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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Jagd

Andererseits gibt es eine ganze Reihe von Industrien, die ausschließlich oder
doch vorwiegend für den Bedarf des Jägers arbeiten und, wie die Fabriken
von Jagdwaffen, Munition, Fallen, Jagdgerät, Jagdkleidung und -Schuhwerk
Tausenden und Abertausenden von Arbeitern auskömmlichen Unterhalt gewähren.
Auch die Zucht und Dressur der Jagdhunde, das Präparieren der Trophäen,
die Verarbeitung der Abwurfstangen von Hirsch und Rehbock werfen lohnendes
Verdienst ab, und endlich greift die Jagdliteratur mit ihrem stark entwickelten
Zeitschriftenwesen -- in Deutschland und Österreich erscheinen, abgesehen von
den forstlicher Fachblättern, die ja das Weidwerk ebenfalls berücksichtigen, etwa
dreißig Fachblätter für Jäger, Jagdhundzüchter und Freunde des Schießsports I
-- tief in die graphischen Gewerbe ein.

Vor allem aber, und das kann nicht oft genug betont werden, trägt die
Jagd zur Überbrückung der Kluft bei, die sich seit dem Aufkommen des Jn-
dustrialismus zwischen Stadt und Land gebildet hat. Wo sich, wie das fast
überall geschieht, zwischen dem Jagdpächter und den ländlichen Grundbesitzern
ein geselliger Verkehr anbahnt, vollzieht sich früher oder später auch eine Ver¬
ständigung zwischen zwei einander entgegengesetzten Weltanschauungen. Richter
und Verwaltungsbeamte finden auf ihrem Revier oft die einzige Gelegenheit,
sich die ihnen so notwendige Kenntnis der Denkweise und der Gewohnheiten
des Volkes anzueignen.

Schließlich sei noch des heilsamen hygienischen Einflusses der Jagd gedacht,
der so wesentlich dazu beiträgt, unserem Volke gesunde und schaffensfreudige
Männer zu erhalten und unsere nationale Produktionskraft zu stärken. Sagt
doch der Nationalökonom Enders in seinem "Handwörterbuch der Staatswissen¬
schaften": "Wer mit den Sorgen des Berufes und des täglichen Lebens im
heftigen Kampfe ums Dasein belastet nach Erholung und Ausspannung sucht,
für den gibt es keine Tätigkeit, die die Welt besser vergessen und die Nerven
eher zur Ruhe kommen läßt, als die immer erfrischende Jagd".

Aller dieser uns aus der Jagd erwachsenden Vorteile würden wir mit
einem Schlage verlustig gehen, wollten wir dem hier und da lautwerdenden
Rufe nach Jagdfreiheit oder radikalen Wildabschuß stattgeben. Die verhältnis¬
mäßig geringe und mit einem unberechenbaren Zeitverlust viel zu teuer erkaufte
Wildbretmenge würde die Fleischnot günstigen Falles für zwei bis drei Wochen
um ein weniges lindern, zugleich aber, ganz abgesehen von dem durch die
Schießwut Unerfahrener heraufbeschworenen Unheil, Zustände schaffen, die
Deutschland in jagdlicher Hinsicht auf die Stufe Italiens oder Spaniens zurück¬
drängen würden. Mit der Ausrottung des Wildes -- denn etwas anderes
bedeutet die Jagdfreiheit nichtI -- würden die ländlichen Gemeinden vielleicht
für alle Zeiten ihre Einnahmen aus der Jagdverpachtung verlieren und viele
Tausende von Staatsbürgern brotlos werden.




Die wirtschaftliche Bedeutung der Jagd

Andererseits gibt es eine ganze Reihe von Industrien, die ausschließlich oder
doch vorwiegend für den Bedarf des Jägers arbeiten und, wie die Fabriken
von Jagdwaffen, Munition, Fallen, Jagdgerät, Jagdkleidung und -Schuhwerk
Tausenden und Abertausenden von Arbeitern auskömmlichen Unterhalt gewähren.
Auch die Zucht und Dressur der Jagdhunde, das Präparieren der Trophäen,
die Verarbeitung der Abwurfstangen von Hirsch und Rehbock werfen lohnendes
Verdienst ab, und endlich greift die Jagdliteratur mit ihrem stark entwickelten
Zeitschriftenwesen — in Deutschland und Österreich erscheinen, abgesehen von
den forstlicher Fachblättern, die ja das Weidwerk ebenfalls berücksichtigen, etwa
dreißig Fachblätter für Jäger, Jagdhundzüchter und Freunde des Schießsports I
— tief in die graphischen Gewerbe ein.

Vor allem aber, und das kann nicht oft genug betont werden, trägt die
Jagd zur Überbrückung der Kluft bei, die sich seit dem Aufkommen des Jn-
dustrialismus zwischen Stadt und Land gebildet hat. Wo sich, wie das fast
überall geschieht, zwischen dem Jagdpächter und den ländlichen Grundbesitzern
ein geselliger Verkehr anbahnt, vollzieht sich früher oder später auch eine Ver¬
ständigung zwischen zwei einander entgegengesetzten Weltanschauungen. Richter
und Verwaltungsbeamte finden auf ihrem Revier oft die einzige Gelegenheit,
sich die ihnen so notwendige Kenntnis der Denkweise und der Gewohnheiten
des Volkes anzueignen.

Schließlich sei noch des heilsamen hygienischen Einflusses der Jagd gedacht,
der so wesentlich dazu beiträgt, unserem Volke gesunde und schaffensfreudige
Männer zu erhalten und unsere nationale Produktionskraft zu stärken. Sagt
doch der Nationalökonom Enders in seinem „Handwörterbuch der Staatswissen¬
schaften": „Wer mit den Sorgen des Berufes und des täglichen Lebens im
heftigen Kampfe ums Dasein belastet nach Erholung und Ausspannung sucht,
für den gibt es keine Tätigkeit, die die Welt besser vergessen und die Nerven
eher zur Ruhe kommen läßt, als die immer erfrischende Jagd".

Aller dieser uns aus der Jagd erwachsenden Vorteile würden wir mit
einem Schlage verlustig gehen, wollten wir dem hier und da lautwerdenden
Rufe nach Jagdfreiheit oder radikalen Wildabschuß stattgeben. Die verhältnis¬
mäßig geringe und mit einem unberechenbaren Zeitverlust viel zu teuer erkaufte
Wildbretmenge würde die Fleischnot günstigen Falles für zwei bis drei Wochen
um ein weniges lindern, zugleich aber, ganz abgesehen von dem durch die
Schießwut Unerfahrener heraufbeschworenen Unheil, Zustände schaffen, die
Deutschland in jagdlicher Hinsicht auf die Stufe Italiens oder Spaniens zurück¬
drängen würden. Mit der Ausrottung des Wildes — denn etwas anderes
bedeutet die Jagdfreiheit nichtI — würden die ländlichen Gemeinden vielleicht
für alle Zeiten ihre Einnahmen aus der Jagdverpachtung verlieren und viele
Tausende von Staatsbürgern brotlos werden.




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[0059] Die wirtschaftliche Bedeutung der Jagd Andererseits gibt es eine ganze Reihe von Industrien, die ausschließlich oder doch vorwiegend für den Bedarf des Jägers arbeiten und, wie die Fabriken von Jagdwaffen, Munition, Fallen, Jagdgerät, Jagdkleidung und -Schuhwerk Tausenden und Abertausenden von Arbeitern auskömmlichen Unterhalt gewähren. Auch die Zucht und Dressur der Jagdhunde, das Präparieren der Trophäen, die Verarbeitung der Abwurfstangen von Hirsch und Rehbock werfen lohnendes Verdienst ab, und endlich greift die Jagdliteratur mit ihrem stark entwickelten Zeitschriftenwesen — in Deutschland und Österreich erscheinen, abgesehen von den forstlicher Fachblättern, die ja das Weidwerk ebenfalls berücksichtigen, etwa dreißig Fachblätter für Jäger, Jagdhundzüchter und Freunde des Schießsports I — tief in die graphischen Gewerbe ein. Vor allem aber, und das kann nicht oft genug betont werden, trägt die Jagd zur Überbrückung der Kluft bei, die sich seit dem Aufkommen des Jn- dustrialismus zwischen Stadt und Land gebildet hat. Wo sich, wie das fast überall geschieht, zwischen dem Jagdpächter und den ländlichen Grundbesitzern ein geselliger Verkehr anbahnt, vollzieht sich früher oder später auch eine Ver¬ ständigung zwischen zwei einander entgegengesetzten Weltanschauungen. Richter und Verwaltungsbeamte finden auf ihrem Revier oft die einzige Gelegenheit, sich die ihnen so notwendige Kenntnis der Denkweise und der Gewohnheiten des Volkes anzueignen. Schließlich sei noch des heilsamen hygienischen Einflusses der Jagd gedacht, der so wesentlich dazu beiträgt, unserem Volke gesunde und schaffensfreudige Männer zu erhalten und unsere nationale Produktionskraft zu stärken. Sagt doch der Nationalökonom Enders in seinem „Handwörterbuch der Staatswissen¬ schaften": „Wer mit den Sorgen des Berufes und des täglichen Lebens im heftigen Kampfe ums Dasein belastet nach Erholung und Ausspannung sucht, für den gibt es keine Tätigkeit, die die Welt besser vergessen und die Nerven eher zur Ruhe kommen läßt, als die immer erfrischende Jagd". Aller dieser uns aus der Jagd erwachsenden Vorteile würden wir mit einem Schlage verlustig gehen, wollten wir dem hier und da lautwerdenden Rufe nach Jagdfreiheit oder radikalen Wildabschuß stattgeben. Die verhältnis¬ mäßig geringe und mit einem unberechenbaren Zeitverlust viel zu teuer erkaufte Wildbretmenge würde die Fleischnot günstigen Falles für zwei bis drei Wochen um ein weniges lindern, zugleich aber, ganz abgesehen von dem durch die Schießwut Unerfahrener heraufbeschworenen Unheil, Zustände schaffen, die Deutschland in jagdlicher Hinsicht auf die Stufe Italiens oder Spaniens zurück¬ drängen würden. Mit der Ausrottung des Wildes — denn etwas anderes bedeutet die Jagdfreiheit nichtI — würden die ländlichen Gemeinden vielleicht für alle Zeiten ihre Einnahmen aus der Jagdverpachtung verlieren und viele Tausende von Staatsbürgern brotlos werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/59>, abgerufen am 01.09.2024.