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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Line neue heilige Allianz

lauter sein, die Hand des Franzosen, des Russen, des Belgiers und des Serben
fassen, einzig in der Verteidigung alles dessen, was das Leben menschlich macht,
das ist ein göttlicher Kreuzzug". Das Wort vom Kreuzzug ist seitdem unzäh¬
lige Male wiederholt worden. Es ist, wie man sieht, ganz anders gemeint,
als wenn wir etwa von unserm heiligen Krieg reden. Japan paßt freilich nicht
recht zum Kreuzzug, und so schweigt man in solchem Zusammenhang schamhaft
von diesem Genossen. Als man aber noch an einen Erfolg des Dardanellen¬
abenteuers glaubte, sahen die "Church Times" in dem zufälligen Zusammen¬
treffen des russischen und westeuropäischen Osterdatnms 1915 eine Art göttlicher
Vorbedeutung, und erbauten sich schon an der Hoffnung einer gemeinsamen
Osterfeier der modernen Kreuzfahrer in dein befreiten Konstantinopel.

Von dieser Kreuzzugstheorie aus ist es auch verständlich, daß die allgemei¬
nen Anklagen gegen die deutsche Kriegführung bei den Anglolatholiken oft in
einer Weise religiös gefärbt sind, die uns geradezu widerlich anmutet. Wenn
deutsche Artillerie eine Kirche beschießt, wenn ein Kruzifix beschädigt, ein
belgischer Priester erschossen wird, so sind das bewußt oder unbewußt Offen¬
barungen des Hasses gegen das katholische Christentum. In Lichtbildern werden
zerstörte Kirchen Belgiens und Frankreichs vorgeführt, und der Vortragende
bemerkt dazu, daß die deutschen Soldaten nur nach den Worten ihres Kaisers
verfahren, der erklärt habe, sein höchstes Lebensziel sei die Zerstörung des
Katholizismus, einer ihm verhaßten Religion. Die "Church Times" haben
wohl einmal gewarnt, ohne weiteres alle Berichte über deutsche Greuel als bare
Münze zu nehmen; sie entblöden sich aber doch nicht, gelegentlich selbst die
größten Verleumdungen zu bringen. So steht noch in der Nummer vom 14.
Januar 1916 eine Übersetzung aus dem Französischen, worin der Kaiser an
der Krippe des Christkindes betend dargestellt wird, natürlich ganz in dem Stil,
wie Franzosen und Engländer sich unseren Kaiser als Beter vorstellen. Das
Christkind schaudert vor dem Fürchterlichen und antwortet erst auf die dritte
Anrufung: "Gern würde ich dich segnen, aber ich kann ja nicht. Im letzten
Winter verirrte ich mich einmal in Belgien. Ich suchte Schutz unter einer
Hecke, die von weißem Reif bedeckt, von eisigem Wind durchstürmt war. Plötz¬
lich kamen betrunkene Feldgraue und stürzten sich auf mich. Sie sprachen
deutsch. Ich konnte mich nur mit meinem Lächeln und mit meinen Tränen wehren.
Was hatte ich ihnen getan? Nichts! Um mich zu strafen, zogen sie ihr
Schwert. . . Wie kann ich dich segnen, ohne meine Hände, die kleinen Kinder¬
hände, die sie mir abgehauen haben?"

Das möge zur Kennzeichnung des Tones genügen. Wie weit die Ver-
irrung geht, ergibt sich aus der Nachricht, daß der Bischof von London öffent¬
lich den Kapitän vom King Stephan in Schutz genommen habe. Ich habe sie
nur in deutschen Zeitungen gefunden. Die "Church Times", die sonst jede
bedeutsame Äußerung dieses bei ihr um seiner anglokatholischen Neigungen
willen sehr beliebten Kirchenfürsten bringen, erwähnen nichts Ähnliches. So


Line neue heilige Allianz

lauter sein, die Hand des Franzosen, des Russen, des Belgiers und des Serben
fassen, einzig in der Verteidigung alles dessen, was das Leben menschlich macht,
das ist ein göttlicher Kreuzzug". Das Wort vom Kreuzzug ist seitdem unzäh¬
lige Male wiederholt worden. Es ist, wie man sieht, ganz anders gemeint,
als wenn wir etwa von unserm heiligen Krieg reden. Japan paßt freilich nicht
recht zum Kreuzzug, und so schweigt man in solchem Zusammenhang schamhaft
von diesem Genossen. Als man aber noch an einen Erfolg des Dardanellen¬
abenteuers glaubte, sahen die „Church Times" in dem zufälligen Zusammen¬
treffen des russischen und westeuropäischen Osterdatnms 1915 eine Art göttlicher
Vorbedeutung, und erbauten sich schon an der Hoffnung einer gemeinsamen
Osterfeier der modernen Kreuzfahrer in dein befreiten Konstantinopel.

Von dieser Kreuzzugstheorie aus ist es auch verständlich, daß die allgemei¬
nen Anklagen gegen die deutsche Kriegführung bei den Anglolatholiken oft in
einer Weise religiös gefärbt sind, die uns geradezu widerlich anmutet. Wenn
deutsche Artillerie eine Kirche beschießt, wenn ein Kruzifix beschädigt, ein
belgischer Priester erschossen wird, so sind das bewußt oder unbewußt Offen¬
barungen des Hasses gegen das katholische Christentum. In Lichtbildern werden
zerstörte Kirchen Belgiens und Frankreichs vorgeführt, und der Vortragende
bemerkt dazu, daß die deutschen Soldaten nur nach den Worten ihres Kaisers
verfahren, der erklärt habe, sein höchstes Lebensziel sei die Zerstörung des
Katholizismus, einer ihm verhaßten Religion. Die „Church Times" haben
wohl einmal gewarnt, ohne weiteres alle Berichte über deutsche Greuel als bare
Münze zu nehmen; sie entblöden sich aber doch nicht, gelegentlich selbst die
größten Verleumdungen zu bringen. So steht noch in der Nummer vom 14.
Januar 1916 eine Übersetzung aus dem Französischen, worin der Kaiser an
der Krippe des Christkindes betend dargestellt wird, natürlich ganz in dem Stil,
wie Franzosen und Engländer sich unseren Kaiser als Beter vorstellen. Das
Christkind schaudert vor dem Fürchterlichen und antwortet erst auf die dritte
Anrufung: „Gern würde ich dich segnen, aber ich kann ja nicht. Im letzten
Winter verirrte ich mich einmal in Belgien. Ich suchte Schutz unter einer
Hecke, die von weißem Reif bedeckt, von eisigem Wind durchstürmt war. Plötz¬
lich kamen betrunkene Feldgraue und stürzten sich auf mich. Sie sprachen
deutsch. Ich konnte mich nur mit meinem Lächeln und mit meinen Tränen wehren.
Was hatte ich ihnen getan? Nichts! Um mich zu strafen, zogen sie ihr
Schwert. . . Wie kann ich dich segnen, ohne meine Hände, die kleinen Kinder¬
hände, die sie mir abgehauen haben?"

Das möge zur Kennzeichnung des Tones genügen. Wie weit die Ver-
irrung geht, ergibt sich aus der Nachricht, daß der Bischof von London öffent¬
lich den Kapitän vom King Stephan in Schutz genommen habe. Ich habe sie
nur in deutschen Zeitungen gefunden. Die „Church Times", die sonst jede
bedeutsame Äußerung dieses bei ihr um seiner anglokatholischen Neigungen
willen sehr beliebten Kirchenfürsten bringen, erwähnen nichts Ähnliches. So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/48>, abgerufen am 01.09.2024.