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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Buch des Fürsten von Bülow

auf England weder dessen Antagonist noch Trabant sein. Daher die Zurück¬
haltung der deutschen Diplomatie zur Zeit des Burenkrieges, denn hier hätte
die Einmischung dem englischen Selbstgefühl eine schwärmte Wunde ge¬
schlagen. Ein Zusammenstoß zwischen Deutschland und England ließ sich, nach
des Fürsten Bülow Überzeugung, sehr wohl vermeiden, wenn wir eine Flotte
bauten, die anzugreifen für jeden Gegner mit einem übermäßigen Risiko ver¬
bunden wäre, wenn wir darüber hinaus uns auf kein zielloses Bauen und
Rüster einließen, auf kein Überheizen unseres Marinekessels, wenn ferner wir
England nicht erlaubten, unserem Ansehen und unserer Würde zu nahe zu
treten, aber auch nichts zwischen uns und England setzten, was nicht wieder
gutzumachen gewesen wäre, wenn wir endlich ruhige Nerven und kaltes Blut
behenden, England weder brüskierten noch ihm nachliefen.

Daß diese Methode, das übelwollen Englands gegenüber Deutschland im
Zaume zu halten, recht unvollkommen war, bezeugt die bereits seit Beginn des
neuen Jahrhunderts von König Eduard dem Siebenten mit erstaunlicher Zähig¬
keit betriebene EinkreisungZpolitik. Die Gefährlichkeit dieser Machenschaften
wird nicht abgeschwächt durch den Hinweis des Bülowbuches, daß sie nicht so
sehr direkt gegen die deutschen Interessen gerichtet waren, wie durch eine
Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse Deutschland allmählich mattsetzen
wollten. Nach der Bülowschen Darstellung hat aber die Absicht der Isolierung
Deutschlands Schiffbruch erlitten, als die Einverleibung der Provinzen Bosnien
und Herzegowina in das österreichisch ° ungarische Staatsgebiet eine schwere
europäische Krisis heraufbeschwor. Deutschland war damals in Erfüllung seiner
Nibelungentreue bekanntlich willens, sein Schwert in die Wagschale der Entschei¬
dung zu werfen. Angesichts der unzweideutigen Entschlossenheit Deutschlands,
an der Seite seines Bundesgenossen auch zum Äußersten zu schreiten, entsank
der gegenerischen Mächtegruppe der Angriffsmut. Zur Kennzeichnung der Lage
müssen wir folgende Sätze des Fürsten Bülow hersetzen: "Durch die böhmische
Annexionskrisis wurde weder der Krieg entfesselt, noch auch nur unser Verhältnis
zu Rußland ernstlich geschädigt. Die sehr überschätzte Konstellation von Algeciras
zerbarst an den handfesten Fragen der Kontinentalpolitik. Italien blieb an
der Seite seiner Verbündeten, Frankreich verhielt sich abwartend und nicht
unfreundlich für Deutschland, und Kaiser Nicolaus entschied sich für einen
gütlichen Ausgleich der bestehenden Schwierigkeiten. So erwies sich damals
die kunstvolle Einkreisung und Isolierung Deutschlands, während einiger Zeit
das Schreckbild ängstlicher Gemüter, als ein diplomatisches Blendwerk, dem die
reulpolitschen Voraussetzungen fehlten."

Die angegebenen Sätze bestätigen unseres Erachtens die früher erwähnte
optimistische Zuversicht, mit der Fürst Bülow als der verantwortliche Leiter der
politischen Geschäfte des Deutschen Reichs der weiteren internationalen Ent¬
wicklung entgegensah. Daß die von England gebildete Koalition und deren
Anschläge gegen die europäischen Mittelmächte durch die böhmische Krisis tat-


Das Buch des Fürsten von Bülow

auf England weder dessen Antagonist noch Trabant sein. Daher die Zurück¬
haltung der deutschen Diplomatie zur Zeit des Burenkrieges, denn hier hätte
die Einmischung dem englischen Selbstgefühl eine schwärmte Wunde ge¬
schlagen. Ein Zusammenstoß zwischen Deutschland und England ließ sich, nach
des Fürsten Bülow Überzeugung, sehr wohl vermeiden, wenn wir eine Flotte
bauten, die anzugreifen für jeden Gegner mit einem übermäßigen Risiko ver¬
bunden wäre, wenn wir darüber hinaus uns auf kein zielloses Bauen und
Rüster einließen, auf kein Überheizen unseres Marinekessels, wenn ferner wir
England nicht erlaubten, unserem Ansehen und unserer Würde zu nahe zu
treten, aber auch nichts zwischen uns und England setzten, was nicht wieder
gutzumachen gewesen wäre, wenn wir endlich ruhige Nerven und kaltes Blut
behenden, England weder brüskierten noch ihm nachliefen.

Daß diese Methode, das übelwollen Englands gegenüber Deutschland im
Zaume zu halten, recht unvollkommen war, bezeugt die bereits seit Beginn des
neuen Jahrhunderts von König Eduard dem Siebenten mit erstaunlicher Zähig¬
keit betriebene EinkreisungZpolitik. Die Gefährlichkeit dieser Machenschaften
wird nicht abgeschwächt durch den Hinweis des Bülowbuches, daß sie nicht so
sehr direkt gegen die deutschen Interessen gerichtet waren, wie durch eine
Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse Deutschland allmählich mattsetzen
wollten. Nach der Bülowschen Darstellung hat aber die Absicht der Isolierung
Deutschlands Schiffbruch erlitten, als die Einverleibung der Provinzen Bosnien
und Herzegowina in das österreichisch ° ungarische Staatsgebiet eine schwere
europäische Krisis heraufbeschwor. Deutschland war damals in Erfüllung seiner
Nibelungentreue bekanntlich willens, sein Schwert in die Wagschale der Entschei¬
dung zu werfen. Angesichts der unzweideutigen Entschlossenheit Deutschlands,
an der Seite seines Bundesgenossen auch zum Äußersten zu schreiten, entsank
der gegenerischen Mächtegruppe der Angriffsmut. Zur Kennzeichnung der Lage
müssen wir folgende Sätze des Fürsten Bülow hersetzen: „Durch die böhmische
Annexionskrisis wurde weder der Krieg entfesselt, noch auch nur unser Verhältnis
zu Rußland ernstlich geschädigt. Die sehr überschätzte Konstellation von Algeciras
zerbarst an den handfesten Fragen der Kontinentalpolitik. Italien blieb an
der Seite seiner Verbündeten, Frankreich verhielt sich abwartend und nicht
unfreundlich für Deutschland, und Kaiser Nicolaus entschied sich für einen
gütlichen Ausgleich der bestehenden Schwierigkeiten. So erwies sich damals
die kunstvolle Einkreisung und Isolierung Deutschlands, während einiger Zeit
das Schreckbild ängstlicher Gemüter, als ein diplomatisches Blendwerk, dem die
reulpolitschen Voraussetzungen fehlten."

Die angegebenen Sätze bestätigen unseres Erachtens die früher erwähnte
optimistische Zuversicht, mit der Fürst Bülow als der verantwortliche Leiter der
politischen Geschäfte des Deutschen Reichs der weiteren internationalen Ent¬
wicklung entgegensah. Daß die von England gebildete Koalition und deren
Anschläge gegen die europäischen Mittelmächte durch die böhmische Krisis tat-


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[0176] Das Buch des Fürsten von Bülow auf England weder dessen Antagonist noch Trabant sein. Daher die Zurück¬ haltung der deutschen Diplomatie zur Zeit des Burenkrieges, denn hier hätte die Einmischung dem englischen Selbstgefühl eine schwärmte Wunde ge¬ schlagen. Ein Zusammenstoß zwischen Deutschland und England ließ sich, nach des Fürsten Bülow Überzeugung, sehr wohl vermeiden, wenn wir eine Flotte bauten, die anzugreifen für jeden Gegner mit einem übermäßigen Risiko ver¬ bunden wäre, wenn wir darüber hinaus uns auf kein zielloses Bauen und Rüster einließen, auf kein Überheizen unseres Marinekessels, wenn ferner wir England nicht erlaubten, unserem Ansehen und unserer Würde zu nahe zu treten, aber auch nichts zwischen uns und England setzten, was nicht wieder gutzumachen gewesen wäre, wenn wir endlich ruhige Nerven und kaltes Blut behenden, England weder brüskierten noch ihm nachliefen. Daß diese Methode, das übelwollen Englands gegenüber Deutschland im Zaume zu halten, recht unvollkommen war, bezeugt die bereits seit Beginn des neuen Jahrhunderts von König Eduard dem Siebenten mit erstaunlicher Zähig¬ keit betriebene EinkreisungZpolitik. Die Gefährlichkeit dieser Machenschaften wird nicht abgeschwächt durch den Hinweis des Bülowbuches, daß sie nicht so sehr direkt gegen die deutschen Interessen gerichtet waren, wie durch eine Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse Deutschland allmählich mattsetzen wollten. Nach der Bülowschen Darstellung hat aber die Absicht der Isolierung Deutschlands Schiffbruch erlitten, als die Einverleibung der Provinzen Bosnien und Herzegowina in das österreichisch ° ungarische Staatsgebiet eine schwere europäische Krisis heraufbeschwor. Deutschland war damals in Erfüllung seiner Nibelungentreue bekanntlich willens, sein Schwert in die Wagschale der Entschei¬ dung zu werfen. Angesichts der unzweideutigen Entschlossenheit Deutschlands, an der Seite seines Bundesgenossen auch zum Äußersten zu schreiten, entsank der gegenerischen Mächtegruppe der Angriffsmut. Zur Kennzeichnung der Lage müssen wir folgende Sätze des Fürsten Bülow hersetzen: „Durch die böhmische Annexionskrisis wurde weder der Krieg entfesselt, noch auch nur unser Verhältnis zu Rußland ernstlich geschädigt. Die sehr überschätzte Konstellation von Algeciras zerbarst an den handfesten Fragen der Kontinentalpolitik. Italien blieb an der Seite seiner Verbündeten, Frankreich verhielt sich abwartend und nicht unfreundlich für Deutschland, und Kaiser Nicolaus entschied sich für einen gütlichen Ausgleich der bestehenden Schwierigkeiten. So erwies sich damals die kunstvolle Einkreisung und Isolierung Deutschlands, während einiger Zeit das Schreckbild ängstlicher Gemüter, als ein diplomatisches Blendwerk, dem die reulpolitschen Voraussetzungen fehlten." Die angegebenen Sätze bestätigen unseres Erachtens die früher erwähnte optimistische Zuversicht, mit der Fürst Bülow als der verantwortliche Leiter der politischen Geschäfte des Deutschen Reichs der weiteren internationalen Ent¬ wicklung entgegensah. Daß die von England gebildete Koalition und deren Anschläge gegen die europäischen Mittelmächte durch die böhmische Krisis tat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/176>, abgerufen am 23.07.2024.