Einmütigkeit aller
Parteien bei Ausbruch des Krieges die unerläßliche Würdigung zuteil geworden.
Es kann nicht bestritten werden, daß unser Parteileben an schweren Gebrechen
krankt. Die vielberufene "Neuorientierung" der Zukunft wird hoffentlich auch
auf diesem Gebiet mit veralteten Doktrinen und rechthaberischer Sonderbündelei
aufräumen. Wir können aber auch in Ansehung der Vergangenheit den gering¬
schätzigen Urteilen Bülows nicht recht geben, wie beispielsweise: "Die sprich¬
wörtliche deutsche Treue kommt meist in erster Linie dem kleinen Verbände,
erst in zweiter Linie der großen nationalen Gemeinschaft zugute" (Seite 185),
oder "das Interesse der Allgemeinheit deckt sich selten oder nie mit den Interessen
einer einzelnen Partei" (Seite 200). Schon die einleitende These zum Abschnitt
über die innere Politik ist mindestens anfechtbar, indem sie lautet: "die Geschichte
unserer inneren Politik war, von wenigen lichten Epochen abgesehen, vor dem
Weltkrieg eine Geschichte politischer Irrtümer".

Diese kränkende Verdammung ist ersichtlich auf das politische Verhalten der
Repräsentation der deutschen Nation gemünzt, beansprucht also für die: Re¬
gierungsgewalt unbedingt die höhere staatsmünnische Einsicht und geistige Über¬
legenheit. Die Versuchung liegt nahe, an Beispielen aus vergangenen Tagen
nachzuweisen, wie häufig auch die Regierungspolitik auf Irrwege geraten ist, ganz
zu schweigen von ihrer schwankenden Haltung in wichtigen nationalen Fragen.

Fürst Bülow mag diesen Einwurf vorausgesehen haben. Er sucht ihn
durch das Verlangen zu entkräften, daß dem Politiker oder Staatsmann eine
Änderung seiner Meinung zugute gehalten werden müsse. Denn die politische
Entwicklung erheische, um den realen Bedürfnissen zu genügen, oft genug ein
Umlernen, ohne daß die Bezichtigung der Prinzipienlosigkeit deshalb am Platze
wäre. "Die politischen Prinzipien, denen ein Minister nachzuleben hat, sind
eben ihrem Wesen nach ganz andere als die Grundsätze, die für einen Partei"
manu gelten, sie sind staatspolitisch, nicht parteipolitisch. Der Minister hat
dem allgemeinen Interesse des Staates, des Volkes, die seiner Leitung anvertraut
sind, Treue zu halten, ohne Rücksicht auf die Programme der Parteien, und
wenn nötig im Kampfe mit allen Parteien. . . . Prinzipienfestigkeit und Partei-
loftgkeit vertragen sich für einen Minister nicht nur, sie bedingen sich." Das
klingt annehmbar, wie aber nun, wenn zwei aufeinanderfolgende Minister --
wie es doch vorkommen sollt -- in ihren politischen Auffassungen weit von-


Das Buch des Fürsten von Bülow

in dem allen Demokraten und Spöttern zum Trotz festgestellt wird, daß des
deutschen Volkes beste, in Geschichte und Gegenwart erprobte Kraft die ist. die
in schwerster Not und Bedrohung Deutschlands Leben bewahrt: der deutsche
Militarismus.

Es dürfte erinnerlich sein, daß die harte und teilweise zweifellos ungerechte
Kritik, die vom fürstlichen Verfasser in seiner vor dem Kriege erschienenen
Abhandlung an den Parteien und ihrer Betätigung geübt wurde, auf mannig¬
fachen Widerspruch stieß. An den früheren Auslassungen ist, soweit erkennbar,
kaum etwas geändert worden, doch ist der hocherfreulichen Einmütigkeit aller
Parteien bei Ausbruch des Krieges die unerläßliche Würdigung zuteil geworden.
Es kann nicht bestritten werden, daß unser Parteileben an schweren Gebrechen
krankt. Die vielberufene „Neuorientierung" der Zukunft wird hoffentlich auch
auf diesem Gebiet mit veralteten Doktrinen und rechthaberischer Sonderbündelei
aufräumen. Wir können aber auch in Ansehung der Vergangenheit den gering¬
schätzigen Urteilen Bülows nicht recht geben, wie beispielsweise: „Die sprich¬
wörtliche deutsche Treue kommt meist in erster Linie dem kleinen Verbände,
erst in zweiter Linie der großen nationalen Gemeinschaft zugute" (Seite 185),
oder „das Interesse der Allgemeinheit deckt sich selten oder nie mit den Interessen
einer einzelnen Partei" (Seite 200). Schon die einleitende These zum Abschnitt
über die innere Politik ist mindestens anfechtbar, indem sie lautet: „die Geschichte
unserer inneren Politik war, von wenigen lichten Epochen abgesehen, vor dem
Weltkrieg eine Geschichte politischer Irrtümer".

Diese kränkende Verdammung ist ersichtlich auf das politische Verhalten der
Repräsentation der deutschen Nation gemünzt, beansprucht also für die: Re¬
gierungsgewalt unbedingt die höhere staatsmünnische Einsicht und geistige Über¬
legenheit. Die Versuchung liegt nahe, an Beispielen aus vergangenen Tagen
nachzuweisen, wie häufig auch die Regierungspolitik auf Irrwege geraten ist, ganz
zu schweigen von ihrer schwankenden Haltung in wichtigen nationalen Fragen.

Fürst Bülow mag diesen Einwurf vorausgesehen haben. Er sucht ihn
durch das Verlangen zu entkräften, daß dem Politiker oder Staatsmann eine
Änderung seiner Meinung zugute gehalten werden müsse. Denn die politische
Entwicklung erheische, um den realen Bedürfnissen zu genügen, oft genug ein
Umlernen, ohne daß die Bezichtigung der Prinzipienlosigkeit deshalb am Platze
wäre. „Die politischen Prinzipien, denen ein Minister nachzuleben hat, sind
eben ihrem Wesen nach ganz andere als die Grundsätze, die für einen Partei«
manu gelten, sie sind staatspolitisch, nicht parteipolitisch. Der Minister hat
dem allgemeinen Interesse des Staates, des Volkes, die seiner Leitung anvertraut
sind, Treue zu halten, ohne Rücksicht auf die Programme der Parteien, und
wenn nötig im Kampfe mit allen Parteien. . . . Prinzipienfestigkeit und Partei-
loftgkeit vertragen sich für einen Minister nicht nur, sie bedingen sich." Das
klingt annehmbar, wie aber nun, wenn zwei aufeinanderfolgende Minister —
wie es doch vorkommen sollt — in ihren politischen Auffassungen weit von-


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[0181] Das Buch des Fürsten von Bülow in dem allen Demokraten und Spöttern zum Trotz festgestellt wird, daß des deutschen Volkes beste, in Geschichte und Gegenwart erprobte Kraft die ist. die in schwerster Not und Bedrohung Deutschlands Leben bewahrt: der deutsche Militarismus. Es dürfte erinnerlich sein, daß die harte und teilweise zweifellos ungerechte Kritik, die vom fürstlichen Verfasser in seiner vor dem Kriege erschienenen Abhandlung an den Parteien und ihrer Betätigung geübt wurde, auf mannig¬ fachen Widerspruch stieß. An den früheren Auslassungen ist, soweit erkennbar, kaum etwas geändert worden, doch ist der hocherfreulichen Einmütigkeit aller Parteien bei Ausbruch des Krieges die unerläßliche Würdigung zuteil geworden. Es kann nicht bestritten werden, daß unser Parteileben an schweren Gebrechen krankt. Die vielberufene „Neuorientierung" der Zukunft wird hoffentlich auch auf diesem Gebiet mit veralteten Doktrinen und rechthaberischer Sonderbündelei aufräumen. Wir können aber auch in Ansehung der Vergangenheit den gering¬ schätzigen Urteilen Bülows nicht recht geben, wie beispielsweise: „Die sprich¬ wörtliche deutsche Treue kommt meist in erster Linie dem kleinen Verbände, erst in zweiter Linie der großen nationalen Gemeinschaft zugute" (Seite 185), oder „das Interesse der Allgemeinheit deckt sich selten oder nie mit den Interessen einer einzelnen Partei" (Seite 200). Schon die einleitende These zum Abschnitt über die innere Politik ist mindestens anfechtbar, indem sie lautet: „die Geschichte unserer inneren Politik war, von wenigen lichten Epochen abgesehen, vor dem Weltkrieg eine Geschichte politischer Irrtümer". Diese kränkende Verdammung ist ersichtlich auf das politische Verhalten der Repräsentation der deutschen Nation gemünzt, beansprucht also für die: Re¬ gierungsgewalt unbedingt die höhere staatsmünnische Einsicht und geistige Über¬ legenheit. Die Versuchung liegt nahe, an Beispielen aus vergangenen Tagen nachzuweisen, wie häufig auch die Regierungspolitik auf Irrwege geraten ist, ganz zu schweigen von ihrer schwankenden Haltung in wichtigen nationalen Fragen. Fürst Bülow mag diesen Einwurf vorausgesehen haben. Er sucht ihn durch das Verlangen zu entkräften, daß dem Politiker oder Staatsmann eine Änderung seiner Meinung zugute gehalten werden müsse. Denn die politische Entwicklung erheische, um den realen Bedürfnissen zu genügen, oft genug ein Umlernen, ohne daß die Bezichtigung der Prinzipienlosigkeit deshalb am Platze wäre. „Die politischen Prinzipien, denen ein Minister nachzuleben hat, sind eben ihrem Wesen nach ganz andere als die Grundsätze, die für einen Partei« manu gelten, sie sind staatspolitisch, nicht parteipolitisch. Der Minister hat dem allgemeinen Interesse des Staates, des Volkes, die seiner Leitung anvertraut sind, Treue zu halten, ohne Rücksicht auf die Programme der Parteien, und wenn nötig im Kampfe mit allen Parteien. . . . Prinzipienfestigkeit und Partei- loftgkeit vertragen sich für einen Minister nicht nur, sie bedingen sich." Das klingt annehmbar, wie aber nun, wenn zwei aufeinanderfolgende Minister — wie es doch vorkommen sollt — in ihren politischen Auffassungen weit von-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/181>, abgerufen am 23.07.2024.