Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Politische Probleme des Weltkrieges

Kreisen in Galizien und Rußland ihre Wirkung zeigte, bildete den unauflös¬
baren Gegensatz zwischen Nußland und Österreich-Ungarn. Erst im Laufe des
Krieges hat sich die ukrainische Frage -- darin hat Kjellen vollkommen recht
-- gegen Rußland umgekehrt.

Die Nationalitätenfrage führt zur Rassenfrage. Die serbische Frage
hätte niemals ihre ungeheuere Bedeutung haben können, wenn nicht hinter
dem Unterseebot das Schlachtschiff Rußland gestanden hätte. In meisterhafter
Darstellung leitet uns Kjellen durch das Problem des Panslawismus, denn
das ist der entscheidende Punkt. Die panslawistische Bewegung ist nicht in
Rußland, sondern in Böhmen entstanden, wurde zuerst in Rußland abgelehnt,
dann aber vom Krimkrieg und deutsch-französischen Krieg an zum politischen
Werkzeug der russischen Regierung gemacht. "Der wirkliche Verkünder ist
Danilewsky in seinem Buche über .Rußland und Europa 1371'". "Wenige
Bücher mit politischem Inhalt haben eine solche Bedeutung im rein historischen
Leben gehabt, wie dieses". Der Untergang der Türkei aus der einen Seite,
Österreich-Ungarns auf der andern, waren die politischen Ziele, auf die das
Programm lossteuerte. Was hat nun die Bankrotterklärung dieses Programms
herbeigeführt und den Traum der Russen zerstört, der so nahe der Verwirklichung
schien, nachdem der Balkanbund unter russischer Ägide gegründet war und
Österreich-Ungarn nach diesem Kriege vor Rußland zurückzuweichen schien? Es
war die Tatsache, daß durch die vanslawistische Idee eine unmittelbare Be¬
drohung Deutschlands gegeben war und zwar nach zweierlei Richtung. Österreich-
Ungarn war Deutschlands Bundesgenosse und zugleich seine Brücke zu dem
andern Bundesgenossen in diesem Kriege, zur Türkei. Hier konnte Deutschland
nicht ruhig zusehen. Dann kann das große Ereignis, daß sich Bulgarien dem
Bunde der Mittelmächte anschloß: "ein Glied der slawischen Kette zersprang".
Die Rassentheorie wurde begraben. Die ukrainische, die polnische Frage ent¬
stand "Nußland steht unter dem Zeichen des gleichen Urteils, das es über
die anderen fällen wollte". Und weshalb mußte das Urteil vernichtend aus¬
fallen? Weil Rußland mit der panslawistischen Idee nicht nur Österreich-
Ungarn und die Türkei, sondern Europa bedrohte. Die Anklage gegen Rußland
lautet daher "daß es sich im Dienste einer niederen Idee an einer höheren
vergriffen hat". Deutschland verteidigt Europa wie zur Zeit des Hunneneinfalls.
Rom steht wieder wie einst gegen Byzanz.

Allein wegen dieses Kapitels über die Rassenfrage, das zu einer meister¬
haften Kritik der panslawistischen Frage geworden ist, lohnt es sich, das
Kjellensche Buch zu lesen.

Die sozialpolitischen Ausführungen, die nachklingen, beschäftigen sich mit
den Kriegsursachen, soweit sie in Disharmonien im innern Leben der
Staaten oder in der mangelnden wirtschaftlichen Autarkie begründet waren.
Kjellen hütet sich diesen Fragen eine zu große Bedeutung beizumessen. Sie
waren aber sicher vorhanden. Sicher ist z. B,, daß unsere Gegner ans die


Politische Probleme des Weltkrieges

Kreisen in Galizien und Rußland ihre Wirkung zeigte, bildete den unauflös¬
baren Gegensatz zwischen Nußland und Österreich-Ungarn. Erst im Laufe des
Krieges hat sich die ukrainische Frage — darin hat Kjellen vollkommen recht
— gegen Rußland umgekehrt.

Die Nationalitätenfrage führt zur Rassenfrage. Die serbische Frage
hätte niemals ihre ungeheuere Bedeutung haben können, wenn nicht hinter
dem Unterseebot das Schlachtschiff Rußland gestanden hätte. In meisterhafter
Darstellung leitet uns Kjellen durch das Problem des Panslawismus, denn
das ist der entscheidende Punkt. Die panslawistische Bewegung ist nicht in
Rußland, sondern in Böhmen entstanden, wurde zuerst in Rußland abgelehnt,
dann aber vom Krimkrieg und deutsch-französischen Krieg an zum politischen
Werkzeug der russischen Regierung gemacht. „Der wirkliche Verkünder ist
Danilewsky in seinem Buche über .Rußland und Europa 1371'". „Wenige
Bücher mit politischem Inhalt haben eine solche Bedeutung im rein historischen
Leben gehabt, wie dieses". Der Untergang der Türkei aus der einen Seite,
Österreich-Ungarns auf der andern, waren die politischen Ziele, auf die das
Programm lossteuerte. Was hat nun die Bankrotterklärung dieses Programms
herbeigeführt und den Traum der Russen zerstört, der so nahe der Verwirklichung
schien, nachdem der Balkanbund unter russischer Ägide gegründet war und
Österreich-Ungarn nach diesem Kriege vor Rußland zurückzuweichen schien? Es
war die Tatsache, daß durch die vanslawistische Idee eine unmittelbare Be¬
drohung Deutschlands gegeben war und zwar nach zweierlei Richtung. Österreich-
Ungarn war Deutschlands Bundesgenosse und zugleich seine Brücke zu dem
andern Bundesgenossen in diesem Kriege, zur Türkei. Hier konnte Deutschland
nicht ruhig zusehen. Dann kann das große Ereignis, daß sich Bulgarien dem
Bunde der Mittelmächte anschloß: „ein Glied der slawischen Kette zersprang".
Die Rassentheorie wurde begraben. Die ukrainische, die polnische Frage ent¬
stand „Nußland steht unter dem Zeichen des gleichen Urteils, das es über
die anderen fällen wollte". Und weshalb mußte das Urteil vernichtend aus¬
fallen? Weil Rußland mit der panslawistischen Idee nicht nur Österreich-
Ungarn und die Türkei, sondern Europa bedrohte. Die Anklage gegen Rußland
lautet daher „daß es sich im Dienste einer niederen Idee an einer höheren
vergriffen hat". Deutschland verteidigt Europa wie zur Zeit des Hunneneinfalls.
Rom steht wieder wie einst gegen Byzanz.

Allein wegen dieses Kapitels über die Rassenfrage, das zu einer meister¬
haften Kritik der panslawistischen Frage geworden ist, lohnt es sich, das
Kjellensche Buch zu lesen.

Die sozialpolitischen Ausführungen, die nachklingen, beschäftigen sich mit
den Kriegsursachen, soweit sie in Disharmonien im innern Leben der
Staaten oder in der mangelnden wirtschaftlichen Autarkie begründet waren.
Kjellen hütet sich diesen Fragen eine zu große Bedeutung beizumessen. Sie
waren aber sicher vorhanden. Sicher ist z. B,, daß unsere Gegner ans die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330519"/>
          <fw type="header" place="top"> Politische Probleme des Weltkrieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1744" prev="#ID_1743"> Kreisen in Galizien und Rußland ihre Wirkung zeigte, bildete den unauflös¬<lb/>
baren Gegensatz zwischen Nußland und Österreich-Ungarn. Erst im Laufe des<lb/>
Krieges hat sich die ukrainische Frage &#x2014; darin hat Kjellen vollkommen recht<lb/>
&#x2014; gegen Rußland umgekehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1745"> Die Nationalitätenfrage führt zur Rassenfrage. Die serbische Frage<lb/>
hätte niemals ihre ungeheuere Bedeutung haben können, wenn nicht hinter<lb/>
dem Unterseebot das Schlachtschiff Rußland gestanden hätte. In meisterhafter<lb/>
Darstellung leitet uns Kjellen durch das Problem des Panslawismus, denn<lb/>
das ist der entscheidende Punkt. Die panslawistische Bewegung ist nicht in<lb/>
Rußland, sondern in Böhmen entstanden, wurde zuerst in Rußland abgelehnt,<lb/>
dann aber vom Krimkrieg und deutsch-französischen Krieg an zum politischen<lb/>
Werkzeug der russischen Regierung gemacht. &#x201E;Der wirkliche Verkünder ist<lb/>
Danilewsky in seinem Buche über .Rußland und Europa 1371'". &#x201E;Wenige<lb/>
Bücher mit politischem Inhalt haben eine solche Bedeutung im rein historischen<lb/>
Leben gehabt, wie dieses". Der Untergang der Türkei aus der einen Seite,<lb/>
Österreich-Ungarns auf der andern, waren die politischen Ziele, auf die das<lb/>
Programm lossteuerte. Was hat nun die Bankrotterklärung dieses Programms<lb/>
herbeigeführt und den Traum der Russen zerstört, der so nahe der Verwirklichung<lb/>
schien, nachdem der Balkanbund unter russischer Ägide gegründet war und<lb/>
Österreich-Ungarn nach diesem Kriege vor Rußland zurückzuweichen schien? Es<lb/>
war die Tatsache, daß durch die vanslawistische Idee eine unmittelbare Be¬<lb/>
drohung Deutschlands gegeben war und zwar nach zweierlei Richtung. Österreich-<lb/>
Ungarn war Deutschlands Bundesgenosse und zugleich seine Brücke zu dem<lb/>
andern Bundesgenossen in diesem Kriege, zur Türkei. Hier konnte Deutschland<lb/>
nicht ruhig zusehen. Dann kann das große Ereignis, daß sich Bulgarien dem<lb/>
Bunde der Mittelmächte anschloß: &#x201E;ein Glied der slawischen Kette zersprang".<lb/>
Die Rassentheorie wurde begraben. Die ukrainische, die polnische Frage ent¬<lb/>
stand &#x201E;Nußland steht unter dem Zeichen des gleichen Urteils, das es über<lb/>
die anderen fällen wollte". Und weshalb mußte das Urteil vernichtend aus¬<lb/>
fallen? Weil Rußland mit der panslawistischen Idee nicht nur Österreich-<lb/>
Ungarn und die Türkei, sondern Europa bedrohte. Die Anklage gegen Rußland<lb/>
lautet daher &#x201E;daß es sich im Dienste einer niederen Idee an einer höheren<lb/>
vergriffen hat". Deutschland verteidigt Europa wie zur Zeit des Hunneneinfalls.<lb/>
Rom steht wieder wie einst gegen Byzanz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1746"> Allein wegen dieses Kapitels über die Rassenfrage, das zu einer meister¬<lb/>
haften Kritik der panslawistischen Frage geworden ist, lohnt es sich, das<lb/>
Kjellensche Buch zu lesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1747" next="#ID_1748"> Die sozialpolitischen Ausführungen, die nachklingen, beschäftigen sich mit<lb/>
den Kriegsursachen, soweit sie in Disharmonien im innern Leben der<lb/>
Staaten oder in der mangelnden wirtschaftlichen Autarkie begründet waren.<lb/>
Kjellen hütet sich diesen Fragen eine zu große Bedeutung beizumessen. Sie<lb/>
waren aber sicher vorhanden. Sicher ist z. B,, daß unsere Gegner ans die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Politische Probleme des Weltkrieges Kreisen in Galizien und Rußland ihre Wirkung zeigte, bildete den unauflös¬ baren Gegensatz zwischen Nußland und Österreich-Ungarn. Erst im Laufe des Krieges hat sich die ukrainische Frage — darin hat Kjellen vollkommen recht — gegen Rußland umgekehrt. Die Nationalitätenfrage führt zur Rassenfrage. Die serbische Frage hätte niemals ihre ungeheuere Bedeutung haben können, wenn nicht hinter dem Unterseebot das Schlachtschiff Rußland gestanden hätte. In meisterhafter Darstellung leitet uns Kjellen durch das Problem des Panslawismus, denn das ist der entscheidende Punkt. Die panslawistische Bewegung ist nicht in Rußland, sondern in Böhmen entstanden, wurde zuerst in Rußland abgelehnt, dann aber vom Krimkrieg und deutsch-französischen Krieg an zum politischen Werkzeug der russischen Regierung gemacht. „Der wirkliche Verkünder ist Danilewsky in seinem Buche über .Rußland und Europa 1371'". „Wenige Bücher mit politischem Inhalt haben eine solche Bedeutung im rein historischen Leben gehabt, wie dieses". Der Untergang der Türkei aus der einen Seite, Österreich-Ungarns auf der andern, waren die politischen Ziele, auf die das Programm lossteuerte. Was hat nun die Bankrotterklärung dieses Programms herbeigeführt und den Traum der Russen zerstört, der so nahe der Verwirklichung schien, nachdem der Balkanbund unter russischer Ägide gegründet war und Österreich-Ungarn nach diesem Kriege vor Rußland zurückzuweichen schien? Es war die Tatsache, daß durch die vanslawistische Idee eine unmittelbare Be¬ drohung Deutschlands gegeben war und zwar nach zweierlei Richtung. Österreich- Ungarn war Deutschlands Bundesgenosse und zugleich seine Brücke zu dem andern Bundesgenossen in diesem Kriege, zur Türkei. Hier konnte Deutschland nicht ruhig zusehen. Dann kann das große Ereignis, daß sich Bulgarien dem Bunde der Mittelmächte anschloß: „ein Glied der slawischen Kette zersprang". Die Rassentheorie wurde begraben. Die ukrainische, die polnische Frage ent¬ stand „Nußland steht unter dem Zeichen des gleichen Urteils, das es über die anderen fällen wollte". Und weshalb mußte das Urteil vernichtend aus¬ fallen? Weil Rußland mit der panslawistischen Idee nicht nur Österreich- Ungarn und die Türkei, sondern Europa bedrohte. Die Anklage gegen Rußland lautet daher „daß es sich im Dienste einer niederen Idee an einer höheren vergriffen hat". Deutschland verteidigt Europa wie zur Zeit des Hunneneinfalls. Rom steht wieder wie einst gegen Byzanz. Allein wegen dieses Kapitels über die Rassenfrage, das zu einer meister¬ haften Kritik der panslawistischen Frage geworden ist, lohnt es sich, das Kjellensche Buch zu lesen. Die sozialpolitischen Ausführungen, die nachklingen, beschäftigen sich mit den Kriegsursachen, soweit sie in Disharmonien im innern Leben der Staaten oder in der mangelnden wirtschaftlichen Autarkie begründet waren. Kjellen hütet sich diesen Fragen eine zu große Bedeutung beizumessen. Sie waren aber sicher vorhanden. Sicher ist z. B,, daß unsere Gegner ans die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/419>, abgerufen am 28.07.2024.