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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Buch des Fürsten von Bülow

Eine Verständigung mit England erschien dem Fürsten Bülow bis zu dem
Moment, wo allein noch den Waffen das Machtwort überlassen wurde, immerhin
nicht unmöglich. Dagegen bildet die UnVersöhnlichkeit Frankreichs der besorgnis¬
erregende Einschlagfaden in unserer auswärtigen Politik. Bülow schildert in
lebendiger Darstellung, wie unsere Auseinandersetzungen mit den stets aktions¬
bereiten Revanchepolitikern an der Seine bisweilen auf schmalem Rande an
dem verhängnisvollen Zerwürfnis entlangführten. Es braucht nur an die
Marokkofrage erinnert zu werden, durch die die deutsche Diplomatie in ein von
französischer Feindseligkeit umlauertes Dornengestrüpp versetzt wurde. Die
deutsche Marokkopolitik gehört bekanntlich bis zur Gegenwart zu den vielum¬
strittenen Kapiteln unserer auswärtigen Beziehungen. Fürst Bülow tritt
rückhaltslos für die von ihm dirigierte Stellungnahme Deutschlands ein. Die
französische Marokkopolitik wäre ein unverhüllter Versuch gewesen, Deutschland
in einer großen auswärtigen Entscheidung beiseite zu schieben, ein Versuch die
europäischen Machtverhältnisse einer Korrektur zu gunsten Frankreichs zu unter¬
ziehen. Wäre dieser Präzedenzfall unbeachtet geblieben, so hätte er notwendig
zu Wiederholungen reizen müssen. Darauf durfte Deutschland es aber nicht
ankommen lassen. Die Marokkofrage hätte für uns ein nationales Ansehen
gewonnen. Auf Bülows Rat legte in Gemäßheit solcher Zielrichtung Kaiser
Wilhelm der Zweite am 31. März 1905 in Tanger an, wo er mit unzwei¬
deutigen Worten für die Unabhängigkeit und Souveränität Marokkos eintrat.
Damit war die Forderung Deutschlands nach Mitentscheidung der marokkanischen
Angelegenheiten vor der Welt angemeldet. So wird von Bülow bekundet.

Trotz der Bülowschen Versicherung, daß unsere etwas abenteuerliche Ein¬
mischung in die Marokkoangelegenheit vom nationalen Standpunkt geboten war,
werden abweichende Meinungen über die Opportunität unseres Vorgehens in
Marokko fortbestehen. Auch Bülow gibt zu, daß wir mit unserem Einspruch
gegenüber den dreisten französischen Übergriffen nicht nach Wunsch durchgedrungen
sind, der Ausgang scheint ihm dennoch günstig gewesen zu sein. Denn die
Algeciras-Konferenz und das deutsch-französische Sonderabkommen vom 9. Fe¬
bruar 1909 hätten die gegnerische Absicht, Deutschland auszuschalten, wirksam
verhindert. Das deutsche Mitbestimmungsrecht über das Schicksal Marokkos
blieb gewahrt; für seine Preisgabe wurden 1911 die Kongo-Zugeständnisse
eingetauscht, die, wie man ihren Wert auch beurteilen mag, immerhin ein
Aktivum in der Bilanz darstellten. Deutschland habe zudem niemals darnach
getrachtet, einen Teil von Marokko sich anzueignen, da es dort außer Frankreich
stets auch England und Spanien gegen sich gehabt hätte. Anderseits sei es
ausgeschlossen gewesen, Frankreich durch ein übertriebenes Entgegenkommen in
der Marokkofrage versöhnlich zu beeinflussen. Auf dem niemals steril gewordenen
Revancheboden unserer Nachbarn jenseits der Vogesen erwuchs vielmehr (trotz
der Faschoda - Niederlage!) die Entente mit England, in deren Aktionskreise
Nußland durch seine nationalistischen Instinkte bereitwillig sich verstricken ließ.


Das Buch des Fürsten von Bülow

Eine Verständigung mit England erschien dem Fürsten Bülow bis zu dem
Moment, wo allein noch den Waffen das Machtwort überlassen wurde, immerhin
nicht unmöglich. Dagegen bildet die UnVersöhnlichkeit Frankreichs der besorgnis¬
erregende Einschlagfaden in unserer auswärtigen Politik. Bülow schildert in
lebendiger Darstellung, wie unsere Auseinandersetzungen mit den stets aktions¬
bereiten Revanchepolitikern an der Seine bisweilen auf schmalem Rande an
dem verhängnisvollen Zerwürfnis entlangführten. Es braucht nur an die
Marokkofrage erinnert zu werden, durch die die deutsche Diplomatie in ein von
französischer Feindseligkeit umlauertes Dornengestrüpp versetzt wurde. Die
deutsche Marokkopolitik gehört bekanntlich bis zur Gegenwart zu den vielum¬
strittenen Kapiteln unserer auswärtigen Beziehungen. Fürst Bülow tritt
rückhaltslos für die von ihm dirigierte Stellungnahme Deutschlands ein. Die
französische Marokkopolitik wäre ein unverhüllter Versuch gewesen, Deutschland
in einer großen auswärtigen Entscheidung beiseite zu schieben, ein Versuch die
europäischen Machtverhältnisse einer Korrektur zu gunsten Frankreichs zu unter¬
ziehen. Wäre dieser Präzedenzfall unbeachtet geblieben, so hätte er notwendig
zu Wiederholungen reizen müssen. Darauf durfte Deutschland es aber nicht
ankommen lassen. Die Marokkofrage hätte für uns ein nationales Ansehen
gewonnen. Auf Bülows Rat legte in Gemäßheit solcher Zielrichtung Kaiser
Wilhelm der Zweite am 31. März 1905 in Tanger an, wo er mit unzwei¬
deutigen Worten für die Unabhängigkeit und Souveränität Marokkos eintrat.
Damit war die Forderung Deutschlands nach Mitentscheidung der marokkanischen
Angelegenheiten vor der Welt angemeldet. So wird von Bülow bekundet.

Trotz der Bülowschen Versicherung, daß unsere etwas abenteuerliche Ein¬
mischung in die Marokkoangelegenheit vom nationalen Standpunkt geboten war,
werden abweichende Meinungen über die Opportunität unseres Vorgehens in
Marokko fortbestehen. Auch Bülow gibt zu, daß wir mit unserem Einspruch
gegenüber den dreisten französischen Übergriffen nicht nach Wunsch durchgedrungen
sind, der Ausgang scheint ihm dennoch günstig gewesen zu sein. Denn die
Algeciras-Konferenz und das deutsch-französische Sonderabkommen vom 9. Fe¬
bruar 1909 hätten die gegnerische Absicht, Deutschland auszuschalten, wirksam
verhindert. Das deutsche Mitbestimmungsrecht über das Schicksal Marokkos
blieb gewahrt; für seine Preisgabe wurden 1911 die Kongo-Zugeständnisse
eingetauscht, die, wie man ihren Wert auch beurteilen mag, immerhin ein
Aktivum in der Bilanz darstellten. Deutschland habe zudem niemals darnach
getrachtet, einen Teil von Marokko sich anzueignen, da es dort außer Frankreich
stets auch England und Spanien gegen sich gehabt hätte. Anderseits sei es
ausgeschlossen gewesen, Frankreich durch ein übertriebenes Entgegenkommen in
der Marokkofrage versöhnlich zu beeinflussen. Auf dem niemals steril gewordenen
Revancheboden unserer Nachbarn jenseits der Vogesen erwuchs vielmehr (trotz
der Faschoda - Niederlage!) die Entente mit England, in deren Aktionskreise
Nußland durch seine nationalistischen Instinkte bereitwillig sich verstricken ließ.


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[0178] Das Buch des Fürsten von Bülow Eine Verständigung mit England erschien dem Fürsten Bülow bis zu dem Moment, wo allein noch den Waffen das Machtwort überlassen wurde, immerhin nicht unmöglich. Dagegen bildet die UnVersöhnlichkeit Frankreichs der besorgnis¬ erregende Einschlagfaden in unserer auswärtigen Politik. Bülow schildert in lebendiger Darstellung, wie unsere Auseinandersetzungen mit den stets aktions¬ bereiten Revanchepolitikern an der Seine bisweilen auf schmalem Rande an dem verhängnisvollen Zerwürfnis entlangführten. Es braucht nur an die Marokkofrage erinnert zu werden, durch die die deutsche Diplomatie in ein von französischer Feindseligkeit umlauertes Dornengestrüpp versetzt wurde. Die deutsche Marokkopolitik gehört bekanntlich bis zur Gegenwart zu den vielum¬ strittenen Kapiteln unserer auswärtigen Beziehungen. Fürst Bülow tritt rückhaltslos für die von ihm dirigierte Stellungnahme Deutschlands ein. Die französische Marokkopolitik wäre ein unverhüllter Versuch gewesen, Deutschland in einer großen auswärtigen Entscheidung beiseite zu schieben, ein Versuch die europäischen Machtverhältnisse einer Korrektur zu gunsten Frankreichs zu unter¬ ziehen. Wäre dieser Präzedenzfall unbeachtet geblieben, so hätte er notwendig zu Wiederholungen reizen müssen. Darauf durfte Deutschland es aber nicht ankommen lassen. Die Marokkofrage hätte für uns ein nationales Ansehen gewonnen. Auf Bülows Rat legte in Gemäßheit solcher Zielrichtung Kaiser Wilhelm der Zweite am 31. März 1905 in Tanger an, wo er mit unzwei¬ deutigen Worten für die Unabhängigkeit und Souveränität Marokkos eintrat. Damit war die Forderung Deutschlands nach Mitentscheidung der marokkanischen Angelegenheiten vor der Welt angemeldet. So wird von Bülow bekundet. Trotz der Bülowschen Versicherung, daß unsere etwas abenteuerliche Ein¬ mischung in die Marokkoangelegenheit vom nationalen Standpunkt geboten war, werden abweichende Meinungen über die Opportunität unseres Vorgehens in Marokko fortbestehen. Auch Bülow gibt zu, daß wir mit unserem Einspruch gegenüber den dreisten französischen Übergriffen nicht nach Wunsch durchgedrungen sind, der Ausgang scheint ihm dennoch günstig gewesen zu sein. Denn die Algeciras-Konferenz und das deutsch-französische Sonderabkommen vom 9. Fe¬ bruar 1909 hätten die gegnerische Absicht, Deutschland auszuschalten, wirksam verhindert. Das deutsche Mitbestimmungsrecht über das Schicksal Marokkos blieb gewahrt; für seine Preisgabe wurden 1911 die Kongo-Zugeständnisse eingetauscht, die, wie man ihren Wert auch beurteilen mag, immerhin ein Aktivum in der Bilanz darstellten. Deutschland habe zudem niemals darnach getrachtet, einen Teil von Marokko sich anzueignen, da es dort außer Frankreich stets auch England und Spanien gegen sich gehabt hätte. Anderseits sei es ausgeschlossen gewesen, Frankreich durch ein übertriebenes Entgegenkommen in der Marokkofrage versöhnlich zu beeinflussen. Auf dem niemals steril gewordenen Revancheboden unserer Nachbarn jenseits der Vogesen erwuchs vielmehr (trotz der Faschoda - Niederlage!) die Entente mit England, in deren Aktionskreise Nußland durch seine nationalistischen Instinkte bereitwillig sich verstricken ließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/178>, abgerufen am 23.07.2024.