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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Wege des Geistes in der Sprache

vermitteln sein mögen, kann etwa die Fünf zeigen, die man früh in sprachliche
Verbindung mit Faust und Finger gebracht hat: wenn die fünffingrige Hand
den gegebenen Ausgangspunkt für die sprachliche Benennung der Fünfheit lieh,
so kann die Drei benannt worden sein nach dem sinnfälligen Bilde der Dreiheit,
das man erhielt, wenn man mit eingeschlagenen kleinen und Goldfinger den
Daumen gegen Zeige- und Mittelfinger drehte. Oder auch: mindestens drei
Finger gehören dazu, eine Drehung auszuführen, den Vorgang anschaulich zu
machen. Nicht zufällig heißt gerade der Dreiphasenstrom Drehstrom. Mag
aber auch neben der sicheren Deutung der Zwei nur die der Fünf bestehen
bleiben, so zeigt sich doch schon zur Genüge, daß neben der umgebenden
Natur der eigene Leib dem Menschen zum Ausgangsbereich seines geistigen
Lebens wurde, auch in der ältesten Sprache.

Jener Handgebärde, die wir für den sprachlichen Ausdruck der Dreiheit
vorausgesetzt haben, mag irgendwelche kultische Bedeutung zugekommen sein, und
so sind religiöse und mythische Vorstellungskomplexe mit jenen ältesten Wegen
des Geistes in der Sprache vielfach untrennbar verschlungen. Auch die ältesten
und einfachsten sozialen Verhältnisse spielen notwendig hinein, das läßt sich für
die germanische Vorzeit gut zeigen an unserem Worte Ding. Dieses Neutrum
ist eine endbetonte Nebenform zum Verbalstamm tliink- .wachsen', der in
unserem Zeitwort gedeihen fortlebt. Ding ist von daher zunächst die .Zeit,
in der etwas gedeiht', diese Bedeutung liegt vor im gotischen tdeiks .Zeit,
Termin'. Das althochdeutsche ttiiriA zeigt sodann die Bedeutungen .Gerichts-
termin, Gerichtstag, Gertchtsversammlung, Rechtshändel', durch fortgesetzte Ver¬
blassung ist in dem Jahrtausend seither die heutige, viel umfassendere Bedeutung
.Sache' erreicht worden. In unseren Zusammenhang gehört das Wort um
der feinen Wendung willen, mit der von der Anschauung des bis zur Ernte
wachsenden Halms, der bis zum Herbst stetig anschwellenden Frucht der Aus¬
druck für den Zeitbegriff gewonnen ist, der unsinnlich und sprachlich wiederuni
mit primären Mitteln unfaßbar, allein einer Benennung durch Metapher
fähig war.

Insofern in den gleichen Kreis gehören die Namen ethischer Begriffe, die
auf verschiedenen Wegen der Sinnenwelt abgewonnen werden mußten: das
Eigenschaftswort böse bedeutet zunächst .klein' und ist über die Zwischenstufe
'gering' zum Ausdruck der moralischen Minderwertigkeit geworden. Wenn neben
vielen Hasel und Haslach ein Boshasel bei Pfullendorf liegt, wieWenigenjena
neben Jena, Kleinbasel gegenüber Basel, so zeigt sich im Ortsnamen die
Ausgangsbedeutung noch lebendig. Aber Schadenbirndorf neben Birndorf
im badischen Oberland zeigt doch zugleich, wie leicht sich auch hier zum Begriff
der Kleinheit der der Minderwertigkeit gesellen konnte. Unser schlimm bedeutet
von Haus aus .schräg' .schief'; die Betrachtung dieses Bedeutungswandels sührt
aus dem Reich der Lautsprache hinaus: wenn in allen Gebärdensprachen der
Erde die Rede durch eine Gebärde bezeichnet wird, bei der die zusammen-


Wege des Geistes in der Sprache

vermitteln sein mögen, kann etwa die Fünf zeigen, die man früh in sprachliche
Verbindung mit Faust und Finger gebracht hat: wenn die fünffingrige Hand
den gegebenen Ausgangspunkt für die sprachliche Benennung der Fünfheit lieh,
so kann die Drei benannt worden sein nach dem sinnfälligen Bilde der Dreiheit,
das man erhielt, wenn man mit eingeschlagenen kleinen und Goldfinger den
Daumen gegen Zeige- und Mittelfinger drehte. Oder auch: mindestens drei
Finger gehören dazu, eine Drehung auszuführen, den Vorgang anschaulich zu
machen. Nicht zufällig heißt gerade der Dreiphasenstrom Drehstrom. Mag
aber auch neben der sicheren Deutung der Zwei nur die der Fünf bestehen
bleiben, so zeigt sich doch schon zur Genüge, daß neben der umgebenden
Natur der eigene Leib dem Menschen zum Ausgangsbereich seines geistigen
Lebens wurde, auch in der ältesten Sprache.

Jener Handgebärde, die wir für den sprachlichen Ausdruck der Dreiheit
vorausgesetzt haben, mag irgendwelche kultische Bedeutung zugekommen sein, und
so sind religiöse und mythische Vorstellungskomplexe mit jenen ältesten Wegen
des Geistes in der Sprache vielfach untrennbar verschlungen. Auch die ältesten
und einfachsten sozialen Verhältnisse spielen notwendig hinein, das läßt sich für
die germanische Vorzeit gut zeigen an unserem Worte Ding. Dieses Neutrum
ist eine endbetonte Nebenform zum Verbalstamm tliink- .wachsen', der in
unserem Zeitwort gedeihen fortlebt. Ding ist von daher zunächst die .Zeit,
in der etwas gedeiht', diese Bedeutung liegt vor im gotischen tdeiks .Zeit,
Termin'. Das althochdeutsche ttiiriA zeigt sodann die Bedeutungen .Gerichts-
termin, Gerichtstag, Gertchtsversammlung, Rechtshändel', durch fortgesetzte Ver¬
blassung ist in dem Jahrtausend seither die heutige, viel umfassendere Bedeutung
.Sache' erreicht worden. In unseren Zusammenhang gehört das Wort um
der feinen Wendung willen, mit der von der Anschauung des bis zur Ernte
wachsenden Halms, der bis zum Herbst stetig anschwellenden Frucht der Aus¬
druck für den Zeitbegriff gewonnen ist, der unsinnlich und sprachlich wiederuni
mit primären Mitteln unfaßbar, allein einer Benennung durch Metapher
fähig war.

Insofern in den gleichen Kreis gehören die Namen ethischer Begriffe, die
auf verschiedenen Wegen der Sinnenwelt abgewonnen werden mußten: das
Eigenschaftswort böse bedeutet zunächst .klein' und ist über die Zwischenstufe
'gering' zum Ausdruck der moralischen Minderwertigkeit geworden. Wenn neben
vielen Hasel und Haslach ein Boshasel bei Pfullendorf liegt, wieWenigenjena
neben Jena, Kleinbasel gegenüber Basel, so zeigt sich im Ortsnamen die
Ausgangsbedeutung noch lebendig. Aber Schadenbirndorf neben Birndorf
im badischen Oberland zeigt doch zugleich, wie leicht sich auch hier zum Begriff
der Kleinheit der der Minderwertigkeit gesellen konnte. Unser schlimm bedeutet
von Haus aus .schräg' .schief'; die Betrachtung dieses Bedeutungswandels sührt
aus dem Reich der Lautsprache hinaus: wenn in allen Gebärdensprachen der
Erde die Rede durch eine Gebärde bezeichnet wird, bei der die zusammen-


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[0171] Wege des Geistes in der Sprache vermitteln sein mögen, kann etwa die Fünf zeigen, die man früh in sprachliche Verbindung mit Faust und Finger gebracht hat: wenn die fünffingrige Hand den gegebenen Ausgangspunkt für die sprachliche Benennung der Fünfheit lieh, so kann die Drei benannt worden sein nach dem sinnfälligen Bilde der Dreiheit, das man erhielt, wenn man mit eingeschlagenen kleinen und Goldfinger den Daumen gegen Zeige- und Mittelfinger drehte. Oder auch: mindestens drei Finger gehören dazu, eine Drehung auszuführen, den Vorgang anschaulich zu machen. Nicht zufällig heißt gerade der Dreiphasenstrom Drehstrom. Mag aber auch neben der sicheren Deutung der Zwei nur die der Fünf bestehen bleiben, so zeigt sich doch schon zur Genüge, daß neben der umgebenden Natur der eigene Leib dem Menschen zum Ausgangsbereich seines geistigen Lebens wurde, auch in der ältesten Sprache. Jener Handgebärde, die wir für den sprachlichen Ausdruck der Dreiheit vorausgesetzt haben, mag irgendwelche kultische Bedeutung zugekommen sein, und so sind religiöse und mythische Vorstellungskomplexe mit jenen ältesten Wegen des Geistes in der Sprache vielfach untrennbar verschlungen. Auch die ältesten und einfachsten sozialen Verhältnisse spielen notwendig hinein, das läßt sich für die germanische Vorzeit gut zeigen an unserem Worte Ding. Dieses Neutrum ist eine endbetonte Nebenform zum Verbalstamm tliink- .wachsen', der in unserem Zeitwort gedeihen fortlebt. Ding ist von daher zunächst die .Zeit, in der etwas gedeiht', diese Bedeutung liegt vor im gotischen tdeiks .Zeit, Termin'. Das althochdeutsche ttiiriA zeigt sodann die Bedeutungen .Gerichts- termin, Gerichtstag, Gertchtsversammlung, Rechtshändel', durch fortgesetzte Ver¬ blassung ist in dem Jahrtausend seither die heutige, viel umfassendere Bedeutung .Sache' erreicht worden. In unseren Zusammenhang gehört das Wort um der feinen Wendung willen, mit der von der Anschauung des bis zur Ernte wachsenden Halms, der bis zum Herbst stetig anschwellenden Frucht der Aus¬ druck für den Zeitbegriff gewonnen ist, der unsinnlich und sprachlich wiederuni mit primären Mitteln unfaßbar, allein einer Benennung durch Metapher fähig war. Insofern in den gleichen Kreis gehören die Namen ethischer Begriffe, die auf verschiedenen Wegen der Sinnenwelt abgewonnen werden mußten: das Eigenschaftswort böse bedeutet zunächst .klein' und ist über die Zwischenstufe 'gering' zum Ausdruck der moralischen Minderwertigkeit geworden. Wenn neben vielen Hasel und Haslach ein Boshasel bei Pfullendorf liegt, wieWenigenjena neben Jena, Kleinbasel gegenüber Basel, so zeigt sich im Ortsnamen die Ausgangsbedeutung noch lebendig. Aber Schadenbirndorf neben Birndorf im badischen Oberland zeigt doch zugleich, wie leicht sich auch hier zum Begriff der Kleinheit der der Minderwertigkeit gesellen konnte. Unser schlimm bedeutet von Haus aus .schräg' .schief'; die Betrachtung dieses Bedeutungswandels sührt aus dem Reich der Lautsprache hinaus: wenn in allen Gebärdensprachen der Erde die Rede durch eine Gebärde bezeichnet wird, bei der die zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/171>, abgerufen am 23.07.2024.