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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Es mag sein, daß Leopold der Zweite, dessen Kongostaat damals in argen
Finanznöten war -- er selber hatte sein ganzes persönliches Vermögen in die
Kongosache gesteckt -- zunächst der Gedanke vorschwebte, die großen Elfenbein¬
schätze zu gewinnen, die nach Aussage der Afrikareisenden Junker und Schwein-
furth in der ägyptischen Aquatorialprovinz aufgespeichert sein sollten; aber das
ganze nachherige Verhalten, seine zahllosen Versuche, eine große antienglische
Koalition in Afrika zusammenzubringen, beweist doch, daß von Anfang an
mehr in dem leopoldinischen Streben steckte als die Sucht nach Gewinnung von
Elfenbeinschätzen.

Als Herzog von Brabant hatte der König zweimal Ägypten besucht,
1853/54 und dann 1862; er war tief in die Geschichte des Pharaonenlandes
eingedrungen. Es war Leopold dem Zweiten klar, daß England, erst einmal
fest im Besitze von Ägypten, sofort der Politik der alten Pharaonen und der
des Mehemmed Ali, Vizekönigs von Ägypten, folgen werde, der 1831/32 in
Syrien und Kleinasien einbrach und die Türken am 21. Dezember 1832 bei
Koma besiegte. Für Ägypten, das zeigt schon seine alte Geschichte, gab es
immer nur ein Entweder -- Oder; entweder trat es bestimmend in Syrien
auf, oder es wurde von Vorderasien unterjocht. Seit Beginn der arabischen
Weltmachtsperiode unter dem Mohammedanismus war Ägypten erst den
Arabern, dann den Türken unterworfen gewesen; mit der Festsetzung Englands
im Pharaonenlande brach ein neuer Zeitabschnitt an. Aufs neue mußte
Ägypten überwiegen, weil eine starke Macht hinter ihm stand, in deren Händen
dazu noch Indien war. Bis dahin hatten Vorderasien und Ägypten als breite
Schwelle zum Eintritt nach Persien, Indien und Afrika frei vor Südost- und
Mitteleuropa gelegen; das östliche Mittelmeerbecken, in dem türkische, griechische
vnd italienische Interessen sich kreuzten, war offene See. Sie sank zum
englischen Binnenmeer herab, wenn die Macht der Tatsachen England vorwärts
trieb, von Ägypten nach Syrien, nach Arabien, nach Mesopotamien, um die
Brücke von Ägypten nach Indien zu schlagen. Mittel- und Südosteuropa
wurden dann völlig von England eingeschlossen, zur Enklave in russisch englischer
Flut; die letzte Gelegenheit für die dazu gehörigen Mächte, der Gefahr zu
begegnen, ohne Weltkrieg ihre Entwicklung sicherzustellen, war der Mhadisten-
aufstand.

Mit genialen Blick erfaßte Leopold der Zweite schon 1883 die Gunst der
Lage, als er Gordon Pascha Angebote machte, und er traf auch gleich das
Richtige, indem er auf das Bahr el Ghazal--Gebiet sein Augenmerk richtete.
Ohne den Sudan ist Ägypten ein Baum ohne Wurzel; gelang es dem Kongo¬
staat, dort festen Fuß zu fassen, dann war er in der Lage, mit Abessynien
zusammen ein mächtiges Gegengewicht gegen englische Pläne in Vorderasien zu
schaffen. Und dies war es, worauf der Belgierkönig mit Beharrlichkeit fein
Streben richtete; mehr und mehr wuchs er in die Vorstellung hinein, der Vor¬
kämpfer des nichtenglischen und nichtrussischen Europa zu sein, bis er das Ziel


Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Es mag sein, daß Leopold der Zweite, dessen Kongostaat damals in argen
Finanznöten war — er selber hatte sein ganzes persönliches Vermögen in die
Kongosache gesteckt — zunächst der Gedanke vorschwebte, die großen Elfenbein¬
schätze zu gewinnen, die nach Aussage der Afrikareisenden Junker und Schwein-
furth in der ägyptischen Aquatorialprovinz aufgespeichert sein sollten; aber das
ganze nachherige Verhalten, seine zahllosen Versuche, eine große antienglische
Koalition in Afrika zusammenzubringen, beweist doch, daß von Anfang an
mehr in dem leopoldinischen Streben steckte als die Sucht nach Gewinnung von
Elfenbeinschätzen.

Als Herzog von Brabant hatte der König zweimal Ägypten besucht,
1853/54 und dann 1862; er war tief in die Geschichte des Pharaonenlandes
eingedrungen. Es war Leopold dem Zweiten klar, daß England, erst einmal
fest im Besitze von Ägypten, sofort der Politik der alten Pharaonen und der
des Mehemmed Ali, Vizekönigs von Ägypten, folgen werde, der 1831/32 in
Syrien und Kleinasien einbrach und die Türken am 21. Dezember 1832 bei
Koma besiegte. Für Ägypten, das zeigt schon seine alte Geschichte, gab es
immer nur ein Entweder — Oder; entweder trat es bestimmend in Syrien
auf, oder es wurde von Vorderasien unterjocht. Seit Beginn der arabischen
Weltmachtsperiode unter dem Mohammedanismus war Ägypten erst den
Arabern, dann den Türken unterworfen gewesen; mit der Festsetzung Englands
im Pharaonenlande brach ein neuer Zeitabschnitt an. Aufs neue mußte
Ägypten überwiegen, weil eine starke Macht hinter ihm stand, in deren Händen
dazu noch Indien war. Bis dahin hatten Vorderasien und Ägypten als breite
Schwelle zum Eintritt nach Persien, Indien und Afrika frei vor Südost- und
Mitteleuropa gelegen; das östliche Mittelmeerbecken, in dem türkische, griechische
vnd italienische Interessen sich kreuzten, war offene See. Sie sank zum
englischen Binnenmeer herab, wenn die Macht der Tatsachen England vorwärts
trieb, von Ägypten nach Syrien, nach Arabien, nach Mesopotamien, um die
Brücke von Ägypten nach Indien zu schlagen. Mittel- und Südosteuropa
wurden dann völlig von England eingeschlossen, zur Enklave in russisch englischer
Flut; die letzte Gelegenheit für die dazu gehörigen Mächte, der Gefahr zu
begegnen, ohne Weltkrieg ihre Entwicklung sicherzustellen, war der Mhadisten-
aufstand.

Mit genialen Blick erfaßte Leopold der Zweite schon 1883 die Gunst der
Lage, als er Gordon Pascha Angebote machte, und er traf auch gleich das
Richtige, indem er auf das Bahr el Ghazal--Gebiet sein Augenmerk richtete.
Ohne den Sudan ist Ägypten ein Baum ohne Wurzel; gelang es dem Kongo¬
staat, dort festen Fuß zu fassen, dann war er in der Lage, mit Abessynien
zusammen ein mächtiges Gegengewicht gegen englische Pläne in Vorderasien zu
schaffen. Und dies war es, worauf der Belgierkönig mit Beharrlichkeit fein
Streben richtete; mehr und mehr wuchs er in die Vorstellung hinein, der Vor¬
kämpfer des nichtenglischen und nichtrussischen Europa zu sein, bis er das Ziel


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[0406] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas Es mag sein, daß Leopold der Zweite, dessen Kongostaat damals in argen Finanznöten war — er selber hatte sein ganzes persönliches Vermögen in die Kongosache gesteckt — zunächst der Gedanke vorschwebte, die großen Elfenbein¬ schätze zu gewinnen, die nach Aussage der Afrikareisenden Junker und Schwein- furth in der ägyptischen Aquatorialprovinz aufgespeichert sein sollten; aber das ganze nachherige Verhalten, seine zahllosen Versuche, eine große antienglische Koalition in Afrika zusammenzubringen, beweist doch, daß von Anfang an mehr in dem leopoldinischen Streben steckte als die Sucht nach Gewinnung von Elfenbeinschätzen. Als Herzog von Brabant hatte der König zweimal Ägypten besucht, 1853/54 und dann 1862; er war tief in die Geschichte des Pharaonenlandes eingedrungen. Es war Leopold dem Zweiten klar, daß England, erst einmal fest im Besitze von Ägypten, sofort der Politik der alten Pharaonen und der des Mehemmed Ali, Vizekönigs von Ägypten, folgen werde, der 1831/32 in Syrien und Kleinasien einbrach und die Türken am 21. Dezember 1832 bei Koma besiegte. Für Ägypten, das zeigt schon seine alte Geschichte, gab es immer nur ein Entweder — Oder; entweder trat es bestimmend in Syrien auf, oder es wurde von Vorderasien unterjocht. Seit Beginn der arabischen Weltmachtsperiode unter dem Mohammedanismus war Ägypten erst den Arabern, dann den Türken unterworfen gewesen; mit der Festsetzung Englands im Pharaonenlande brach ein neuer Zeitabschnitt an. Aufs neue mußte Ägypten überwiegen, weil eine starke Macht hinter ihm stand, in deren Händen dazu noch Indien war. Bis dahin hatten Vorderasien und Ägypten als breite Schwelle zum Eintritt nach Persien, Indien und Afrika frei vor Südost- und Mitteleuropa gelegen; das östliche Mittelmeerbecken, in dem türkische, griechische vnd italienische Interessen sich kreuzten, war offene See. Sie sank zum englischen Binnenmeer herab, wenn die Macht der Tatsachen England vorwärts trieb, von Ägypten nach Syrien, nach Arabien, nach Mesopotamien, um die Brücke von Ägypten nach Indien zu schlagen. Mittel- und Südosteuropa wurden dann völlig von England eingeschlossen, zur Enklave in russisch englischer Flut; die letzte Gelegenheit für die dazu gehörigen Mächte, der Gefahr zu begegnen, ohne Weltkrieg ihre Entwicklung sicherzustellen, war der Mhadisten- aufstand. Mit genialen Blick erfaßte Leopold der Zweite schon 1883 die Gunst der Lage, als er Gordon Pascha Angebote machte, und er traf auch gleich das Richtige, indem er auf das Bahr el Ghazal--Gebiet sein Augenmerk richtete. Ohne den Sudan ist Ägypten ein Baum ohne Wurzel; gelang es dem Kongo¬ staat, dort festen Fuß zu fassen, dann war er in der Lage, mit Abessynien zusammen ein mächtiges Gegengewicht gegen englische Pläne in Vorderasien zu schaffen. Und dies war es, worauf der Belgierkönig mit Beharrlichkeit fein Streben richtete; mehr und mehr wuchs er in die Vorstellung hinein, der Vor¬ kämpfer des nichtenglischen und nichtrussischen Europa zu sein, bis er das Ziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/406>, abgerufen am 28.07.2024.