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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite von Belgien als erster Vorkämpfer
Mitteleuropas
Linn Iimmermann von

eopold der Zweite von Belgien, der Gründer des unabhängigen
Kongostaates, war einer der weitestblickenden Politiker seiner Zeit,
ein schlauer, geschickter Diplomat und, was überhaupt noch nicht
gewürdigt worden ist. der erste Vorkämpfer Mitteleuropas, der
einzige, dessen Scharfblick schon 1834 die große Gefahr erfaßte,
welche für alle innerhalb der Tore Dover-Calais und Gibraltar eingeschlossenen
europäischen Mächte die Besetzung von Ägypten durch England in sich barg.
Zwar läßt sich vor 1897 kaum eine Äußerung des Belgierkönigs nachweisen,
die kennzeichnend wäre für den scharfen Gegensatz seiner Politik zur englischen. Aber
alle Aktionen seines unabhängigen Kongostaates waren eine Kette von Vor¬
stoßen gegen die englische Stellung in Ägypten, deren gefährlichster als gemein¬
samer belgisch-französisch-abessinischer Griff in den Sudan in die Jahre 1897
bis 1898 fällt und mit Faschoda seinen Abschluß fand. Erst 1897 lüftete
Leopold der Zweite ein wenig den Schleier. Am 4. März jenes Jahres erschien
im "Belgique coloniale" ein damals wenig beachteter, in seinen Absichten sorg¬
fältig verschleierter, aber dem Kundigen die Ziele leopoldinischer Politik klar
enthüllender Aufsatz, welcher in geheimnisvoll klingenden Wendungen ausführte,
daß die englische Herrschaft über Ägypten die Beherrschung des Mittelländischen
Meeres und des Orients bedeute, die Gefahr der Vernichtung europäischer
Freiheit der Entschließung in sich berge, also im Interesse der Erhaltung des
Gleichgewichts der Mächte und einer weiteren friedlichen Entwicklung das
Pharaonenland etwas Ähnliches werden müßte wie der unabhängige Kongo¬
staat. Unter nicht ganz bergender Hülle zeichnete sich der Gedanke ab, der
internationale Kongostaat wäre der geeignetste Verwalter für ein unter inter¬
nationale Kontrolle gestelltes Ägypten.

Heute erst faßt die weitere Öffentlichkeit die Größe leopoldinischer Gedanken,
mit denen er bis 1895 allein stand. Im Jahre 1892 hatte der König Frank¬
reich den Vorschlag der Teilung des Nilbassins gemacht; Hanotaux wußte nichts
besseres zu tun, als dieses Angebot am 7. Juni 1894 in der französischen
Kammer zu enthüllen. Deutschland lag noch in den Banden englischer Politik.
Erst nach der Zerschmetterung des Mhadireiches durch Kitchener merkte die




Leopold der Zweite von Belgien als erster Vorkämpfer
Mitteleuropas
Linn Iimmermann von

eopold der Zweite von Belgien, der Gründer des unabhängigen
Kongostaates, war einer der weitestblickenden Politiker seiner Zeit,
ein schlauer, geschickter Diplomat und, was überhaupt noch nicht
gewürdigt worden ist. der erste Vorkämpfer Mitteleuropas, der
einzige, dessen Scharfblick schon 1834 die große Gefahr erfaßte,
welche für alle innerhalb der Tore Dover-Calais und Gibraltar eingeschlossenen
europäischen Mächte die Besetzung von Ägypten durch England in sich barg.
Zwar läßt sich vor 1897 kaum eine Äußerung des Belgierkönigs nachweisen,
die kennzeichnend wäre für den scharfen Gegensatz seiner Politik zur englischen. Aber
alle Aktionen seines unabhängigen Kongostaates waren eine Kette von Vor¬
stoßen gegen die englische Stellung in Ägypten, deren gefährlichster als gemein¬
samer belgisch-französisch-abessinischer Griff in den Sudan in die Jahre 1897
bis 1898 fällt und mit Faschoda seinen Abschluß fand. Erst 1897 lüftete
Leopold der Zweite ein wenig den Schleier. Am 4. März jenes Jahres erschien
im „Belgique coloniale" ein damals wenig beachteter, in seinen Absichten sorg¬
fältig verschleierter, aber dem Kundigen die Ziele leopoldinischer Politik klar
enthüllender Aufsatz, welcher in geheimnisvoll klingenden Wendungen ausführte,
daß die englische Herrschaft über Ägypten die Beherrschung des Mittelländischen
Meeres und des Orients bedeute, die Gefahr der Vernichtung europäischer
Freiheit der Entschließung in sich berge, also im Interesse der Erhaltung des
Gleichgewichts der Mächte und einer weiteren friedlichen Entwicklung das
Pharaonenland etwas Ähnliches werden müßte wie der unabhängige Kongo¬
staat. Unter nicht ganz bergender Hülle zeichnete sich der Gedanke ab, der
internationale Kongostaat wäre der geeignetste Verwalter für ein unter inter¬
nationale Kontrolle gestelltes Ägypten.

Heute erst faßt die weitere Öffentlichkeit die Größe leopoldinischer Gedanken,
mit denen er bis 1895 allein stand. Im Jahre 1892 hatte der König Frank¬
reich den Vorschlag der Teilung des Nilbassins gemacht; Hanotaux wußte nichts
besseres zu tun, als dieses Angebot am 7. Juni 1894 in der französischen
Kammer zu enthüllen. Deutschland lag noch in den Banden englischer Politik.
Erst nach der Zerschmetterung des Mhadireiches durch Kitchener merkte die


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[0404] Leopold der Zweite von Belgien als erster Vorkämpfer Mitteleuropas Linn Iimmermann von eopold der Zweite von Belgien, der Gründer des unabhängigen Kongostaates, war einer der weitestblickenden Politiker seiner Zeit, ein schlauer, geschickter Diplomat und, was überhaupt noch nicht gewürdigt worden ist. der erste Vorkämpfer Mitteleuropas, der einzige, dessen Scharfblick schon 1834 die große Gefahr erfaßte, welche für alle innerhalb der Tore Dover-Calais und Gibraltar eingeschlossenen europäischen Mächte die Besetzung von Ägypten durch England in sich barg. Zwar läßt sich vor 1897 kaum eine Äußerung des Belgierkönigs nachweisen, die kennzeichnend wäre für den scharfen Gegensatz seiner Politik zur englischen. Aber alle Aktionen seines unabhängigen Kongostaates waren eine Kette von Vor¬ stoßen gegen die englische Stellung in Ägypten, deren gefährlichster als gemein¬ samer belgisch-französisch-abessinischer Griff in den Sudan in die Jahre 1897 bis 1898 fällt und mit Faschoda seinen Abschluß fand. Erst 1897 lüftete Leopold der Zweite ein wenig den Schleier. Am 4. März jenes Jahres erschien im „Belgique coloniale" ein damals wenig beachteter, in seinen Absichten sorg¬ fältig verschleierter, aber dem Kundigen die Ziele leopoldinischer Politik klar enthüllender Aufsatz, welcher in geheimnisvoll klingenden Wendungen ausführte, daß die englische Herrschaft über Ägypten die Beherrschung des Mittelländischen Meeres und des Orients bedeute, die Gefahr der Vernichtung europäischer Freiheit der Entschließung in sich berge, also im Interesse der Erhaltung des Gleichgewichts der Mächte und einer weiteren friedlichen Entwicklung das Pharaonenland etwas Ähnliches werden müßte wie der unabhängige Kongo¬ staat. Unter nicht ganz bergender Hülle zeichnete sich der Gedanke ab, der internationale Kongostaat wäre der geeignetste Verwalter für ein unter inter¬ nationale Kontrolle gestelltes Ägypten. Heute erst faßt die weitere Öffentlichkeit die Größe leopoldinischer Gedanken, mit denen er bis 1895 allein stand. Im Jahre 1892 hatte der König Frank¬ reich den Vorschlag der Teilung des Nilbassins gemacht; Hanotaux wußte nichts besseres zu tun, als dieses Angebot am 7. Juni 1894 in der französischen Kammer zu enthüllen. Deutschland lag noch in den Banden englischer Politik. Erst nach der Zerschmetterung des Mhadireiches durch Kitchener merkte die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/404>, abgerufen am 27.07.2024.