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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

Der größte Fehler des ersten Ministeriums, das leider das einzige Ministerium
bleiben sollte, war ohne Zweifel, daß neben Essad, der auf Italiens Wunsch zu¬
gleich Kriegsminister und Minister des Innern war, keine zweite Person ernannt
wurde, die ihm an Bedeutung und Einfluß die Wagschale zu halten vermocht hätte.

Der Ministerpräsident, der greise Turkhan Pascha, war dazu nicht im¬
stande, denn er hatte sich als türkischer Gesandter in Petersburg und anderen
Städten, mehr als 50 Jahre außer Landes, zwar diplomatische Routine
erworben und allgemeine Achtung verdient, aber seine Kenntnis albanischer
Verhältnisse, wenn er sie je besessen hatte, gründlich vergessen und war daher ohne
Einfluß. Alle anderen Kabinettsmitglieder waren aber viel jünger als Essad,
oder hatten, wie Turkhan, ihr Leben bisher im Ausland verbracht.

Allerdings war Essad Pascha nicht von vornherein zu mißtrauen. Der
schlaue Mann hatte während der Zeit seiner ganz und halb versteckten Thron¬
aspirationen natürlich begriffen, daß weder die Mächte noch die Albaner ge¬
sonnen waren, seinen eigenen Herrschergelüsten Rechnung zu tragen und es
mußte ihm daher im eigenen Vorteil erscheinen, der Zweite im Lande zu sein,
indem er mehr und mehr Fürst Wilhelms Vertrauter wurde, da er nicht der Erste
sein konnte. Die Vereinigung mehrerer Ämter auf seine Person war aber deshalb
trotzdem bedenklich, weil Essad seiner durch hamidische Ideen angekränkelten
Mentalität nach und durch seinen niederen Bildungsgrad auch beim besten
Willen unfähig war, geordnete Arbeit zu leisten, so daß er an leitender Stelle, mit
allzuviel tatsächlicher Macht ausgerüstet, für den Fortschritt des Landes ein Hemmnis
sein mußte. Überdies lag gerade in den Essad zugesprochenen Ämtern der Keim zu
vielerlei Verwicklungen. Er war Kriegsminister, ohne daß Albanien ein Heer
gehabt hätte. Die einzige Truppe, die neugeschaffene Gendarmerie, aber unter¬
stand den Holländern und damit der Kontrollkommission, war also der Macht
und dem Einfluß Essads entrückt.

Das schien vielleicht auf dem Papier ein besonders kluger Zug, um den
ränkesüchtigen Mann, dem niemand mit Ausnahme Italiens trotz der äußeren
Gunstbezeugungen Vertrauen entgegenbrachte, jede tatsächliche Waffe zu ent¬
winden, mußte aber in Wirklichkeit bei Essads rastlosem Ehrgeiz zu beständigen
Reibungen mit den Holländern führen, um so mehr, da Essad als Minister
des Innern hundertfach Gelegenheit hatte, sich jeder Anordnung der Gen¬
darmerieoffiziere fördernd oder hindernd gegenüberzustellen.

Durch das Übergewicht Essads im Ministerium war ganz unvermeidlich,
daß dieses schon rein technisch im Schlendrian alttmkischen Stiles arbeitete,
daß beispielsweise die Herren Minister nie vor 3 Uhr in die Ministerien
kamen, dafür aber mit endlosen und doch inhaltslosen, oft durch Kaffeetrinken
unterbrochenen Sitzungen bis zum grauen Morgen ihre jungen Hilfskräfte um
jede Arbeitslust gebracht haben, daß die Bureaus, was die Herren gar nicht
zu genieren schien, uneingerichtet geblieben sind, so daß der erste Staatssekretär
Ekrem bey Vlora seine Staatserlasse übers Knie abfassen und, in Ermangelung


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

Der größte Fehler des ersten Ministeriums, das leider das einzige Ministerium
bleiben sollte, war ohne Zweifel, daß neben Essad, der auf Italiens Wunsch zu¬
gleich Kriegsminister und Minister des Innern war, keine zweite Person ernannt
wurde, die ihm an Bedeutung und Einfluß die Wagschale zu halten vermocht hätte.

Der Ministerpräsident, der greise Turkhan Pascha, war dazu nicht im¬
stande, denn er hatte sich als türkischer Gesandter in Petersburg und anderen
Städten, mehr als 50 Jahre außer Landes, zwar diplomatische Routine
erworben und allgemeine Achtung verdient, aber seine Kenntnis albanischer
Verhältnisse, wenn er sie je besessen hatte, gründlich vergessen und war daher ohne
Einfluß. Alle anderen Kabinettsmitglieder waren aber viel jünger als Essad,
oder hatten, wie Turkhan, ihr Leben bisher im Ausland verbracht.

Allerdings war Essad Pascha nicht von vornherein zu mißtrauen. Der
schlaue Mann hatte während der Zeit seiner ganz und halb versteckten Thron¬
aspirationen natürlich begriffen, daß weder die Mächte noch die Albaner ge¬
sonnen waren, seinen eigenen Herrschergelüsten Rechnung zu tragen und es
mußte ihm daher im eigenen Vorteil erscheinen, der Zweite im Lande zu sein,
indem er mehr und mehr Fürst Wilhelms Vertrauter wurde, da er nicht der Erste
sein konnte. Die Vereinigung mehrerer Ämter auf seine Person war aber deshalb
trotzdem bedenklich, weil Essad seiner durch hamidische Ideen angekränkelten
Mentalität nach und durch seinen niederen Bildungsgrad auch beim besten
Willen unfähig war, geordnete Arbeit zu leisten, so daß er an leitender Stelle, mit
allzuviel tatsächlicher Macht ausgerüstet, für den Fortschritt des Landes ein Hemmnis
sein mußte. Überdies lag gerade in den Essad zugesprochenen Ämtern der Keim zu
vielerlei Verwicklungen. Er war Kriegsminister, ohne daß Albanien ein Heer
gehabt hätte. Die einzige Truppe, die neugeschaffene Gendarmerie, aber unter¬
stand den Holländern und damit der Kontrollkommission, war also der Macht
und dem Einfluß Essads entrückt.

Das schien vielleicht auf dem Papier ein besonders kluger Zug, um den
ränkesüchtigen Mann, dem niemand mit Ausnahme Italiens trotz der äußeren
Gunstbezeugungen Vertrauen entgegenbrachte, jede tatsächliche Waffe zu ent¬
winden, mußte aber in Wirklichkeit bei Essads rastlosem Ehrgeiz zu beständigen
Reibungen mit den Holländern führen, um so mehr, da Essad als Minister
des Innern hundertfach Gelegenheit hatte, sich jeder Anordnung der Gen¬
darmerieoffiziere fördernd oder hindernd gegenüberzustellen.

Durch das Übergewicht Essads im Ministerium war ganz unvermeidlich,
daß dieses schon rein technisch im Schlendrian alttmkischen Stiles arbeitete,
daß beispielsweise die Herren Minister nie vor 3 Uhr in die Ministerien
kamen, dafür aber mit endlosen und doch inhaltslosen, oft durch Kaffeetrinken
unterbrochenen Sitzungen bis zum grauen Morgen ihre jungen Hilfskräfte um
jede Arbeitslust gebracht haben, daß die Bureaus, was die Herren gar nicht
zu genieren schien, uneingerichtet geblieben sind, so daß der erste Staatssekretär
Ekrem bey Vlora seine Staatserlasse übers Knie abfassen und, in Ermangelung


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[0090] Albaniens Enttäuschung und Erwartung Der größte Fehler des ersten Ministeriums, das leider das einzige Ministerium bleiben sollte, war ohne Zweifel, daß neben Essad, der auf Italiens Wunsch zu¬ gleich Kriegsminister und Minister des Innern war, keine zweite Person ernannt wurde, die ihm an Bedeutung und Einfluß die Wagschale zu halten vermocht hätte. Der Ministerpräsident, der greise Turkhan Pascha, war dazu nicht im¬ stande, denn er hatte sich als türkischer Gesandter in Petersburg und anderen Städten, mehr als 50 Jahre außer Landes, zwar diplomatische Routine erworben und allgemeine Achtung verdient, aber seine Kenntnis albanischer Verhältnisse, wenn er sie je besessen hatte, gründlich vergessen und war daher ohne Einfluß. Alle anderen Kabinettsmitglieder waren aber viel jünger als Essad, oder hatten, wie Turkhan, ihr Leben bisher im Ausland verbracht. Allerdings war Essad Pascha nicht von vornherein zu mißtrauen. Der schlaue Mann hatte während der Zeit seiner ganz und halb versteckten Thron¬ aspirationen natürlich begriffen, daß weder die Mächte noch die Albaner ge¬ sonnen waren, seinen eigenen Herrschergelüsten Rechnung zu tragen und es mußte ihm daher im eigenen Vorteil erscheinen, der Zweite im Lande zu sein, indem er mehr und mehr Fürst Wilhelms Vertrauter wurde, da er nicht der Erste sein konnte. Die Vereinigung mehrerer Ämter auf seine Person war aber deshalb trotzdem bedenklich, weil Essad seiner durch hamidische Ideen angekränkelten Mentalität nach und durch seinen niederen Bildungsgrad auch beim besten Willen unfähig war, geordnete Arbeit zu leisten, so daß er an leitender Stelle, mit allzuviel tatsächlicher Macht ausgerüstet, für den Fortschritt des Landes ein Hemmnis sein mußte. Überdies lag gerade in den Essad zugesprochenen Ämtern der Keim zu vielerlei Verwicklungen. Er war Kriegsminister, ohne daß Albanien ein Heer gehabt hätte. Die einzige Truppe, die neugeschaffene Gendarmerie, aber unter¬ stand den Holländern und damit der Kontrollkommission, war also der Macht und dem Einfluß Essads entrückt. Das schien vielleicht auf dem Papier ein besonders kluger Zug, um den ränkesüchtigen Mann, dem niemand mit Ausnahme Italiens trotz der äußeren Gunstbezeugungen Vertrauen entgegenbrachte, jede tatsächliche Waffe zu ent¬ winden, mußte aber in Wirklichkeit bei Essads rastlosem Ehrgeiz zu beständigen Reibungen mit den Holländern führen, um so mehr, da Essad als Minister des Innern hundertfach Gelegenheit hatte, sich jeder Anordnung der Gen¬ darmerieoffiziere fördernd oder hindernd gegenüberzustellen. Durch das Übergewicht Essads im Ministerium war ganz unvermeidlich, daß dieses schon rein technisch im Schlendrian alttmkischen Stiles arbeitete, daß beispielsweise die Herren Minister nie vor 3 Uhr in die Ministerien kamen, dafür aber mit endlosen und doch inhaltslosen, oft durch Kaffeetrinken unterbrochenen Sitzungen bis zum grauen Morgen ihre jungen Hilfskräfte um jede Arbeitslust gebracht haben, daß die Bureaus, was die Herren gar nicht zu genieren schien, uneingerichtet geblieben sind, so daß der erste Staatssekretär Ekrem bey Vlora seine Staatserlasse übers Knie abfassen und, in Ermangelung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/90>, abgerufen am 23.12.2024.