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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Hexenkessel

Attentat durch die frommen Mönche aus Saratow ausführen lassen wollte,
hetzt er die religiösen Instinkte der Massen auf und die Leidenschaften werden
gegen alles, was nicht gläubig und nicht Russe ist, mobil. "Er" soll von
seinem Dämon befreit werden, das Volk wird alles töten, was "Ihn" beengt,
alle Häretiker, alle Juden, alle Deutschen zugrunde gehen lassen. Der Tag
des großen Progroms soll anbrechen -- aber wir müssen verhüten, daß unser
Freund das erste Opfer ist. Wie hat es Heine erfahren?

Simanowitsch: Durch Rschewskis "bürgerliche Frau". Heine ist der
Sachverständige, der für Rschewski und A. N. den Klub in der Kasanschen
Straße gegründet hat. Der sollte für vieles einen Hintergrund geben. Und
da Heine so geschickt war, nahm Rschewski ihn in sein Haus. Der prügelt
seine bürgerliche "Frau". Sie bedroht ihn mit dem Gericht, denn er hat die
Unvorsichtigkeit gehabt, in einer schwachen Stunde sie mit nach Norwegen zu
Jliodor zu nehmen. Er zieht den Revolver und will sie erschießen. Da wirft
Heine sich dazwischen und rettet die Frau, die ihm das Leben verdankt. Ihm
verdankt es auch ein anderer. "Die leidende Frau" hat Heine alles enthüllt.

Das Fräulein: Gott wollte ihn sichtbar behüten, und mit ihm meine
Freundin, "Sie" sollte nicht zugrunde gehen. Wie sollte es gemacht werden?

Simanowitsch: Man wollte ihn telephonisch zu einer wichtigen Fahrt
auffordern. Rschewski sollte der Kutscher sein, er hätte ihn herausgefahren nach
Ochta oder hinter das Narwsche Tor und die Anhänger des Mönches hätten
den Rest besorgt. 60000 Rubel in schwedischer Valuta und der Auslandspaß,
den A. N. besorgt hatte, lagen schon bereit. So wäre Rschewski schnell ent¬
kommen und niemand hätte geahnt, woher der Streich gefallen wäre.


Das Fräulein:

Wie aber stellen wir seine Schuld zweifelsfrei fest?

Simanowitsch: Die Korrespondenz mit dem Mönche wird es beweisen.
Aber wir brauchen Eile. Der General soll ihn verhaften lassen. Schreibe an
ihn. Findet man dort nichts, so muß man schnell zu dem Dwornik des Klubs
in der Kasanskaja fahren, wo Rschewski ein versiegeltes Paket abgegeben hat.
Aber Eile tut dringend not. Denn wenn Rschewski Lunte riecht, so ist er mit
dem Auslandspaß verschwunden und der General kann uns gegen den Höheren
nicht schützen.


Das Fräulein:

Und wie kommt Rschewski zu A. N.?
'

Simanowitsch: O, der hat gute Beziehungen. Kennt alle da oben.
Hat seinerzeit die Schauspielerinnenaffäre in Nischny für A. N. besorgt, als
dieser von Liebeswahnsinn erfaßt, noch in derselben Nacht die Schönen zugleich
besitzen wollte, die er auf der Bühne gesehen hatte und wie Napoleon einfach
durch Rschewski einen Befehl an den Theaterdirektor ergehen ließ, ihm die
Mädchen auszuliefern. Da hat sich Rschewski bewährt und beiden hat es
nichts geschadet. Seine Bekanntschaft mit Snchomlinow kennt jeder Pressemann.
Ihm hat der Minister die berühmten Artikel "Rußland ist bereit und erwartet,
daß Frankreich bereit ist" in die verbrecherische Feder diktiert. Du kennst


Der Hexenkessel

Attentat durch die frommen Mönche aus Saratow ausführen lassen wollte,
hetzt er die religiösen Instinkte der Massen auf und die Leidenschaften werden
gegen alles, was nicht gläubig und nicht Russe ist, mobil. „Er" soll von
seinem Dämon befreit werden, das Volk wird alles töten, was „Ihn" beengt,
alle Häretiker, alle Juden, alle Deutschen zugrunde gehen lassen. Der Tag
des großen Progroms soll anbrechen — aber wir müssen verhüten, daß unser
Freund das erste Opfer ist. Wie hat es Heine erfahren?

Simanowitsch: Durch Rschewskis „bürgerliche Frau". Heine ist der
Sachverständige, der für Rschewski und A. N. den Klub in der Kasanschen
Straße gegründet hat. Der sollte für vieles einen Hintergrund geben. Und
da Heine so geschickt war, nahm Rschewski ihn in sein Haus. Der prügelt
seine bürgerliche „Frau". Sie bedroht ihn mit dem Gericht, denn er hat die
Unvorsichtigkeit gehabt, in einer schwachen Stunde sie mit nach Norwegen zu
Jliodor zu nehmen. Er zieht den Revolver und will sie erschießen. Da wirft
Heine sich dazwischen und rettet die Frau, die ihm das Leben verdankt. Ihm
verdankt es auch ein anderer. „Die leidende Frau" hat Heine alles enthüllt.

Das Fräulein: Gott wollte ihn sichtbar behüten, und mit ihm meine
Freundin, „Sie" sollte nicht zugrunde gehen. Wie sollte es gemacht werden?

Simanowitsch: Man wollte ihn telephonisch zu einer wichtigen Fahrt
auffordern. Rschewski sollte der Kutscher sein, er hätte ihn herausgefahren nach
Ochta oder hinter das Narwsche Tor und die Anhänger des Mönches hätten
den Rest besorgt. 60000 Rubel in schwedischer Valuta und der Auslandspaß,
den A. N. besorgt hatte, lagen schon bereit. So wäre Rschewski schnell ent¬
kommen und niemand hätte geahnt, woher der Streich gefallen wäre.


Das Fräulein:

Wie aber stellen wir seine Schuld zweifelsfrei fest?

Simanowitsch: Die Korrespondenz mit dem Mönche wird es beweisen.
Aber wir brauchen Eile. Der General soll ihn verhaften lassen. Schreibe an
ihn. Findet man dort nichts, so muß man schnell zu dem Dwornik des Klubs
in der Kasanskaja fahren, wo Rschewski ein versiegeltes Paket abgegeben hat.
Aber Eile tut dringend not. Denn wenn Rschewski Lunte riecht, so ist er mit
dem Auslandspaß verschwunden und der General kann uns gegen den Höheren
nicht schützen.


Das Fräulein:

Und wie kommt Rschewski zu A. N.?
'

Simanowitsch: O, der hat gute Beziehungen. Kennt alle da oben.
Hat seinerzeit die Schauspielerinnenaffäre in Nischny für A. N. besorgt, als
dieser von Liebeswahnsinn erfaßt, noch in derselben Nacht die Schönen zugleich
besitzen wollte, die er auf der Bühne gesehen hatte und wie Napoleon einfach
durch Rschewski einen Befehl an den Theaterdirektor ergehen ließ, ihm die
Mädchen auszuliefern. Da hat sich Rschewski bewährt und beiden hat es
nichts geschadet. Seine Bekanntschaft mit Snchomlinow kennt jeder Pressemann.
Ihm hat der Minister die berühmten Artikel „Rußland ist bereit und erwartet,
daß Frankreich bereit ist" in die verbrecherische Feder diktiert. Du kennst


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[0066] Der Hexenkessel Attentat durch die frommen Mönche aus Saratow ausführen lassen wollte, hetzt er die religiösen Instinkte der Massen auf und die Leidenschaften werden gegen alles, was nicht gläubig und nicht Russe ist, mobil. „Er" soll von seinem Dämon befreit werden, das Volk wird alles töten, was „Ihn" beengt, alle Häretiker, alle Juden, alle Deutschen zugrunde gehen lassen. Der Tag des großen Progroms soll anbrechen — aber wir müssen verhüten, daß unser Freund das erste Opfer ist. Wie hat es Heine erfahren? Simanowitsch: Durch Rschewskis „bürgerliche Frau". Heine ist der Sachverständige, der für Rschewski und A. N. den Klub in der Kasanschen Straße gegründet hat. Der sollte für vieles einen Hintergrund geben. Und da Heine so geschickt war, nahm Rschewski ihn in sein Haus. Der prügelt seine bürgerliche „Frau". Sie bedroht ihn mit dem Gericht, denn er hat die Unvorsichtigkeit gehabt, in einer schwachen Stunde sie mit nach Norwegen zu Jliodor zu nehmen. Er zieht den Revolver und will sie erschießen. Da wirft Heine sich dazwischen und rettet die Frau, die ihm das Leben verdankt. Ihm verdankt es auch ein anderer. „Die leidende Frau" hat Heine alles enthüllt. Das Fräulein: Gott wollte ihn sichtbar behüten, und mit ihm meine Freundin, „Sie" sollte nicht zugrunde gehen. Wie sollte es gemacht werden? Simanowitsch: Man wollte ihn telephonisch zu einer wichtigen Fahrt auffordern. Rschewski sollte der Kutscher sein, er hätte ihn herausgefahren nach Ochta oder hinter das Narwsche Tor und die Anhänger des Mönches hätten den Rest besorgt. 60000 Rubel in schwedischer Valuta und der Auslandspaß, den A. N. besorgt hatte, lagen schon bereit. So wäre Rschewski schnell ent¬ kommen und niemand hätte geahnt, woher der Streich gefallen wäre. Das Fräulein: Wie aber stellen wir seine Schuld zweifelsfrei fest? Simanowitsch: Die Korrespondenz mit dem Mönche wird es beweisen. Aber wir brauchen Eile. Der General soll ihn verhaften lassen. Schreibe an ihn. Findet man dort nichts, so muß man schnell zu dem Dwornik des Klubs in der Kasanskaja fahren, wo Rschewski ein versiegeltes Paket abgegeben hat. Aber Eile tut dringend not. Denn wenn Rschewski Lunte riecht, so ist er mit dem Auslandspaß verschwunden und der General kann uns gegen den Höheren nicht schützen. Das Fräulein: Und wie kommt Rschewski zu A. N.? ' Simanowitsch: O, der hat gute Beziehungen. Kennt alle da oben. Hat seinerzeit die Schauspielerinnenaffäre in Nischny für A. N. besorgt, als dieser von Liebeswahnsinn erfaßt, noch in derselben Nacht die Schönen zugleich besitzen wollte, die er auf der Bühne gesehen hatte und wie Napoleon einfach durch Rschewski einen Befehl an den Theaterdirektor ergehen ließ, ihm die Mädchen auszuliefern. Da hat sich Rschewski bewährt und beiden hat es nichts geschadet. Seine Bekanntschaft mit Snchomlinow kennt jeder Pressemann. Ihm hat der Minister die berühmten Artikel „Rußland ist bereit und erwartet, daß Frankreich bereit ist" in die verbrecherische Feder diktiert. Du kennst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/66>, abgerufen am 01.09.2024.