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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Hexenkessel

2. Akt.
Alte Mittel, Neue Männer.

Der Metropolit: Ich bin bei Rodsjanko gewesen, auch mit dem Grafen
Bobrinski habe ich gesprochen, damit ich nicht ein einseitiges Bild bekomme.
Es geht nicht mehr an, das Volk im Ungewissen zu halten. Wir haben den
Judenblättern zu lange Spielraum gegeben. Lamkert, dieser Abkömmling
deutscher Ketzer, war immer ungeschickt, gut daß er gegangen ist, aber die
Zensur wird uns nicht retten. Sie war zu allen Zeiten schlecht, besonders die
russische. Oat veniam corvis, vexat censura columbag. Auch die weißen
Flecke regen auf die Dauer auf. Die Presse ist nun einmal in der Hand dieser
Raben, sie wirken bis in die Schützengräben, und je weiter das Barometer im
Innern sinkt, desto tiefer fällt die Stimmung da draußen. Wir brauchen einen
Ausweg. Das haben mir Rodsjanko und Bobrinski bestätigt.


Die Person:

Aber A. N. Chwostow?

W Der Metropolit: ar ein Versager. In dem Moment, wo es ihm
nicht gelang, in der Teuerungsfrage wirklich etwas Durchgreifendes zu tun,
war's vorbei mit seinen Bemühungen. Er konnte das Volk nicht haltmachen,
und so hatte die Agitation der Kriegs- und Freiheitsfreunde um Miljukow
wieder neuen Boden.

Es steht schlecht um Mütterchen Nußland. Wir brauchen abermals die
Duma als Ventil.

Die Arbeiter in Petersburg haben Hunger, ihre Führer drohen und stehen
für nichts mehr ein. Die Aussaatflächen auf dem Lande sind zurückgegangen,
in Sibirien bis zu 50 Prozent, im Ural und in Südrußland bis zu 30 Prozent.
Die größeren Grundbesitzer verlängern ihre papiernen Kredite bei der Reichs¬
bank von einem Termin zum anderen. Mit den Feldern stehts übel aus. Man
hat toll drauflos requiriert, ohne für den morgenden Tag zu sorgen. Der
Viehstand ist dezimiert. Jetzt denkt man in Petrograd an eine Versorgung aus
der Mongolei, ohne sich klar zu machen, daß alles Vieh aus den mongolischen
Steppen, wenn man es überhaupt bekommt, kaum für 30 Tage langen würde,
um die Hauptstadt zu versorgen. Das Transportwesen ist in höchster Un¬
ordnung, was besonders schade ist, weil wir uns auf die Eisenbahner, die uns
Ruchlow so gut gezogen hatte, von jeher unbedingt verlassen konnten. Die
Kämpfe zwischen Chwostow und seinen Kollegen haben noch mehr Aufregung
ins Volk gebracht, als ohnehin schon drin war. Niemand glaubt mehr, daß
es anders wird. Nur die Duma kann also -- "das Vaterland retten". Denn
das Volk muß immer jemand haben, der es "retten" kann. Und weil sich die
Kadetten auf dem Marktplatz als Diener des Vaterlandes ausschreien, so kommen
wir allzusehr in den Verdacht, für die Deutschen zu arbeiten, wenn wir nicht
so tun, als ob wir ihren patriotischen Eifer anerkennen. Es hilft nichts,
Goremykin muß gehen und die Duma muß einberufen werden.


Der Hexenkessel

2. Akt.
Alte Mittel, Neue Männer.

Der Metropolit: Ich bin bei Rodsjanko gewesen, auch mit dem Grafen
Bobrinski habe ich gesprochen, damit ich nicht ein einseitiges Bild bekomme.
Es geht nicht mehr an, das Volk im Ungewissen zu halten. Wir haben den
Judenblättern zu lange Spielraum gegeben. Lamkert, dieser Abkömmling
deutscher Ketzer, war immer ungeschickt, gut daß er gegangen ist, aber die
Zensur wird uns nicht retten. Sie war zu allen Zeiten schlecht, besonders die
russische. Oat veniam corvis, vexat censura columbag. Auch die weißen
Flecke regen auf die Dauer auf. Die Presse ist nun einmal in der Hand dieser
Raben, sie wirken bis in die Schützengräben, und je weiter das Barometer im
Innern sinkt, desto tiefer fällt die Stimmung da draußen. Wir brauchen einen
Ausweg. Das haben mir Rodsjanko und Bobrinski bestätigt.


Die Person:

Aber A. N. Chwostow?

W Der Metropolit: ar ein Versager. In dem Moment, wo es ihm
nicht gelang, in der Teuerungsfrage wirklich etwas Durchgreifendes zu tun,
war's vorbei mit seinen Bemühungen. Er konnte das Volk nicht haltmachen,
und so hatte die Agitation der Kriegs- und Freiheitsfreunde um Miljukow
wieder neuen Boden.

Es steht schlecht um Mütterchen Nußland. Wir brauchen abermals die
Duma als Ventil.

Die Arbeiter in Petersburg haben Hunger, ihre Führer drohen und stehen
für nichts mehr ein. Die Aussaatflächen auf dem Lande sind zurückgegangen,
in Sibirien bis zu 50 Prozent, im Ural und in Südrußland bis zu 30 Prozent.
Die größeren Grundbesitzer verlängern ihre papiernen Kredite bei der Reichs¬
bank von einem Termin zum anderen. Mit den Feldern stehts übel aus. Man
hat toll drauflos requiriert, ohne für den morgenden Tag zu sorgen. Der
Viehstand ist dezimiert. Jetzt denkt man in Petrograd an eine Versorgung aus
der Mongolei, ohne sich klar zu machen, daß alles Vieh aus den mongolischen
Steppen, wenn man es überhaupt bekommt, kaum für 30 Tage langen würde,
um die Hauptstadt zu versorgen. Das Transportwesen ist in höchster Un¬
ordnung, was besonders schade ist, weil wir uns auf die Eisenbahner, die uns
Ruchlow so gut gezogen hatte, von jeher unbedingt verlassen konnten. Die
Kämpfe zwischen Chwostow und seinen Kollegen haben noch mehr Aufregung
ins Volk gebracht, als ohnehin schon drin war. Niemand glaubt mehr, daß
es anders wird. Nur die Duma kann also — „das Vaterland retten". Denn
das Volk muß immer jemand haben, der es „retten" kann. Und weil sich die
Kadetten auf dem Marktplatz als Diener des Vaterlandes ausschreien, so kommen
wir allzusehr in den Verdacht, für die Deutschen zu arbeiten, wenn wir nicht
so tun, als ob wir ihren patriotischen Eifer anerkennen. Es hilft nichts,
Goremykin muß gehen und die Duma muß einberufen werden.


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[0062] Der Hexenkessel 2. Akt. Alte Mittel, Neue Männer. Der Metropolit: Ich bin bei Rodsjanko gewesen, auch mit dem Grafen Bobrinski habe ich gesprochen, damit ich nicht ein einseitiges Bild bekomme. Es geht nicht mehr an, das Volk im Ungewissen zu halten. Wir haben den Judenblättern zu lange Spielraum gegeben. Lamkert, dieser Abkömmling deutscher Ketzer, war immer ungeschickt, gut daß er gegangen ist, aber die Zensur wird uns nicht retten. Sie war zu allen Zeiten schlecht, besonders die russische. Oat veniam corvis, vexat censura columbag. Auch die weißen Flecke regen auf die Dauer auf. Die Presse ist nun einmal in der Hand dieser Raben, sie wirken bis in die Schützengräben, und je weiter das Barometer im Innern sinkt, desto tiefer fällt die Stimmung da draußen. Wir brauchen einen Ausweg. Das haben mir Rodsjanko und Bobrinski bestätigt. Die Person: Aber A. N. Chwostow? W Der Metropolit: ar ein Versager. In dem Moment, wo es ihm nicht gelang, in der Teuerungsfrage wirklich etwas Durchgreifendes zu tun, war's vorbei mit seinen Bemühungen. Er konnte das Volk nicht haltmachen, und so hatte die Agitation der Kriegs- und Freiheitsfreunde um Miljukow wieder neuen Boden. Es steht schlecht um Mütterchen Nußland. Wir brauchen abermals die Duma als Ventil. Die Arbeiter in Petersburg haben Hunger, ihre Führer drohen und stehen für nichts mehr ein. Die Aussaatflächen auf dem Lande sind zurückgegangen, in Sibirien bis zu 50 Prozent, im Ural und in Südrußland bis zu 30 Prozent. Die größeren Grundbesitzer verlängern ihre papiernen Kredite bei der Reichs¬ bank von einem Termin zum anderen. Mit den Feldern stehts übel aus. Man hat toll drauflos requiriert, ohne für den morgenden Tag zu sorgen. Der Viehstand ist dezimiert. Jetzt denkt man in Petrograd an eine Versorgung aus der Mongolei, ohne sich klar zu machen, daß alles Vieh aus den mongolischen Steppen, wenn man es überhaupt bekommt, kaum für 30 Tage langen würde, um die Hauptstadt zu versorgen. Das Transportwesen ist in höchster Un¬ ordnung, was besonders schade ist, weil wir uns auf die Eisenbahner, die uns Ruchlow so gut gezogen hatte, von jeher unbedingt verlassen konnten. Die Kämpfe zwischen Chwostow und seinen Kollegen haben noch mehr Aufregung ins Volk gebracht, als ohnehin schon drin war. Niemand glaubt mehr, daß es anders wird. Nur die Duma kann also — „das Vaterland retten". Denn das Volk muß immer jemand haben, der es „retten" kann. Und weil sich die Kadetten auf dem Marktplatz als Diener des Vaterlandes ausschreien, so kommen wir allzusehr in den Verdacht, für die Deutschen zu arbeiten, wenn wir nicht so tun, als ob wir ihren patriotischen Eifer anerkennen. Es hilft nichts, Goremykin muß gehen und die Duma muß einberufen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/62>, abgerufen am 27.07.2024.