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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Buch des Fürsten von Bülow

Nicht ohne einen Anflug von Wohlwollen würdigt Bülow auch die lang¬
jährigen freundnachbarlichen Beziehungen Deutschlands zu seinem östlichen
Nachbar. Obgleich Rußland infolge der Kündigung des Rückversicheruugs-
vertmges Bismarckscher Herkunft zum Anschluß an die französische Republik
geradezu gedrängt worden sei, vermochte die deutsche Diplomatie die aggressiven
Tendenzen des Zweibundes doch so erfolgreich abzustumpfen, daß die Hoffnungen
der französischen Chauvinisten auf dieses Bündnis vierundzwanzig Jahre lang
unerfüllt blieben. Die Entente der beiden Westmächte, denen Rußland freilich
häufig zur Seite ging, wurden erst durch das Londoner Protokoll vom
5. September 1914, zu einer Zeit also, als der Krieg bereits im Gange war,
in eine enge Allianz umgewandelt. Die Verschwörung zur Vergewaltigung
Deutschlands war demnach zunächst formell nicht verbrieft. Aus welchen Trieb¬
kräften in der entscheidenden Stunde der Einheitswille unserer Feinde zur
Entfesselung der lange an der Kette gehaltenen Knegsfurie schließlich dennoch
hervorgegangen, wird in dem Bülowbuch nicht erörtert. Fürst Blllow war
1914 allerdings nicht mehr im Amt, doch ist anzunehmen, daß er in seiner
amtlichen Mission am römischen Hofe genug Gelegenheit gehabt hat, auch in
die geheimen Winkel der diplomatischen Umtriebe zur Isolierung Deutschlands
hineinzuschauen.

Übrigens verdient erwähnt zu werden, daß Bülow zwar über die letzten
Gründe zum Abfall Italiens vom Dreibunde sich in Schweigen hüllt, dagegen
feststellt, daß die Kriegserklärung Italiens an Österreich erst dann erfolgt sei,
als die seit Monaten währende Karpathenschlacht gegen Rußland bereits ent¬
schieden war und damit die militärische Situation der Zentralmächte zu unseren
Gunsten sich geklärt hatte. Diese Randbemerkung ist uns nicht klar. Soll
etwa angedeutet werden, daß Italien absichtlich gezögert hat, bis die Kriegs¬
gefahr im Osten ihre Schärfe eingebüßt hatte?

Diese Einblicke in das Bülowbuch, soweit die äußere Politik behandelt
wird, mögen genügen. Wir glauben kenntlich gemacht zu haben, daß des
Fürsten Bülow "Deutsche Politik" als objektive Quelle für die Geschicht¬
schreibung jener Tage, an denen die Weltkatastrophe ihr blutiges Haupt
emporhob, nur bei kritischer Sichtung gelten kann, weil der subjektive Stand¬
punkt, den der vierte Reichskanzler während seiner Amtsführung den uns jetzt
feindlichen Großmächten gegenüber eingenommen, die frevelhaften Vergewalti¬
gungsabsichten unserer Gegner abgemildert erscheinen läßt. Daß der aktive
Staatsmann die hinterhältige Gesinnung der fremden Diplomaten, mit denen
er die politischen Welthändel friedlich auszutragen bestrebt war, nicht in ihrer
Tiefe durchschaute, kann ihm um so weniger vorgeworfen werden, als historisch
bisher noch nicht erwiesen ist, von welchem Zeitpunkt an die im Verborgenen
glimmenden Funken eifersüchtigen Hasses auf das mächtig voraneilende Deutsch¬
land in voller Absichtlichkeit zum auflodernden Weltbrand angeschürt wurden.
Was aber vor dem Kriege auf unserer Seite vielleicht nur prophetische Voraus-


Das Buch des Fürsten von Bülow

Nicht ohne einen Anflug von Wohlwollen würdigt Bülow auch die lang¬
jährigen freundnachbarlichen Beziehungen Deutschlands zu seinem östlichen
Nachbar. Obgleich Rußland infolge der Kündigung des Rückversicheruugs-
vertmges Bismarckscher Herkunft zum Anschluß an die französische Republik
geradezu gedrängt worden sei, vermochte die deutsche Diplomatie die aggressiven
Tendenzen des Zweibundes doch so erfolgreich abzustumpfen, daß die Hoffnungen
der französischen Chauvinisten auf dieses Bündnis vierundzwanzig Jahre lang
unerfüllt blieben. Die Entente der beiden Westmächte, denen Rußland freilich
häufig zur Seite ging, wurden erst durch das Londoner Protokoll vom
5. September 1914, zu einer Zeit also, als der Krieg bereits im Gange war,
in eine enge Allianz umgewandelt. Die Verschwörung zur Vergewaltigung
Deutschlands war demnach zunächst formell nicht verbrieft. Aus welchen Trieb¬
kräften in der entscheidenden Stunde der Einheitswille unserer Feinde zur
Entfesselung der lange an der Kette gehaltenen Knegsfurie schließlich dennoch
hervorgegangen, wird in dem Bülowbuch nicht erörtert. Fürst Blllow war
1914 allerdings nicht mehr im Amt, doch ist anzunehmen, daß er in seiner
amtlichen Mission am römischen Hofe genug Gelegenheit gehabt hat, auch in
die geheimen Winkel der diplomatischen Umtriebe zur Isolierung Deutschlands
hineinzuschauen.

Übrigens verdient erwähnt zu werden, daß Bülow zwar über die letzten
Gründe zum Abfall Italiens vom Dreibunde sich in Schweigen hüllt, dagegen
feststellt, daß die Kriegserklärung Italiens an Österreich erst dann erfolgt sei,
als die seit Monaten währende Karpathenschlacht gegen Rußland bereits ent¬
schieden war und damit die militärische Situation der Zentralmächte zu unseren
Gunsten sich geklärt hatte. Diese Randbemerkung ist uns nicht klar. Soll
etwa angedeutet werden, daß Italien absichtlich gezögert hat, bis die Kriegs¬
gefahr im Osten ihre Schärfe eingebüßt hatte?

Diese Einblicke in das Bülowbuch, soweit die äußere Politik behandelt
wird, mögen genügen. Wir glauben kenntlich gemacht zu haben, daß des
Fürsten Bülow „Deutsche Politik" als objektive Quelle für die Geschicht¬
schreibung jener Tage, an denen die Weltkatastrophe ihr blutiges Haupt
emporhob, nur bei kritischer Sichtung gelten kann, weil der subjektive Stand¬
punkt, den der vierte Reichskanzler während seiner Amtsführung den uns jetzt
feindlichen Großmächten gegenüber eingenommen, die frevelhaften Vergewalti¬
gungsabsichten unserer Gegner abgemildert erscheinen läßt. Daß der aktive
Staatsmann die hinterhältige Gesinnung der fremden Diplomaten, mit denen
er die politischen Welthändel friedlich auszutragen bestrebt war, nicht in ihrer
Tiefe durchschaute, kann ihm um so weniger vorgeworfen werden, als historisch
bisher noch nicht erwiesen ist, von welchem Zeitpunkt an die im Verborgenen
glimmenden Funken eifersüchtigen Hasses auf das mächtig voraneilende Deutsch¬
land in voller Absichtlichkeit zum auflodernden Weltbrand angeschürt wurden.
Was aber vor dem Kriege auf unserer Seite vielleicht nur prophetische Voraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/179>, abgerufen am 23.07.2024.