zwischen mehreren Seemächten". "Das Gleichgewicht auf dem engeren Plan Europas muß aufgegeben werden, damit es auf dem weiteren planetarischen Plan hergestellt werden kann, auf dem sich England bisher eine bevorzugte Stellung gesichert hat."
In seinem letzten, beinahe interessantesten Kapitel fragt Kjellen nun nach dem verfassungs- und kulturpolitischen Ideale der beiden Hauptgegner, Deutsch¬ land und England. Es gähnt in der Tat eine Kluft zwischen den beiden Idealen, die Kjellen der Kluft etwa zwischen Idealisten und Realisten in der Kunst vergleicht. Die einen steigen "vom Ideal zur Wirklichkeit hinab", die anderen erheben sich "von der Wirklichkeit zum Ideal". England hat den Begriff des Gentleman hervorgebracht, bei großem sozialen Zwange ist es staatlich freier organisiert als Deutschland.
An diesem Ideal gemessen versagt Deutschland, das seine Form, seinen Stil noch nicht gefunden hat. Dem Gentlemanbegriff aber setzt es den der Persönlichkeit gegenüber. Die Anklage der Freiheitsfeindlichkeit, die gegen Deutschland geschleudert wird, ist nach Burgeß, dem Kjellen hierin zustimmt, nicht begründet. In keinem Lande sind die "materiellen und geistigen Früchte der Kultur auf sämtliche Einwohner des Staates besser verteilt", als in Deutsch¬ land. So ist es auch in der Staatsverfassung. Sidney Low hat uns in seinem berühmten Buche: Zovemaneö ok iZnZIanä" gezeigt, wie der englische Parlamentarismus eigentlich nur noch ein Deckmantel für die Herrschaft weniger ist (so ist es doch auch in Amerika, wo der Präsident in der äußeren Politik und durch ihn die hinter ihm stehende Gruppe allmächtig ist). Das englische Ideal aber ist Kjellen auch aus dem Grunde verdächtig, weil es. wie Cramb und mit ihm der amerikanische Botschafter Choate bewundernd und anerkennend festgestellt haben, das Bestreben zeigt "to Zivs all usu vultum it8 bounäs an enZIigli mena".
Deutschland dagegen will "Führung ohne Herrschaft". Gerade Deutschland mit seinen Bundesstaaten und freien Städten, die alle ihr selbständiges freies Leben führen, ist berufen, ein neues freies, universales Ideal des staatlichen und überstaatlichen Zusammenlebens zu verwirklichen (vergl. das Fehlen jeder deutschen Jrredenta in Osterreich, der Schweiz usw.). Wenn Österreich-Ungarn bisher nicht die gleiche freie Staatsauffassung gegenüber seinen Völkern an¬ gewandt hätte, wäre nach Kjellen die panslawistische Idee niemals überwunden worden. "Wie das deutsche Volk sein .anderes Gesicht' in Österreich findet, so muß die reichsdeutsche Staatsidee von der österreichischen befruchtet werden, wenn ihre Ansprüche von der Geschichte anerkannt werden sollen." "Zum zweiten Male stellt die Weltgeschichte hier an den germanischen Stamm jene Forderung, die zum ersten Male vor beinahe drei Jahrhunderten unter dem Banner Gustav Adolfs von Schweden erfüllt wurde: in einer bitteren und haßerfüllten Welt der Menschheit die große Idee der Toleranz zu retten -- damals auf religiösem, heute auf nationalem Gebiete."
politische Probleme des Weltkrieges
zwischen mehreren Seemächten". „Das Gleichgewicht auf dem engeren Plan Europas muß aufgegeben werden, damit es auf dem weiteren planetarischen Plan hergestellt werden kann, auf dem sich England bisher eine bevorzugte Stellung gesichert hat."
In seinem letzten, beinahe interessantesten Kapitel fragt Kjellen nun nach dem verfassungs- und kulturpolitischen Ideale der beiden Hauptgegner, Deutsch¬ land und England. Es gähnt in der Tat eine Kluft zwischen den beiden Idealen, die Kjellen der Kluft etwa zwischen Idealisten und Realisten in der Kunst vergleicht. Die einen steigen „vom Ideal zur Wirklichkeit hinab", die anderen erheben sich „von der Wirklichkeit zum Ideal". England hat den Begriff des Gentleman hervorgebracht, bei großem sozialen Zwange ist es staatlich freier organisiert als Deutschland.
An diesem Ideal gemessen versagt Deutschland, das seine Form, seinen Stil noch nicht gefunden hat. Dem Gentlemanbegriff aber setzt es den der Persönlichkeit gegenüber. Die Anklage der Freiheitsfeindlichkeit, die gegen Deutschland geschleudert wird, ist nach Burgeß, dem Kjellen hierin zustimmt, nicht begründet. In keinem Lande sind die „materiellen und geistigen Früchte der Kultur auf sämtliche Einwohner des Staates besser verteilt", als in Deutsch¬ land. So ist es auch in der Staatsverfassung. Sidney Low hat uns in seinem berühmten Buche: Zovemaneö ok iZnZIanä" gezeigt, wie der englische Parlamentarismus eigentlich nur noch ein Deckmantel für die Herrschaft weniger ist (so ist es doch auch in Amerika, wo der Präsident in der äußeren Politik und durch ihn die hinter ihm stehende Gruppe allmächtig ist). Das englische Ideal aber ist Kjellen auch aus dem Grunde verdächtig, weil es. wie Cramb und mit ihm der amerikanische Botschafter Choate bewundernd und anerkennend festgestellt haben, das Bestreben zeigt „to Zivs all usu vultum it8 bounäs an enZIigli mena".
Deutschland dagegen will „Führung ohne Herrschaft". Gerade Deutschland mit seinen Bundesstaaten und freien Städten, die alle ihr selbständiges freies Leben führen, ist berufen, ein neues freies, universales Ideal des staatlichen und überstaatlichen Zusammenlebens zu verwirklichen (vergl. das Fehlen jeder deutschen Jrredenta in Osterreich, der Schweiz usw.). Wenn Österreich-Ungarn bisher nicht die gleiche freie Staatsauffassung gegenüber seinen Völkern an¬ gewandt hätte, wäre nach Kjellen die panslawistische Idee niemals überwunden worden. „Wie das deutsche Volk sein .anderes Gesicht' in Österreich findet, so muß die reichsdeutsche Staatsidee von der österreichischen befruchtet werden, wenn ihre Ansprüche von der Geschichte anerkannt werden sollen." „Zum zweiten Male stellt die Weltgeschichte hier an den germanischen Stamm jene Forderung, die zum ersten Male vor beinahe drei Jahrhunderten unter dem Banner Gustav Adolfs von Schweden erfüllt wurde: in einer bitteren und haßerfüllten Welt der Menschheit die große Idee der Toleranz zu retten — damals auf religiösem, heute auf nationalem Gebiete."
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[0421]
politische Probleme des Weltkrieges
zwischen mehreren Seemächten". „Das Gleichgewicht auf dem engeren Plan
Europas muß aufgegeben werden, damit es auf dem weiteren planetarischen
Plan hergestellt werden kann, auf dem sich England bisher eine bevorzugte
Stellung gesichert hat."
In seinem letzten, beinahe interessantesten Kapitel fragt Kjellen nun nach
dem verfassungs- und kulturpolitischen Ideale der beiden Hauptgegner, Deutsch¬
land und England. Es gähnt in der Tat eine Kluft zwischen den beiden
Idealen, die Kjellen der Kluft etwa zwischen Idealisten und Realisten in der
Kunst vergleicht. Die einen steigen „vom Ideal zur Wirklichkeit hinab", die
anderen erheben sich „von der Wirklichkeit zum Ideal". England hat den
Begriff des Gentleman hervorgebracht, bei großem sozialen Zwange ist es
staatlich freier organisiert als Deutschland.
An diesem Ideal gemessen versagt Deutschland, das seine Form, seinen
Stil noch nicht gefunden hat. Dem Gentlemanbegriff aber setzt es den der
Persönlichkeit gegenüber. Die Anklage der Freiheitsfeindlichkeit, die gegen
Deutschland geschleudert wird, ist nach Burgeß, dem Kjellen hierin zustimmt,
nicht begründet. In keinem Lande sind die „materiellen und geistigen Früchte
der Kultur auf sämtliche Einwohner des Staates besser verteilt", als in Deutsch¬
land. So ist es auch in der Staatsverfassung. Sidney Low hat uns in seinem
berühmten Buche: Zovemaneö ok iZnZIanä" gezeigt, wie der englische
Parlamentarismus eigentlich nur noch ein Deckmantel für die Herrschaft weniger
ist (so ist es doch auch in Amerika, wo der Präsident in der äußeren Politik und
durch ihn die hinter ihm stehende Gruppe allmächtig ist). Das englische Ideal
aber ist Kjellen auch aus dem Grunde verdächtig, weil es. wie Cramb und
mit ihm der amerikanische Botschafter Choate bewundernd und anerkennend
festgestellt haben, das Bestreben zeigt „to Zivs all usu vultum it8 bounäs
an enZIigli mena".
Deutschland dagegen will „Führung ohne Herrschaft". Gerade Deutschland
mit seinen Bundesstaaten und freien Städten, die alle ihr selbständiges freies
Leben führen, ist berufen, ein neues freies, universales Ideal des staatlichen
und überstaatlichen Zusammenlebens zu verwirklichen (vergl. das Fehlen jeder
deutschen Jrredenta in Osterreich, der Schweiz usw.). Wenn Österreich-Ungarn
bisher nicht die gleiche freie Staatsauffassung gegenüber seinen Völkern an¬
gewandt hätte, wäre nach Kjellen die panslawistische Idee niemals überwunden
worden. „Wie das deutsche Volk sein .anderes Gesicht' in Österreich findet,
so muß die reichsdeutsche Staatsidee von der österreichischen befruchtet werden,
wenn ihre Ansprüche von der Geschichte anerkannt werden sollen." „Zum zweiten
Male stellt die Weltgeschichte hier an den germanischen Stamm jene Forderung,
die zum ersten Male vor beinahe drei Jahrhunderten unter dem Banner Gustav
Adolfs von Schweden erfüllt wurde: in einer bitteren und haßerfüllten Welt
der Menschheit die große Idee der Toleranz zu retten — damals auf religiösem,
heute auf nationalem Gebiete."
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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/421>, abgerufen am 06.01.2025.
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