Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.Das Buch des Fürsten von Bülow sächlich zusammengebrochen, wird starken Zweifeln begegnen. Die Kriegsgefahr Solche Äußerungen über die deutsch-englischen Beziehungen lassen für den Das Buch des Fürsten von Bülow sächlich zusammengebrochen, wird starken Zweifeln begegnen. Die Kriegsgefahr Solche Äußerungen über die deutsch-englischen Beziehungen lassen für den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330715"/> <fw type="header" place="top"> Das Buch des Fürsten von Bülow</fw><lb/> <p xml:id="ID_577" prev="#ID_576"> sächlich zusammengebrochen, wird starken Zweifeln begegnen. Die Kriegsgefahr<lb/> war damals keineswegs ein wesenloses Gespenst, vielmehr wird von anderen<lb/> Schriftstellern gerade die den Dreibundgegnern beigebrachte Niederlage als ein<lb/> mächtiger Antrieb bewertet, nunmehr erst recht die heimliche Minierarbeit gegen<lb/> die deutsch-österreichische Waffengemeinschaft zu verstärken. Im Bülowbuch<lb/> hingegen lesen wir: „Durch unsere Stärke als Kontinentalmacht zerrissen wir<lb/> das Emkreisungsnetz, sodoß jenseits des Kanals jene Ernüchterung eintreten<lb/> konnte, die einer Epoche ruhigen Gedankenaustauschs und verständigen Interessen¬<lb/> ausgleichs zwischen den beiden Nationen voranzugehen schien". Eine Bekräftigung<lb/> dieser Auffassung erblickt Bülow in dem befriedigend verlaufenen Besuch, den<lb/> König Eduard dem deutschen Kaiserpaar im Winter 1909, unmittelbar nachdem<lb/> in der böhmischen Krise die entscheidende Wendung eingetreten war, abstattete.<lb/> Mit diesem Besuch, so wird weiter betont, sei ein für die Zukunft gute Hoffnungen<lb/> erweckendes Licht nicht nur aus das Verhältnis des Königs zu Deutschland,<lb/> sondern auch auf die Beziehungen zwischen zwei großen Völkern gefallen, die<lb/> allen Grund hatten, sich gegenseitig zu achten und friedlich in Friedensarbeiten<lb/> miteinander zu wetteifern. Und Bülow greift bis in die Gegenwart, indem er<lb/> feststellt, daß bis 1914 der Versuch nicht wiederholt worden ist, den deutsch¬<lb/> englischen Gegensatz zu einem System der gesamten internationalen Politik zu<lb/> erweitern. An einer anderen Stelle ferner heißt es: „Von Rußland wie von<lb/> England trennte uns bis zum August 1914 kein unüberwindlicher Interessen»<lb/> gegensatz."</p><lb/> <p xml:id="ID_578"> Solche Äußerungen über die deutsch-englischen Beziehungen lassen für den<lb/> Gedanken Raum, daß ein Ausgleich mit England auch im Jahre 1914 vielleicht<lb/> zu erreichen gewesen wäre. Diese Illusion wird aber durch die infernalische Heim¬<lb/> tücke, mit der von englischer Seite die Kriegshetze geschürt wurde, gründlich<lb/> zerstört. Wir Hütten erwartet, daß Fürst Bülow wenigstens im Rückblick auf<lb/> die arglistige Durchkreuzung der deutschen Bemühungen zur Erhaltung des<lb/> Friedens von feiten Englands die treulose Jntrigenpolitik Albions mit gebührender<lb/> Schärfe an den Pranger stellt. Die Weltkatastrophe würde solchenfalls weniger<lb/> unvermittelt dem Leser des Bülowbuches sich aufdrängen. Allerdings sagt<lb/> Bülow im Vorwort: „Die Hoffnung konnte berechtigt erscheinen, es werde auch<lb/> künftig der Gedanke an die Schrecken und Zerstörungen eines europäischen<lb/> Völkerkrieges den verantwortlichen Staatsmännern selbst in ernsten Konflikten<lb/> die Mittel zur schließlichen friedlichen Lösung an die Hand geben. Die Hoffnung<lb/> hat sich nicht erfüllt." Das Wort liegt fast auf der Zunge, daß die Hoffnung<lb/> trog, weil die Verschwörergemeinschast den Zeitpunkt zum Angriff für günstig<lb/> erachtete. Die Begründung dieser Tatsache — oder sollen wir „These" sagen?<lb/> — vermissen wir im Bülowbuche. Warum die nie entschwundene weltpolitische<lb/> Rivalität zwischen Deutschland und England gerade 1914 zu einer erschütternden<lb/> Explosion führen mußte, bleibt trotz der vorangegangenen katastrophalen Ereignisse<lb/> in Österreich eine Frage, deren nähere Aufklärung noch aussteht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0177]
Das Buch des Fürsten von Bülow
sächlich zusammengebrochen, wird starken Zweifeln begegnen. Die Kriegsgefahr
war damals keineswegs ein wesenloses Gespenst, vielmehr wird von anderen
Schriftstellern gerade die den Dreibundgegnern beigebrachte Niederlage als ein
mächtiger Antrieb bewertet, nunmehr erst recht die heimliche Minierarbeit gegen
die deutsch-österreichische Waffengemeinschaft zu verstärken. Im Bülowbuch
hingegen lesen wir: „Durch unsere Stärke als Kontinentalmacht zerrissen wir
das Emkreisungsnetz, sodoß jenseits des Kanals jene Ernüchterung eintreten
konnte, die einer Epoche ruhigen Gedankenaustauschs und verständigen Interessen¬
ausgleichs zwischen den beiden Nationen voranzugehen schien". Eine Bekräftigung
dieser Auffassung erblickt Bülow in dem befriedigend verlaufenen Besuch, den
König Eduard dem deutschen Kaiserpaar im Winter 1909, unmittelbar nachdem
in der böhmischen Krise die entscheidende Wendung eingetreten war, abstattete.
Mit diesem Besuch, so wird weiter betont, sei ein für die Zukunft gute Hoffnungen
erweckendes Licht nicht nur aus das Verhältnis des Königs zu Deutschland,
sondern auch auf die Beziehungen zwischen zwei großen Völkern gefallen, die
allen Grund hatten, sich gegenseitig zu achten und friedlich in Friedensarbeiten
miteinander zu wetteifern. Und Bülow greift bis in die Gegenwart, indem er
feststellt, daß bis 1914 der Versuch nicht wiederholt worden ist, den deutsch¬
englischen Gegensatz zu einem System der gesamten internationalen Politik zu
erweitern. An einer anderen Stelle ferner heißt es: „Von Rußland wie von
England trennte uns bis zum August 1914 kein unüberwindlicher Interessen»
gegensatz."
Solche Äußerungen über die deutsch-englischen Beziehungen lassen für den
Gedanken Raum, daß ein Ausgleich mit England auch im Jahre 1914 vielleicht
zu erreichen gewesen wäre. Diese Illusion wird aber durch die infernalische Heim¬
tücke, mit der von englischer Seite die Kriegshetze geschürt wurde, gründlich
zerstört. Wir Hütten erwartet, daß Fürst Bülow wenigstens im Rückblick auf
die arglistige Durchkreuzung der deutschen Bemühungen zur Erhaltung des
Friedens von feiten Englands die treulose Jntrigenpolitik Albions mit gebührender
Schärfe an den Pranger stellt. Die Weltkatastrophe würde solchenfalls weniger
unvermittelt dem Leser des Bülowbuches sich aufdrängen. Allerdings sagt
Bülow im Vorwort: „Die Hoffnung konnte berechtigt erscheinen, es werde auch
künftig der Gedanke an die Schrecken und Zerstörungen eines europäischen
Völkerkrieges den verantwortlichen Staatsmännern selbst in ernsten Konflikten
die Mittel zur schließlichen friedlichen Lösung an die Hand geben. Die Hoffnung
hat sich nicht erfüllt." Das Wort liegt fast auf der Zunge, daß die Hoffnung
trog, weil die Verschwörergemeinschast den Zeitpunkt zum Angriff für günstig
erachtete. Die Begründung dieser Tatsache — oder sollen wir „These" sagen?
— vermissen wir im Bülowbuche. Warum die nie entschwundene weltpolitische
Rivalität zwischen Deutschland und England gerade 1914 zu einer erschütternden
Explosion führen mußte, bleibt trotz der vorangegangenen katastrophalen Ereignisse
in Österreich eine Frage, deren nähere Aufklärung noch aussteht.
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