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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Vie kebensmittelverteilung

fand ein großer Teil der Bevölkerung sich nicht veranlaßt, im Verbrauch von
Backwaren sich Beschränkungen aufzuerlegen, weder in Bezug auf die Güte
noch auf die Menge. Um die Wende des Jahres ergingen daher verschärfte
Bestimmungen und in der Bundesratsverordnung vom 25. Januar 1915
legte der Staat die Hand auf alles Brodgetreide und Mehl. Mit der Beschlag¬
nahme mußte zugleich der Verbrauch von Brot und Mehl geregelt werden.
Die Brotkarte war der Höhepunkt der Reglementierung.

Inzwischen waren ernste Besorgnisse wegen der vorhandenen Kartoffel¬
vorräte aufgetaucht. In der edlen Absicht, den minderbemittelten Volksklassen
neben dem Brot auch die Kartoffel zu billigem Preise zur Verfügung zu
stellen, war der Höchstpreis im November 1914 auf 5 Mark für den Doppel¬
zentner festgesetzt worden. Der Preis wurde als genügend erachtet zur Deckung
der Produktionskosten, zumal da das Jahr 1914 eine reiche Kartoffelernte er¬
geben haben sollte. Tatsächlich waren 90 Millionen Doppelzentner weniger als
im Vorjahre geerntet worden und die Wertschätzung der Kartoffeln als un¬
entbehrliches Futterersatzmittel zur Durchhaltung der Viehbestände konnte durch
den niedrigen Verkaufspreis nicht entfernt ausgeglichen werden. Die Bestandes¬
aufnahme ergab ein erschreckend ungünstiges Ergebnis. Wohl zweifelten land¬
wirtschaftliche Sachverständige die Richtigkeit der Ermittelungen an, weil bei der
Aufnahme der Vorräte die Mieter nicht hatten geöffnet werden können. Ein
Beweis war aber im Augenblick nicht zu erbringen. So kam es zu dem be¬
dauerlichen Beschluß, unseren Schweinebestand durch Zwangsabschlachtung zu
verringern, um den anscheinend so geringen Kartoffelvorrat der menschlichen
Ernährung zu sichern. Als mit beginnender wärmerer Jahreszeit die Mieter
geöffnet wurden, erwies sich, daß viel mehr Kartoffeln vorhanden waren, als
man auf Grund der oberflächlichen Bestandesaufnahme veranschlagt hatte. Ein
großer Vorrat alter Kartoffeln stand noch zum Verkauf, als die ersten Früh¬
kartoffeln schon auf dem Markt erschienen.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, auf die staatliche Kartoffelpolitik vom
Jahre 1915 bis auf die Gegenwart und ihre Wirkungen hier einzugehen. Wer
die Mühe sich nicht verdrießen läßt, den verworrenen und gewundenen Pfaden,
auf denen die Bestrebungen zu einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung
mit der unentbehrlichen Erdfrucht sich bewegten, nachzugehen, wird den Eindruck
gewinnen, daß im Suchen nach der zweckmäßigsten Ordnung zu Zeiten recht
kostspielige und auch mißglückte Experimente angestellt worden sind. Hier war
ein Prüfstein gegeben, wie die Ernährungsfrage an einem ihrer wichtigsten
Punkte den Bedürfnissen angemessen sich anpassen ließ. Das System der
Höchstpreise in Anwendung auf die Kartoffeln hat bei mehrfachen Versuchen
versagt, stand ja auch in zweiter Linie, da durch dasselbe die Marktpreise, nicht
aber die Bedarfsdeckung betroffen wurden. Am Ziele vorbei führte auch ein
anderer Weg: durch Preiserhöhung auf den Landwirt einen verstärkten Anreiz
auszuüben, die Kartoffeln in größtem Umfang dem Verbrauch zuzuführen. Nahe-


Vie kebensmittelverteilung

fand ein großer Teil der Bevölkerung sich nicht veranlaßt, im Verbrauch von
Backwaren sich Beschränkungen aufzuerlegen, weder in Bezug auf die Güte
noch auf die Menge. Um die Wende des Jahres ergingen daher verschärfte
Bestimmungen und in der Bundesratsverordnung vom 25. Januar 1915
legte der Staat die Hand auf alles Brodgetreide und Mehl. Mit der Beschlag¬
nahme mußte zugleich der Verbrauch von Brot und Mehl geregelt werden.
Die Brotkarte war der Höhepunkt der Reglementierung.

Inzwischen waren ernste Besorgnisse wegen der vorhandenen Kartoffel¬
vorräte aufgetaucht. In der edlen Absicht, den minderbemittelten Volksklassen
neben dem Brot auch die Kartoffel zu billigem Preise zur Verfügung zu
stellen, war der Höchstpreis im November 1914 auf 5 Mark für den Doppel¬
zentner festgesetzt worden. Der Preis wurde als genügend erachtet zur Deckung
der Produktionskosten, zumal da das Jahr 1914 eine reiche Kartoffelernte er¬
geben haben sollte. Tatsächlich waren 90 Millionen Doppelzentner weniger als
im Vorjahre geerntet worden und die Wertschätzung der Kartoffeln als un¬
entbehrliches Futterersatzmittel zur Durchhaltung der Viehbestände konnte durch
den niedrigen Verkaufspreis nicht entfernt ausgeglichen werden. Die Bestandes¬
aufnahme ergab ein erschreckend ungünstiges Ergebnis. Wohl zweifelten land¬
wirtschaftliche Sachverständige die Richtigkeit der Ermittelungen an, weil bei der
Aufnahme der Vorräte die Mieter nicht hatten geöffnet werden können. Ein
Beweis war aber im Augenblick nicht zu erbringen. So kam es zu dem be¬
dauerlichen Beschluß, unseren Schweinebestand durch Zwangsabschlachtung zu
verringern, um den anscheinend so geringen Kartoffelvorrat der menschlichen
Ernährung zu sichern. Als mit beginnender wärmerer Jahreszeit die Mieter
geöffnet wurden, erwies sich, daß viel mehr Kartoffeln vorhanden waren, als
man auf Grund der oberflächlichen Bestandesaufnahme veranschlagt hatte. Ein
großer Vorrat alter Kartoffeln stand noch zum Verkauf, als die ersten Früh¬
kartoffeln schon auf dem Markt erschienen.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, auf die staatliche Kartoffelpolitik vom
Jahre 1915 bis auf die Gegenwart und ihre Wirkungen hier einzugehen. Wer
die Mühe sich nicht verdrießen läßt, den verworrenen und gewundenen Pfaden,
auf denen die Bestrebungen zu einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung
mit der unentbehrlichen Erdfrucht sich bewegten, nachzugehen, wird den Eindruck
gewinnen, daß im Suchen nach der zweckmäßigsten Ordnung zu Zeiten recht
kostspielige und auch mißglückte Experimente angestellt worden sind. Hier war
ein Prüfstein gegeben, wie die Ernährungsfrage an einem ihrer wichtigsten
Punkte den Bedürfnissen angemessen sich anpassen ließ. Das System der
Höchstpreise in Anwendung auf die Kartoffeln hat bei mehrfachen Versuchen
versagt, stand ja auch in zweiter Linie, da durch dasselbe die Marktpreise, nicht
aber die Bedarfsdeckung betroffen wurden. Am Ziele vorbei führte auch ein
anderer Weg: durch Preiserhöhung auf den Landwirt einen verstärkten Anreiz
auszuüben, die Kartoffeln in größtem Umfang dem Verbrauch zuzuführen. Nahe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/400>, abgerufen am 28.07.2024.