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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

so weit steckte, sogar die Entfernung Englands aus Ägypten und die Inter-
nationalisierung dieses Landes unter seiner Führung ins Auge zu fassen.

Zunächst aber richtete Leopolds Bestreben sich auf die Bahr el Ghazal-
Provinz, die 1884 den Mhadisten in die Hände gefallen war. Über ihre
Wichtigkeit für Ägypten schrieb ein Sudankenner wie stallr Pascha, der frühere
Gouverneur der Darfur ° Provinz (siehe "Feuer und Schwert im Sudan" das
Schlußkapitel):


"Ich habe in meiner Erzählung die große Wichtigkeit zu berühren
Gelegenheit gehabt, von der die Bahr el Ghazal-Provinz für Ägypten ist,
und es dürfte hier am Platze sein, zu resümieren, welche eigentümliche
Stellung diese Provinz gegen den übrigen Sudan einnimmt. Sie umsaßt
ein ungemein fruchtbares Gebiet von einem enormen Flächeninhalt, das
durch ein Labyrinth von Flüssen bewässert wird, mit Wäldern bedeckt ist,
und das zahlreiche Elefantenherden beleben. Der Boden ist außer¬
ordentlich ergiebig und produziert insbesondere große Mengen von Baum¬
wolle und Kautschuk. Große Tierherden finden in den mit fettem Grase
bewachsenen Tälern reichliche Nahrung.

Die Bevölkerung dürfte sich ungefähr auf fünf bis sechs Millionen
Seelen belaufen; sie ist von Natur kriegerisch und liefert das aus¬
gezeichnetste Soldatenmaterial des ganzen Sudan. . . .

Die geographische wie auch strategische Lage der Provinz macht mit
Rücksicht auf den übrigen Teil des Sudan den Besitz der Bahr el Ghazal-
Distrikte zur absoluten Notwendigkeit. Eine fremde Macht, der die
ägyptischen Interessen gleichgültig sind, und welche die enormen Hilfs¬
quellen dieses großen Landes, die weit höher veranschlagt werden als
die irgendeines anderen Teiles des Niltales, zu ihrem Vorteile ausnutzte,
würde dadurch eine so dominierende Stellung erlangen, daß die Besetzung
des Sudan durch Ägypten geradezu gefährdet wäre."


Es macht dem politischen Weitblick Leopolds des Zweiten alle Ehre, daß er
schon 1383 die große Bedeutung des Bahr el Ghazal-Gebiets erkannte, dessen
Besitz er mit Anspannung aller Kräfte erstrebte.

Als die Gewinnung Gordon Paschas und dann Emin Paschas nicht geglückt
war, ging der König mit aller Energie ans Werk, durch eigene Kraft und
eigenes Vorgehen das gesteckte Ziel zu erreichen. Er fand einen energischen
Mitarbeiter im Kapitän Vankerckhoven, der schon 1888 oder 1887 vorschlug,
vom Actie-Fluß aus die Eroberung des Sudans ins Werk zu setzen. Der
Plan fand die volle Zustimmung Leopolds des Zweiten; aber die Lage war seiner
Ausführung so ungünstig als nur möglich. Die finanzielle Lage des unabhängigen
Kongostaates war geradezu traurig, die eigenen Mittel des Königs waren
erschöpft. Vankerckhoven schlug vor, die großen Elfenbeinvorräte, die nach den
Berichten von Stanley, Lupton und Junker in der Äquatorialprovinz, im Actie
und im Bahr el Ghazal lagern sollten, zu beschlagnahmen und aus dem Erlös


Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

so weit steckte, sogar die Entfernung Englands aus Ägypten und die Inter-
nationalisierung dieses Landes unter seiner Führung ins Auge zu fassen.

Zunächst aber richtete Leopolds Bestreben sich auf die Bahr el Ghazal-
Provinz, die 1884 den Mhadisten in die Hände gefallen war. Über ihre
Wichtigkeit für Ägypten schrieb ein Sudankenner wie stallr Pascha, der frühere
Gouverneur der Darfur ° Provinz (siehe „Feuer und Schwert im Sudan" das
Schlußkapitel):


„Ich habe in meiner Erzählung die große Wichtigkeit zu berühren
Gelegenheit gehabt, von der die Bahr el Ghazal-Provinz für Ägypten ist,
und es dürfte hier am Platze sein, zu resümieren, welche eigentümliche
Stellung diese Provinz gegen den übrigen Sudan einnimmt. Sie umsaßt
ein ungemein fruchtbares Gebiet von einem enormen Flächeninhalt, das
durch ein Labyrinth von Flüssen bewässert wird, mit Wäldern bedeckt ist,
und das zahlreiche Elefantenherden beleben. Der Boden ist außer¬
ordentlich ergiebig und produziert insbesondere große Mengen von Baum¬
wolle und Kautschuk. Große Tierherden finden in den mit fettem Grase
bewachsenen Tälern reichliche Nahrung.

Die Bevölkerung dürfte sich ungefähr auf fünf bis sechs Millionen
Seelen belaufen; sie ist von Natur kriegerisch und liefert das aus¬
gezeichnetste Soldatenmaterial des ganzen Sudan. . . .

Die geographische wie auch strategische Lage der Provinz macht mit
Rücksicht auf den übrigen Teil des Sudan den Besitz der Bahr el Ghazal-
Distrikte zur absoluten Notwendigkeit. Eine fremde Macht, der die
ägyptischen Interessen gleichgültig sind, und welche die enormen Hilfs¬
quellen dieses großen Landes, die weit höher veranschlagt werden als
die irgendeines anderen Teiles des Niltales, zu ihrem Vorteile ausnutzte,
würde dadurch eine so dominierende Stellung erlangen, daß die Besetzung
des Sudan durch Ägypten geradezu gefährdet wäre."


Es macht dem politischen Weitblick Leopolds des Zweiten alle Ehre, daß er
schon 1383 die große Bedeutung des Bahr el Ghazal-Gebiets erkannte, dessen
Besitz er mit Anspannung aller Kräfte erstrebte.

Als die Gewinnung Gordon Paschas und dann Emin Paschas nicht geglückt
war, ging der König mit aller Energie ans Werk, durch eigene Kraft und
eigenes Vorgehen das gesteckte Ziel zu erreichen. Er fand einen energischen
Mitarbeiter im Kapitän Vankerckhoven, der schon 1888 oder 1887 vorschlug,
vom Actie-Fluß aus die Eroberung des Sudans ins Werk zu setzen. Der
Plan fand die volle Zustimmung Leopolds des Zweiten; aber die Lage war seiner
Ausführung so ungünstig als nur möglich. Die finanzielle Lage des unabhängigen
Kongostaates war geradezu traurig, die eigenen Mittel des Königs waren
erschöpft. Vankerckhoven schlug vor, die großen Elfenbeinvorräte, die nach den
Berichten von Stanley, Lupton und Junker in der Äquatorialprovinz, im Actie
und im Bahr el Ghazal lagern sollten, zu beschlagnahmen und aus dem Erlös


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/407>, abgerufen am 28.07.2024.