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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Eine neue heilige Allianz

liegt vielleicht eine Entstellung vor. Merkwürdigerweise sagen aber die
"Church Times" überhaupt kein Wort zu dem Seehelden, vielleicht in einem
Rest von Scham. So wäre es nicht unmöglich, daß der Bischof doch eine
Äußerung getan hat, die selbst seine Freunde sich genieren zu verbreiten.
Einem Priester, der es fertig bringt, diesen Krieg als einen Kampf zwischen
Christus und Odin zu bezeichnen, wie es der Bischof in der ersten Kriegszeit
tatsächlich getan hat, ist schon allerlei zuzutrauen.

Es ist nun besonders auch der Bischof von London, der übrigens ein
zweifellos tüchtiger, auch mit deutschem Wesen nicht unbekannter Mann ist, der
mit rührigen Eifer an dem Plan eines großen Kirchenbundes arbeitet, aus dem
dann auch ein großer Völkerbund, eine neue heilige Allianz, hervorgehen soll.
Den Anglokatholiken sind Russen, Serben, Franzosen und Belgier nicht bloß
politische Bundesgenossen, sondern liebe Glaubensbrüder, um deren Anerkennung
sie schon lange geworben haben und bei denen sie sich jetzt erst recht angenehm
zu machen suchen. Sie wollen die Lage ausnutzen, um ihren großen Herzens¬
wunsch der Erfüllung näher zu bringen. Dieser Wunsch ist die Wiederverei-
nigung der christlichen, d. h. der katholischen Kirchen. Als Kirchen gelten ihnen
natürlich nur die Gemeinschaften, die das bischöfliche Amt haben. Es ist ihnen
ein bitterer Schmerz, daß ihre Kirche, die bekanntlich dieses Amt besitzt, von
den anderen bischöflich verfaßten Kirchen trotzdem nicht für voll angesehen wird,
und sie möchten sie um jeden Preis aus ihrer "Jnsularität" erlösen. In
merkwürdigem Optimismus versuchten sie es zuerst mit Rom. Papst Leo der
Dreizehnte aber ließ ihnen eine entschiedene Abweisung zuteil werden, indem
er das Verlangen nach Anerkennung der anglikanischen Priesterweihe glatt
abschlug. Seitdem wandten sich die Blicke mehr nach Osten, besonders nach
Rußland. Mehrere Jahre vor dem Kriege schon, vielleicht aber nicht ganz
außer Zusammenhang mit der politischen Annäherung zwischen Rußland und
England, machte der Bischof von London einen Besuch in Rußland und besprach
sich eingehend mit russischen Theologen und Kirchenmännern. Seitdem hat er
jede Gelegenheit benutzt, das bereitwillige Verständnis zu rühmen, das er
gefunden habe, und auch seinerseits seine Geneigtheit zu erkennen zu geben,
russisch-orthodoxen Wünschen entgegenzukommen. Ein Beispiel dafür, wie er
sich das denktI Bekanntlich spielt in der russischen Kirche und Volksfrömmigkeit
die Heiligenverehrung eine große Rolle. Die anglikanische Kirche verwirft -- das
muß auch der Bischof anerkennen -- jede Form der Anrufung der Heiligen. Aber
sie könnte vielleicht eine Konzession machen, indem sie die sogenannte compre-
eatio einführte, d. h. eine Form, in der man nicht die Heiligen um ihre Für¬
bitte bei Gott, sondern Gott um die Fürbitte der Heiligen anruft. Die Formel
würde also nicht lauten: "Heilige Mutter Gottes, bitte für uns!", sondern:
"Barmherziger Herr, hilf uns durch die Fürbitte deiner unbefleckten Mutter
und aller Heiligen!" -- Zu ähnlichen und noch größeren Zugeständnissen
würden die Anglokatholiken bereit sein, um den Orthodoxen des Ostens in ihren


Eine neue heilige Allianz

liegt vielleicht eine Entstellung vor. Merkwürdigerweise sagen aber die
„Church Times" überhaupt kein Wort zu dem Seehelden, vielleicht in einem
Rest von Scham. So wäre es nicht unmöglich, daß der Bischof doch eine
Äußerung getan hat, die selbst seine Freunde sich genieren zu verbreiten.
Einem Priester, der es fertig bringt, diesen Krieg als einen Kampf zwischen
Christus und Odin zu bezeichnen, wie es der Bischof in der ersten Kriegszeit
tatsächlich getan hat, ist schon allerlei zuzutrauen.

Es ist nun besonders auch der Bischof von London, der übrigens ein
zweifellos tüchtiger, auch mit deutschem Wesen nicht unbekannter Mann ist, der
mit rührigen Eifer an dem Plan eines großen Kirchenbundes arbeitet, aus dem
dann auch ein großer Völkerbund, eine neue heilige Allianz, hervorgehen soll.
Den Anglokatholiken sind Russen, Serben, Franzosen und Belgier nicht bloß
politische Bundesgenossen, sondern liebe Glaubensbrüder, um deren Anerkennung
sie schon lange geworben haben und bei denen sie sich jetzt erst recht angenehm
zu machen suchen. Sie wollen die Lage ausnutzen, um ihren großen Herzens¬
wunsch der Erfüllung näher zu bringen. Dieser Wunsch ist die Wiederverei-
nigung der christlichen, d. h. der katholischen Kirchen. Als Kirchen gelten ihnen
natürlich nur die Gemeinschaften, die das bischöfliche Amt haben. Es ist ihnen
ein bitterer Schmerz, daß ihre Kirche, die bekanntlich dieses Amt besitzt, von
den anderen bischöflich verfaßten Kirchen trotzdem nicht für voll angesehen wird,
und sie möchten sie um jeden Preis aus ihrer „Jnsularität" erlösen. In
merkwürdigem Optimismus versuchten sie es zuerst mit Rom. Papst Leo der
Dreizehnte aber ließ ihnen eine entschiedene Abweisung zuteil werden, indem
er das Verlangen nach Anerkennung der anglikanischen Priesterweihe glatt
abschlug. Seitdem wandten sich die Blicke mehr nach Osten, besonders nach
Rußland. Mehrere Jahre vor dem Kriege schon, vielleicht aber nicht ganz
außer Zusammenhang mit der politischen Annäherung zwischen Rußland und
England, machte der Bischof von London einen Besuch in Rußland und besprach
sich eingehend mit russischen Theologen und Kirchenmännern. Seitdem hat er
jede Gelegenheit benutzt, das bereitwillige Verständnis zu rühmen, das er
gefunden habe, und auch seinerseits seine Geneigtheit zu erkennen zu geben,
russisch-orthodoxen Wünschen entgegenzukommen. Ein Beispiel dafür, wie er
sich das denktI Bekanntlich spielt in der russischen Kirche und Volksfrömmigkeit
die Heiligenverehrung eine große Rolle. Die anglikanische Kirche verwirft — das
muß auch der Bischof anerkennen — jede Form der Anrufung der Heiligen. Aber
sie könnte vielleicht eine Konzession machen, indem sie die sogenannte compre-
eatio einführte, d. h. eine Form, in der man nicht die Heiligen um ihre Für¬
bitte bei Gott, sondern Gott um die Fürbitte der Heiligen anruft. Die Formel
würde also nicht lauten: „Heilige Mutter Gottes, bitte für uns!", sondern:
„Barmherziger Herr, hilf uns durch die Fürbitte deiner unbefleckten Mutter
und aller Heiligen!" — Zu ähnlichen und noch größeren Zugeständnissen
würden die Anglokatholiken bereit sein, um den Orthodoxen des Ostens in ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/49>, abgerufen am 22.12.2024.