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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Jahre 1899 faßte er den Plan, Nil und Kongo durch eine Eisenbahn zu ver¬
binden. Der Ingenieur Adam erhielt den Auftrag, die Frage zu studieren.
Das Ergebnis war die Konstituierung der "LompaZnie ach ckemins ac ter
6u LonZo 8Uperieur aux (Zranäs I^es ^kricains". Weiter dachte der
unermüdliche König daran, die Kupferminen von Hofrat en Rehas zu gewinnen.
Er vermutete da ein neues Katanga. Aber feine militärischen und kommerziellen
Anstrengungen scheiterten am Widerstande Frankreichs. Das Einzige, was
Leopold der Zweite als Ergebnis aller der großen Anstrengungen geblieben
war, war der Besitz des Lato-Gebiets, das von Chaillu gehalten wurde. Es
lag aber recht isoliert, da die Verbindungen vom Kongo her sehr schlecht waren.
Im Jahre 1902 wandte sich der König wieder an England, das ihm für Lato
den Teil des Bahr el Ghazal westlich des Flusses M und südlich des fünften
Breitengrades als Besitz anbot. Schnell entsandte Leopold der Zweite eine
Studienexpedition dorthin, gleichzeitig aber unter den Kapitainen Royaux und
Landeghem von Ndoruma aus eine militärische Expedition nach Hofrat en Nehas.
Sie sollte die dortigen Minen militärisch besetzen. Aber die Engländer hatten
Wind bekommen, und starke englisch-sudanische Kräfte versperrten der Expedition
den Weg. Sie mußte zurück; es war zu Ende mit den großen leopoldinischen
Plänen. Der König haderte lange Zeit mit England und schien geneigt, das
südliche Ghazal-Gebiet mit Gewalt in seine Hand zu bringen; da sperrte Eng¬
land den Nil für Lato. So kam es endlich zur Übereinkunft vom 9. Mai 1906,
wonach das Lato-Gebiet sechs Monate nach dem Tode König Leopolds an den
englischen Sudan zurückzugeben war.

Der Kampf Leopolds gegen England war bereits 1893 zu Ende, als
Frankreich in Faschoda zurückwich. Was der König hatte verhindern wollen,
war eingetreten; England hatte zu Ägypten den Sudan bekommen. Ja,
Leopold der Zweite mußte es sogar erleben, daß Frankreich und England 1904
den Ägypten-Marokko-Vertrag schlössen, der diesem endgültig das Pharaonenland
überlieferte.

Einmal hatte es noch geschienen, als sollten die Pläne, die der Belgier¬
könig unermüdlich verfolgt hatte, in anderer Weise in Erfüllung gehen; das
war während des Burenkrieg.es, als Delcassö nach Petersburg reiste und er in
seiner Presse versichern ließ, daß er auf ein gutes Verhältnis zu Deutschland
Wert lege. Deutsch-französische Waffenbrüderschaft im Hinterkante von Togo,
gleiche Gefühle den kämpfenden Buren gegenüber hatten das deutsche und
französische Volk zusammengeführt, und im September 1899 sprach das "Journal
des Döbats" von der völligen Übereinstimmung der deutschen und französischen
Botschaft in Konstantinopel über die kleinasiatischen Bahnen.

Rußland hatte ohne allen Zweifel die Absicht, Englands Festlegung in
Südafrika zu einem energischen Vorstoß in Persien auszunutzen; Frankreich
hegte kleinasiatische Bahnbaupläne. Aber die deutsche Politik zeigte keine
Neigung, dem deutschen Volksgefühle Rechnung zu tragen und in eine arti-


Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Jahre 1899 faßte er den Plan, Nil und Kongo durch eine Eisenbahn zu ver¬
binden. Der Ingenieur Adam erhielt den Auftrag, die Frage zu studieren.
Das Ergebnis war die Konstituierung der „LompaZnie ach ckemins ac ter
6u LonZo 8Uperieur aux (Zranäs I^es ^kricains". Weiter dachte der
unermüdliche König daran, die Kupferminen von Hofrat en Rehas zu gewinnen.
Er vermutete da ein neues Katanga. Aber feine militärischen und kommerziellen
Anstrengungen scheiterten am Widerstande Frankreichs. Das Einzige, was
Leopold der Zweite als Ergebnis aller der großen Anstrengungen geblieben
war, war der Besitz des Lato-Gebiets, das von Chaillu gehalten wurde. Es
lag aber recht isoliert, da die Verbindungen vom Kongo her sehr schlecht waren.
Im Jahre 1902 wandte sich der König wieder an England, das ihm für Lato
den Teil des Bahr el Ghazal westlich des Flusses M und südlich des fünften
Breitengrades als Besitz anbot. Schnell entsandte Leopold der Zweite eine
Studienexpedition dorthin, gleichzeitig aber unter den Kapitainen Royaux und
Landeghem von Ndoruma aus eine militärische Expedition nach Hofrat en Nehas.
Sie sollte die dortigen Minen militärisch besetzen. Aber die Engländer hatten
Wind bekommen, und starke englisch-sudanische Kräfte versperrten der Expedition
den Weg. Sie mußte zurück; es war zu Ende mit den großen leopoldinischen
Plänen. Der König haderte lange Zeit mit England und schien geneigt, das
südliche Ghazal-Gebiet mit Gewalt in seine Hand zu bringen; da sperrte Eng¬
land den Nil für Lato. So kam es endlich zur Übereinkunft vom 9. Mai 1906,
wonach das Lato-Gebiet sechs Monate nach dem Tode König Leopolds an den
englischen Sudan zurückzugeben war.

Der Kampf Leopolds gegen England war bereits 1893 zu Ende, als
Frankreich in Faschoda zurückwich. Was der König hatte verhindern wollen,
war eingetreten; England hatte zu Ägypten den Sudan bekommen. Ja,
Leopold der Zweite mußte es sogar erleben, daß Frankreich und England 1904
den Ägypten-Marokko-Vertrag schlössen, der diesem endgültig das Pharaonenland
überlieferte.

Einmal hatte es noch geschienen, als sollten die Pläne, die der Belgier¬
könig unermüdlich verfolgt hatte, in anderer Weise in Erfüllung gehen; das
war während des Burenkrieg.es, als Delcassö nach Petersburg reiste und er in
seiner Presse versichern ließ, daß er auf ein gutes Verhältnis zu Deutschland
Wert lege. Deutsch-französische Waffenbrüderschaft im Hinterkante von Togo,
gleiche Gefühle den kämpfenden Buren gegenüber hatten das deutsche und
französische Volk zusammengeführt, und im September 1899 sprach das „Journal
des Döbats" von der völligen Übereinstimmung der deutschen und französischen
Botschaft in Konstantinopel über die kleinasiatischen Bahnen.

Rußland hatte ohne allen Zweifel die Absicht, Englands Festlegung in
Südafrika zu einem energischen Vorstoß in Persien auszunutzen; Frankreich
hegte kleinasiatische Bahnbaupläne. Aber die deutsche Politik zeigte keine
Neigung, dem deutschen Volksgefühle Rechnung zu tragen und in eine arti-


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[0414] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas Jahre 1899 faßte er den Plan, Nil und Kongo durch eine Eisenbahn zu ver¬ binden. Der Ingenieur Adam erhielt den Auftrag, die Frage zu studieren. Das Ergebnis war die Konstituierung der „LompaZnie ach ckemins ac ter 6u LonZo 8Uperieur aux (Zranäs I^es ^kricains". Weiter dachte der unermüdliche König daran, die Kupferminen von Hofrat en Rehas zu gewinnen. Er vermutete da ein neues Katanga. Aber feine militärischen und kommerziellen Anstrengungen scheiterten am Widerstande Frankreichs. Das Einzige, was Leopold der Zweite als Ergebnis aller der großen Anstrengungen geblieben war, war der Besitz des Lato-Gebiets, das von Chaillu gehalten wurde. Es lag aber recht isoliert, da die Verbindungen vom Kongo her sehr schlecht waren. Im Jahre 1902 wandte sich der König wieder an England, das ihm für Lato den Teil des Bahr el Ghazal westlich des Flusses M und südlich des fünften Breitengrades als Besitz anbot. Schnell entsandte Leopold der Zweite eine Studienexpedition dorthin, gleichzeitig aber unter den Kapitainen Royaux und Landeghem von Ndoruma aus eine militärische Expedition nach Hofrat en Nehas. Sie sollte die dortigen Minen militärisch besetzen. Aber die Engländer hatten Wind bekommen, und starke englisch-sudanische Kräfte versperrten der Expedition den Weg. Sie mußte zurück; es war zu Ende mit den großen leopoldinischen Plänen. Der König haderte lange Zeit mit England und schien geneigt, das südliche Ghazal-Gebiet mit Gewalt in seine Hand zu bringen; da sperrte Eng¬ land den Nil für Lato. So kam es endlich zur Übereinkunft vom 9. Mai 1906, wonach das Lato-Gebiet sechs Monate nach dem Tode König Leopolds an den englischen Sudan zurückzugeben war. Der Kampf Leopolds gegen England war bereits 1893 zu Ende, als Frankreich in Faschoda zurückwich. Was der König hatte verhindern wollen, war eingetreten; England hatte zu Ägypten den Sudan bekommen. Ja, Leopold der Zweite mußte es sogar erleben, daß Frankreich und England 1904 den Ägypten-Marokko-Vertrag schlössen, der diesem endgültig das Pharaonenland überlieferte. Einmal hatte es noch geschienen, als sollten die Pläne, die der Belgier¬ könig unermüdlich verfolgt hatte, in anderer Weise in Erfüllung gehen; das war während des Burenkrieg.es, als Delcassö nach Petersburg reiste und er in seiner Presse versichern ließ, daß er auf ein gutes Verhältnis zu Deutschland Wert lege. Deutsch-französische Waffenbrüderschaft im Hinterkante von Togo, gleiche Gefühle den kämpfenden Buren gegenüber hatten das deutsche und französische Volk zusammengeführt, und im September 1899 sprach das „Journal des Döbats" von der völligen Übereinstimmung der deutschen und französischen Botschaft in Konstantinopel über die kleinasiatischen Bahnen. Rußland hatte ohne allen Zweifel die Absicht, Englands Festlegung in Südafrika zu einem energischen Vorstoß in Persien auszunutzen; Frankreich hegte kleinasiatische Bahnbaupläne. Aber die deutsche Politik zeigte keine Neigung, dem deutschen Volksgefühle Rechnung zu tragen und in eine arti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/414>, abgerufen am 23.12.2024.