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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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"Skandinavismus"

Gesellschaft" (Nordisk Samfund), in Schweden der "Nordische Nationalverein"
(Nordiska Nationalföreningen), der anregend auf die Verpflanzung der dänischen
Volksbildungsbestrebungen nach Schweden wirkte, und in Norwegen die
"Skandinavische Gesellschaft" (Skandinavisk Selskab). Das gemeinsame Organ
der drei Vereine war die "Nordische Zeitschrift" ("Nordisk Tidskrift"). Besonders
der Liberalismus war, wie auch jetzt im Weltkrieg, der Hauptträger dieser
Gedanken. Und so wurde die Bewegung volkstümlich; -- aber anstatt daß
sie sich in den nächsten Jahren steigerte bis zur Begeisterung für die Erfüllung
einer realen politischen Aufgabe, verlor sie allmählich alle Lebenskraft. Anstatt
daß sie eine Einigung des Nordens herbeiführte, riß das Jahr 1905 die ver¬
bundenen Nachbarreiche auf der skandinavischen Halbinsel auseinander.

Allerdings, eins darf nicht vergessen werden: war auch die skandinavische
Bewegung in politischer Beziehung wenig von Erfolg gekrönt, so war sie
doch von starkem Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaft, Kunst und
Literatur in den drei nordischen Länder: geworden. Auf wirtschaftlichem
Gebiete schlössen sich Organisationen zu gemeinsamer Arbeit zusammen; auf
rechtlichem war die Wirkung des Skandinavismus so stark, daß die drei
Staaten in vielen Fällen ihre Gesetzgebung bis zur fast völligen Gleichheit
näherten. Seit einigen Jahren haben auch die Arbeitgeber Norwegens, Schwedens,
Dänemarks und Finnlands sich zu gemeinsamer Arbeit für die Lösung bestimmter
Probleme zusammengeschlossen. Seit ungefähr einem Jahrzehnt findet in ge¬
wissen Abständen ein skandinavischer Kongreß statt, der sich aus den Vertretern
der Gewerkschaftsorgantsationen der drei skandinavischen Länder zusammensetzt.
Die gemeinsame Arbeit richtet sich in erster Linie auf die Stärkung der Friedens¬
bewegung und auf die Einsetzung von Schiedsgerichten. Man will bewirken,
daß die sozialdemokratischen Reichstagsgruppen aller skandinavischen Länder mit
einer gewissen Einheitlichkeit und wenn möglich gleichzeitig für die Lösung be¬
stimmter Probleme eintreten: für den Maximalarbeitstag, Minimallohn, Arbeiter¬
und Kinderschutz, Invaliden-, Kranken- und Unfallversicherung, Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit und Monopolisierung von Handels-und Jndustrieunternehmungen.

Aber das Auf- und Absteigen des politischen Skandinavismus hat mit
dem Jahre 1905 noch nicht sein Ende erreicht. Als die Kriegsfackel in Europa
aufloderte, da gebot den nordischen Reichen eine innere Notwendigkeit, zu
gemeinsamen Verhandlungen zusammenzutreten. Schon kurz nach Kriegsaus¬
bruch veranlaßte die Klärung des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Schweden
und Norwegen den Austausch bindender Versicherungen zwischen den beiden
Staaten: der Krtegszustand in Europa sollte in keinem Falle bewirken, daß
der eine Staat gegenüber dem anderen feindliche Maßnahmen ergriffe. Bald
zeigte sich auch das Bedürfnis, für die Haltung gegenüber den kriegführenden
Staaten gemeinsame Beschlüsse zu fassen. So kam die in größeren Kreisen,
auch in den außerskandinavischen Staaten bekannt gewordene Zusammenkunft in
Malmö am 18./19. Dezember 1914 zustande, auf der die drei skandinavischen


„Skandinavismus"

Gesellschaft" (Nordisk Samfund), in Schweden der „Nordische Nationalverein"
(Nordiska Nationalföreningen), der anregend auf die Verpflanzung der dänischen
Volksbildungsbestrebungen nach Schweden wirkte, und in Norwegen die
„Skandinavische Gesellschaft" (Skandinavisk Selskab). Das gemeinsame Organ
der drei Vereine war die „Nordische Zeitschrift" („Nordisk Tidskrift"). Besonders
der Liberalismus war, wie auch jetzt im Weltkrieg, der Hauptträger dieser
Gedanken. Und so wurde die Bewegung volkstümlich; — aber anstatt daß
sie sich in den nächsten Jahren steigerte bis zur Begeisterung für die Erfüllung
einer realen politischen Aufgabe, verlor sie allmählich alle Lebenskraft. Anstatt
daß sie eine Einigung des Nordens herbeiführte, riß das Jahr 1905 die ver¬
bundenen Nachbarreiche auf der skandinavischen Halbinsel auseinander.

Allerdings, eins darf nicht vergessen werden: war auch die skandinavische
Bewegung in politischer Beziehung wenig von Erfolg gekrönt, so war sie
doch von starkem Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaft, Kunst und
Literatur in den drei nordischen Länder: geworden. Auf wirtschaftlichem
Gebiete schlössen sich Organisationen zu gemeinsamer Arbeit zusammen; auf
rechtlichem war die Wirkung des Skandinavismus so stark, daß die drei
Staaten in vielen Fällen ihre Gesetzgebung bis zur fast völligen Gleichheit
näherten. Seit einigen Jahren haben auch die Arbeitgeber Norwegens, Schwedens,
Dänemarks und Finnlands sich zu gemeinsamer Arbeit für die Lösung bestimmter
Probleme zusammengeschlossen. Seit ungefähr einem Jahrzehnt findet in ge¬
wissen Abständen ein skandinavischer Kongreß statt, der sich aus den Vertretern
der Gewerkschaftsorgantsationen der drei skandinavischen Länder zusammensetzt.
Die gemeinsame Arbeit richtet sich in erster Linie auf die Stärkung der Friedens¬
bewegung und auf die Einsetzung von Schiedsgerichten. Man will bewirken,
daß die sozialdemokratischen Reichstagsgruppen aller skandinavischen Länder mit
einer gewissen Einheitlichkeit und wenn möglich gleichzeitig für die Lösung be¬
stimmter Probleme eintreten: für den Maximalarbeitstag, Minimallohn, Arbeiter¬
und Kinderschutz, Invaliden-, Kranken- und Unfallversicherung, Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit und Monopolisierung von Handels-und Jndustrieunternehmungen.

Aber das Auf- und Absteigen des politischen Skandinavismus hat mit
dem Jahre 1905 noch nicht sein Ende erreicht. Als die Kriegsfackel in Europa
aufloderte, da gebot den nordischen Reichen eine innere Notwendigkeit, zu
gemeinsamen Verhandlungen zusammenzutreten. Schon kurz nach Kriegsaus¬
bruch veranlaßte die Klärung des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Schweden
und Norwegen den Austausch bindender Versicherungen zwischen den beiden
Staaten: der Krtegszustand in Europa sollte in keinem Falle bewirken, daß
der eine Staat gegenüber dem anderen feindliche Maßnahmen ergriffe. Bald
zeigte sich auch das Bedürfnis, für die Haltung gegenüber den kriegführenden
Staaten gemeinsame Beschlüsse zu fassen. So kam die in größeren Kreisen,
auch in den außerskandinavischen Staaten bekannt gewordene Zusammenkunft in
Malmö am 18./19. Dezember 1914 zustande, auf der die drei skandinavischen


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[0094] „Skandinavismus" Gesellschaft" (Nordisk Samfund), in Schweden der „Nordische Nationalverein" (Nordiska Nationalföreningen), der anregend auf die Verpflanzung der dänischen Volksbildungsbestrebungen nach Schweden wirkte, und in Norwegen die „Skandinavische Gesellschaft" (Skandinavisk Selskab). Das gemeinsame Organ der drei Vereine war die „Nordische Zeitschrift" („Nordisk Tidskrift"). Besonders der Liberalismus war, wie auch jetzt im Weltkrieg, der Hauptträger dieser Gedanken. Und so wurde die Bewegung volkstümlich; — aber anstatt daß sie sich in den nächsten Jahren steigerte bis zur Begeisterung für die Erfüllung einer realen politischen Aufgabe, verlor sie allmählich alle Lebenskraft. Anstatt daß sie eine Einigung des Nordens herbeiführte, riß das Jahr 1905 die ver¬ bundenen Nachbarreiche auf der skandinavischen Halbinsel auseinander. Allerdings, eins darf nicht vergessen werden: war auch die skandinavische Bewegung in politischer Beziehung wenig von Erfolg gekrönt, so war sie doch von starkem Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaft, Kunst und Literatur in den drei nordischen Länder: geworden. Auf wirtschaftlichem Gebiete schlössen sich Organisationen zu gemeinsamer Arbeit zusammen; auf rechtlichem war die Wirkung des Skandinavismus so stark, daß die drei Staaten in vielen Fällen ihre Gesetzgebung bis zur fast völligen Gleichheit näherten. Seit einigen Jahren haben auch die Arbeitgeber Norwegens, Schwedens, Dänemarks und Finnlands sich zu gemeinsamer Arbeit für die Lösung bestimmter Probleme zusammengeschlossen. Seit ungefähr einem Jahrzehnt findet in ge¬ wissen Abständen ein skandinavischer Kongreß statt, der sich aus den Vertretern der Gewerkschaftsorgantsationen der drei skandinavischen Länder zusammensetzt. Die gemeinsame Arbeit richtet sich in erster Linie auf die Stärkung der Friedens¬ bewegung und auf die Einsetzung von Schiedsgerichten. Man will bewirken, daß die sozialdemokratischen Reichstagsgruppen aller skandinavischen Länder mit einer gewissen Einheitlichkeit und wenn möglich gleichzeitig für die Lösung be¬ stimmter Probleme eintreten: für den Maximalarbeitstag, Minimallohn, Arbeiter¬ und Kinderschutz, Invaliden-, Kranken- und Unfallversicherung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Monopolisierung von Handels-und Jndustrieunternehmungen. Aber das Auf- und Absteigen des politischen Skandinavismus hat mit dem Jahre 1905 noch nicht sein Ende erreicht. Als die Kriegsfackel in Europa aufloderte, da gebot den nordischen Reichen eine innere Notwendigkeit, zu gemeinsamen Verhandlungen zusammenzutreten. Schon kurz nach Kriegsaus¬ bruch veranlaßte die Klärung des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Schweden und Norwegen den Austausch bindender Versicherungen zwischen den beiden Staaten: der Krtegszustand in Europa sollte in keinem Falle bewirken, daß der eine Staat gegenüber dem anderen feindliche Maßnahmen ergriffe. Bald zeigte sich auch das Bedürfnis, für die Haltung gegenüber den kriegführenden Staaten gemeinsame Beschlüsse zu fassen. So kam die in größeren Kreisen, auch in den außerskandinavischen Staaten bekannt gewordene Zusammenkunft in Malmö am 18./19. Dezember 1914 zustande, auf der die drei skandinavischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/94>, abgerufen am 01.09.2024.