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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Eine neue heilige Allianz
Pastor A. Guthke von

ach dem großen europäischen Kriege vor hundert Jahren entstand
bekanntlich aus romantischen Ideen gekrönter Häupter das kurz¬
lebige Gebilde einer heiligen Allianz. Es dürfte wenig bekannt
sein, daß gewisse englische Theologen und Kirchenpolitiker von dem
gegenwärtigen Weltkriege die Förderung ihres Planes einer anderen
heiligen Allianz erhoffen, die aber nicht wie jene der Durchdringung der Staaten
mit allgemein-christlichen Grundsätzen, sondern der Katholisterung der Welt
dienen soll.

Dieser Gedanke wird von den Anglokatholiken vertreten, einer durchaus
nicht mehr kleinen und an Zahl und Einfluß ständig wachsenden Partei in der
englischen Staatskirche. Das Wesen des Anglokatholizismus besteht nicht, wie
man bei uns meistens denkt, in einzelnen katholisierenden Neigungen, wie sie
sich' besonders in dem Streben nach Bereicherung des Kultus (Weihwasser,
Kruzifixe. Lichter, Meßgewänder, Prozessionen, Heiligenverehrung u. tgi.) kund¬
geben; sein eigentliches Ziel ist vielmehr nichts Geringeres als die "Wieder¬
gewinnung des katholischen Erbes", d. h. die vollständige Wiederherstellung des
Katholischen in Lehre, Kultus und Verfassung der anglikanischen Kirche. Die
cmglokatholische Anschauung sieht in der anglikanischen Kirche also nicht
etwa eine evangelische Kirche, sie hat auch die weitverbreitete Theorie von
der via meäia, nach der sie die rechte Mitte zwischen Katholizismus und
Protestantismus innehält, aufgegeben, und behauptet ihre durch die Reformation
wohl hier und da geschädigte, in Wirklichkeit aber ungebrochene Katholizität.
Meist -- denn auch der Anglokatholizismus ist keine ganz einheitliche Größe --
werden die im besonderen Sinne römischen Lehren, z. B. die Unfehlbarkeit des
Papstes, abgelehnt; doch fehlt es bei einzelnen schon nicht mehr an der Ge¬
neigtheit, auch die neueren Lehrentwicklnngen mitanzunehmen. Entsprechend


Grenzboten II 1916 3


Eine neue heilige Allianz
Pastor A. Guthke von

ach dem großen europäischen Kriege vor hundert Jahren entstand
bekanntlich aus romantischen Ideen gekrönter Häupter das kurz¬
lebige Gebilde einer heiligen Allianz. Es dürfte wenig bekannt
sein, daß gewisse englische Theologen und Kirchenpolitiker von dem
gegenwärtigen Weltkriege die Förderung ihres Planes einer anderen
heiligen Allianz erhoffen, die aber nicht wie jene der Durchdringung der Staaten
mit allgemein-christlichen Grundsätzen, sondern der Katholisterung der Welt
dienen soll.

Dieser Gedanke wird von den Anglokatholiken vertreten, einer durchaus
nicht mehr kleinen und an Zahl und Einfluß ständig wachsenden Partei in der
englischen Staatskirche. Das Wesen des Anglokatholizismus besteht nicht, wie
man bei uns meistens denkt, in einzelnen katholisierenden Neigungen, wie sie
sich' besonders in dem Streben nach Bereicherung des Kultus (Weihwasser,
Kruzifixe. Lichter, Meßgewänder, Prozessionen, Heiligenverehrung u. tgi.) kund¬
geben; sein eigentliches Ziel ist vielmehr nichts Geringeres als die „Wieder¬
gewinnung des katholischen Erbes", d. h. die vollständige Wiederherstellung des
Katholischen in Lehre, Kultus und Verfassung der anglikanischen Kirche. Die
cmglokatholische Anschauung sieht in der anglikanischen Kirche also nicht
etwa eine evangelische Kirche, sie hat auch die weitverbreitete Theorie von
der via meäia, nach der sie die rechte Mitte zwischen Katholizismus und
Protestantismus innehält, aufgegeben, und behauptet ihre durch die Reformation
wohl hier und da geschädigte, in Wirklichkeit aber ungebrochene Katholizität.
Meist — denn auch der Anglokatholizismus ist keine ganz einheitliche Größe —
werden die im besonderen Sinne römischen Lehren, z. B. die Unfehlbarkeit des
Papstes, abgelehnt; doch fehlt es bei einzelnen schon nicht mehr an der Ge¬
neigtheit, auch die neueren Lehrentwicklnngen mitanzunehmen. Entsprechend


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[0045] [Abbildung] Eine neue heilige Allianz Pastor A. Guthke von ach dem großen europäischen Kriege vor hundert Jahren entstand bekanntlich aus romantischen Ideen gekrönter Häupter das kurz¬ lebige Gebilde einer heiligen Allianz. Es dürfte wenig bekannt sein, daß gewisse englische Theologen und Kirchenpolitiker von dem gegenwärtigen Weltkriege die Förderung ihres Planes einer anderen heiligen Allianz erhoffen, die aber nicht wie jene der Durchdringung der Staaten mit allgemein-christlichen Grundsätzen, sondern der Katholisterung der Welt dienen soll. Dieser Gedanke wird von den Anglokatholiken vertreten, einer durchaus nicht mehr kleinen und an Zahl und Einfluß ständig wachsenden Partei in der englischen Staatskirche. Das Wesen des Anglokatholizismus besteht nicht, wie man bei uns meistens denkt, in einzelnen katholisierenden Neigungen, wie sie sich' besonders in dem Streben nach Bereicherung des Kultus (Weihwasser, Kruzifixe. Lichter, Meßgewänder, Prozessionen, Heiligenverehrung u. tgi.) kund¬ geben; sein eigentliches Ziel ist vielmehr nichts Geringeres als die „Wieder¬ gewinnung des katholischen Erbes", d. h. die vollständige Wiederherstellung des Katholischen in Lehre, Kultus und Verfassung der anglikanischen Kirche. Die cmglokatholische Anschauung sieht in der anglikanischen Kirche also nicht etwa eine evangelische Kirche, sie hat auch die weitverbreitete Theorie von der via meäia, nach der sie die rechte Mitte zwischen Katholizismus und Protestantismus innehält, aufgegeben, und behauptet ihre durch die Reformation wohl hier und da geschädigte, in Wirklichkeit aber ungebrochene Katholizität. Meist — denn auch der Anglokatholizismus ist keine ganz einheitliche Größe — werden die im besonderen Sinne römischen Lehren, z. B. die Unfehlbarkeit des Papstes, abgelehnt; doch fehlt es bei einzelnen schon nicht mehr an der Ge¬ neigtheit, auch die neueren Lehrentwicklnngen mitanzunehmen. Entsprechend Grenzboten II 1916 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/45>, abgerufen am 27.07.2024.