Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lebensmittelverteilung

Monaten dreihundert wirtschaftliche Bestimmungen des Bundesrath sich auf¬
bauen würden I

Wie die Dinge im Herbst 1914 lagen -- die vermeintlich ausgezeichnete
Ernte des Jahres wurde eben eingebracht --, konnte die Regierung mit der
Anwendung der ihr erteilten Blankovollmacht sich Zeit lassen. Die Preis¬
gestaltung für manche Artikel der Massenernährung zeigte allerdings gleich zu
Anfang eine Neigung zur Entartung. Immerhin durfte die Preisentwicklung
zunächst ohne Eingriff von außen sich selbst überlassen bleiben. Da ein fühl¬
barer Mangel an Lebensmitteln vorläufig sich nicht bemerkbar machte, hieZt
man es für angezeigt, die Ergebnisse freier Preisbildung im "isolierten Staat"
bis auf weiteres abzuwarten. Denn die Einführung von Zwangspreisen für
Gegenstände des Alltags- und Massenverbrauchs bedeuiete in jedem Falle einen
Sprung ins Dunkle, da sich nicht vorhersehen ließ, wie das Wntschastslebln
auf eine so harte Reglementierung reagieren würde. Privatwirtschaftlicher
Eigennutz in Verbindung mit der verschärften wirtschaftlichen Einkreisung
Deutschlands nötigten aber zu positiven Maßnah wen. Um so n ehr als neben
der sprunghafter Steigerung der Lebensmittelpreise Anzeichen einer auffallend
raschen Verringerung der Nahrungsvorräte auftraten.

Auf dem Gebiet der Lebensmittelpolitik mußte selbstverständlich jede ein¬
seitige Begünstigung der einen oder anderen Jnteressentcngrnppe vermieden
werden. Als Grundsatz für die Preisfestsetzungen mürbe in der amtlichen
Denkschrift an den Reichstag bezeichnet, daß der Eingriff in das Wirtschafts¬
getriebe auf das geringste Maß beschränkt, bei dem der angestrebte Erfolg noch
erreichbar war, werden müsse. Ferner sollte besonders darauf geachtet werden,
daß dem Handel Spielraum und Anreiz zu nützlicher Betätigung belassen blieben.

Wir meinen, wenn die Allgemeinheit diese Richtlinien der Staatsgewalt
sich gegenwärtig hielte, wäre vielen Beschwerden über die Veranlagung der
Höchstpreisgesetze der Boden entzogen. Es muß einleuchten, daß die Höchst¬
preise immer nur ein unvollkommenes Werkzeug sind, um extravagante Preise
einzudämmen, daß sie auch nicht beliebig anbefohlen werden können, ohne an
hartnäckigen Widerstand zu stoßen, daß sie endlich überhaupt nicht überall
anwendbar sind. Die Richtigkeit dieser Vorbehalte für die Zweckmäßigkeit von
Preisfestsetzungen ist durch die Erfahrungen der Krieg swntschaft hinlänglich erwiesen.

In der Verordnung vom 28. Oktober 1914 trat die Regirung auf den
Boden der Höchstpreise, zunächst für Roggen, Weizen, Gerste und Kleie. Wenige
Wochen später folgte die Festsetzung von Höchstpreisen für Speisekartoffeln und
am 11. Dezember die gleiche Maßnahme für Futterkartrsfeln und Erzeugnisse
der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärkefabrikation. Die Erwartung, daß die
Spekulation in Brodgetreide infolgedessen sich werde bändigen lassen, blieb un¬
erfüllt. Die Höchstpreise wurden umgangen, Vorräte wurden vom Markt
zurückgehalten in der Rechnung auf höhere Preise, die Verfütterung von Brod¬
getreide an das Vieh wurde nicht in notwendigen Maße eingeschränkt. Dazu


25*
Die Lebensmittelverteilung

Monaten dreihundert wirtschaftliche Bestimmungen des Bundesrath sich auf¬
bauen würden I

Wie die Dinge im Herbst 1914 lagen — die vermeintlich ausgezeichnete
Ernte des Jahres wurde eben eingebracht —, konnte die Regierung mit der
Anwendung der ihr erteilten Blankovollmacht sich Zeit lassen. Die Preis¬
gestaltung für manche Artikel der Massenernährung zeigte allerdings gleich zu
Anfang eine Neigung zur Entartung. Immerhin durfte die Preisentwicklung
zunächst ohne Eingriff von außen sich selbst überlassen bleiben. Da ein fühl¬
barer Mangel an Lebensmitteln vorläufig sich nicht bemerkbar machte, hieZt
man es für angezeigt, die Ergebnisse freier Preisbildung im „isolierten Staat"
bis auf weiteres abzuwarten. Denn die Einführung von Zwangspreisen für
Gegenstände des Alltags- und Massenverbrauchs bedeuiete in jedem Falle einen
Sprung ins Dunkle, da sich nicht vorhersehen ließ, wie das Wntschastslebln
auf eine so harte Reglementierung reagieren würde. Privatwirtschaftlicher
Eigennutz in Verbindung mit der verschärften wirtschaftlichen Einkreisung
Deutschlands nötigten aber zu positiven Maßnah wen. Um so n ehr als neben
der sprunghafter Steigerung der Lebensmittelpreise Anzeichen einer auffallend
raschen Verringerung der Nahrungsvorräte auftraten.

Auf dem Gebiet der Lebensmittelpolitik mußte selbstverständlich jede ein¬
seitige Begünstigung der einen oder anderen Jnteressentcngrnppe vermieden
werden. Als Grundsatz für die Preisfestsetzungen mürbe in der amtlichen
Denkschrift an den Reichstag bezeichnet, daß der Eingriff in das Wirtschafts¬
getriebe auf das geringste Maß beschränkt, bei dem der angestrebte Erfolg noch
erreichbar war, werden müsse. Ferner sollte besonders darauf geachtet werden,
daß dem Handel Spielraum und Anreiz zu nützlicher Betätigung belassen blieben.

Wir meinen, wenn die Allgemeinheit diese Richtlinien der Staatsgewalt
sich gegenwärtig hielte, wäre vielen Beschwerden über die Veranlagung der
Höchstpreisgesetze der Boden entzogen. Es muß einleuchten, daß die Höchst¬
preise immer nur ein unvollkommenes Werkzeug sind, um extravagante Preise
einzudämmen, daß sie auch nicht beliebig anbefohlen werden können, ohne an
hartnäckigen Widerstand zu stoßen, daß sie endlich überhaupt nicht überall
anwendbar sind. Die Richtigkeit dieser Vorbehalte für die Zweckmäßigkeit von
Preisfestsetzungen ist durch die Erfahrungen der Krieg swntschaft hinlänglich erwiesen.

In der Verordnung vom 28. Oktober 1914 trat die Regirung auf den
Boden der Höchstpreise, zunächst für Roggen, Weizen, Gerste und Kleie. Wenige
Wochen später folgte die Festsetzung von Höchstpreisen für Speisekartoffeln und
am 11. Dezember die gleiche Maßnahme für Futterkartrsfeln und Erzeugnisse
der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärkefabrikation. Die Erwartung, daß die
Spekulation in Brodgetreide infolgedessen sich werde bändigen lassen, blieb un¬
erfüllt. Die Höchstpreise wurden umgangen, Vorräte wurden vom Markt
zurückgehalten in der Rechnung auf höhere Preise, die Verfütterung von Brod¬
getreide an das Vieh wurde nicht in notwendigen Maße eingeschränkt. Dazu


25*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330499"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lebensmittelverteilung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1668" prev="#ID_1667"> Monaten dreihundert wirtschaftliche Bestimmungen des Bundesrath sich auf¬<lb/>
bauen würden I</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1669"> Wie die Dinge im Herbst 1914 lagen &#x2014; die vermeintlich ausgezeichnete<lb/>
Ernte des Jahres wurde eben eingebracht &#x2014;, konnte die Regierung mit der<lb/>
Anwendung der ihr erteilten Blankovollmacht sich Zeit lassen. Die Preis¬<lb/>
gestaltung für manche Artikel der Massenernährung zeigte allerdings gleich zu<lb/>
Anfang eine Neigung zur Entartung. Immerhin durfte die Preisentwicklung<lb/>
zunächst ohne Eingriff von außen sich selbst überlassen bleiben. Da ein fühl¬<lb/>
barer Mangel an Lebensmitteln vorläufig sich nicht bemerkbar machte, hieZt<lb/>
man es für angezeigt, die Ergebnisse freier Preisbildung im &#x201E;isolierten Staat"<lb/>
bis auf weiteres abzuwarten. Denn die Einführung von Zwangspreisen für<lb/>
Gegenstände des Alltags- und Massenverbrauchs bedeuiete in jedem Falle einen<lb/>
Sprung ins Dunkle, da sich nicht vorhersehen ließ,  wie das Wntschastslebln<lb/>
auf eine so harte Reglementierung reagieren würde. Privatwirtschaftlicher<lb/>
Eigennutz in Verbindung mit der verschärften  wirtschaftlichen Einkreisung<lb/>
Deutschlands nötigten aber zu positiven Maßnah wen. Um so n ehr als neben<lb/>
der sprunghafter Steigerung der Lebensmittelpreise Anzeichen einer auffallend<lb/>
raschen Verringerung der Nahrungsvorräte auftraten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1670"> Auf dem Gebiet der Lebensmittelpolitik mußte selbstverständlich jede ein¬<lb/>
seitige Begünstigung der einen oder anderen Jnteressentcngrnppe vermieden<lb/>
werden. Als Grundsatz für die Preisfestsetzungen mürbe in der amtlichen<lb/>
Denkschrift an den Reichstag bezeichnet, daß der Eingriff in das Wirtschafts¬<lb/>
getriebe auf das geringste Maß beschränkt, bei dem der angestrebte Erfolg noch<lb/>
erreichbar war, werden müsse. Ferner sollte besonders darauf geachtet werden,<lb/>
daß dem Handel Spielraum und Anreiz zu nützlicher Betätigung belassen blieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1671"> Wir meinen, wenn die Allgemeinheit diese Richtlinien der Staatsgewalt<lb/>
sich gegenwärtig hielte, wäre vielen Beschwerden über die Veranlagung der<lb/>
Höchstpreisgesetze der Boden entzogen. Es muß einleuchten, daß die Höchst¬<lb/>
preise immer nur ein unvollkommenes Werkzeug sind, um extravagante Preise<lb/>
einzudämmen, daß sie auch nicht beliebig anbefohlen werden können, ohne an<lb/>
hartnäckigen Widerstand zu stoßen, daß sie endlich überhaupt nicht überall<lb/>
anwendbar sind. Die Richtigkeit dieser Vorbehalte für die Zweckmäßigkeit von<lb/>
Preisfestsetzungen ist durch die Erfahrungen der Krieg swntschaft hinlänglich erwiesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1672" next="#ID_1673"> In der Verordnung vom 28. Oktober 1914 trat die Regirung auf den<lb/>
Boden der Höchstpreise, zunächst für Roggen, Weizen, Gerste und Kleie. Wenige<lb/>
Wochen später folgte die Festsetzung von Höchstpreisen für Speisekartoffeln und<lb/>
am 11. Dezember die gleiche Maßnahme für Futterkartrsfeln und Erzeugnisse<lb/>
der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärkefabrikation. Die Erwartung, daß die<lb/>
Spekulation in Brodgetreide infolgedessen sich werde bändigen lassen, blieb un¬<lb/>
erfüllt. Die Höchstpreise wurden umgangen, Vorräte wurden vom Markt<lb/>
zurückgehalten in der Rechnung auf höhere Preise, die Verfütterung von Brod¬<lb/>
getreide an das Vieh wurde nicht in notwendigen Maße eingeschränkt. Dazu</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 25*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] Die Lebensmittelverteilung Monaten dreihundert wirtschaftliche Bestimmungen des Bundesrath sich auf¬ bauen würden I Wie die Dinge im Herbst 1914 lagen — die vermeintlich ausgezeichnete Ernte des Jahres wurde eben eingebracht —, konnte die Regierung mit der Anwendung der ihr erteilten Blankovollmacht sich Zeit lassen. Die Preis¬ gestaltung für manche Artikel der Massenernährung zeigte allerdings gleich zu Anfang eine Neigung zur Entartung. Immerhin durfte die Preisentwicklung zunächst ohne Eingriff von außen sich selbst überlassen bleiben. Da ein fühl¬ barer Mangel an Lebensmitteln vorläufig sich nicht bemerkbar machte, hieZt man es für angezeigt, die Ergebnisse freier Preisbildung im „isolierten Staat" bis auf weiteres abzuwarten. Denn die Einführung von Zwangspreisen für Gegenstände des Alltags- und Massenverbrauchs bedeuiete in jedem Falle einen Sprung ins Dunkle, da sich nicht vorhersehen ließ, wie das Wntschastslebln auf eine so harte Reglementierung reagieren würde. Privatwirtschaftlicher Eigennutz in Verbindung mit der verschärften wirtschaftlichen Einkreisung Deutschlands nötigten aber zu positiven Maßnah wen. Um so n ehr als neben der sprunghafter Steigerung der Lebensmittelpreise Anzeichen einer auffallend raschen Verringerung der Nahrungsvorräte auftraten. Auf dem Gebiet der Lebensmittelpolitik mußte selbstverständlich jede ein¬ seitige Begünstigung der einen oder anderen Jnteressentcngrnppe vermieden werden. Als Grundsatz für die Preisfestsetzungen mürbe in der amtlichen Denkschrift an den Reichstag bezeichnet, daß der Eingriff in das Wirtschafts¬ getriebe auf das geringste Maß beschränkt, bei dem der angestrebte Erfolg noch erreichbar war, werden müsse. Ferner sollte besonders darauf geachtet werden, daß dem Handel Spielraum und Anreiz zu nützlicher Betätigung belassen blieben. Wir meinen, wenn die Allgemeinheit diese Richtlinien der Staatsgewalt sich gegenwärtig hielte, wäre vielen Beschwerden über die Veranlagung der Höchstpreisgesetze der Boden entzogen. Es muß einleuchten, daß die Höchst¬ preise immer nur ein unvollkommenes Werkzeug sind, um extravagante Preise einzudämmen, daß sie auch nicht beliebig anbefohlen werden können, ohne an hartnäckigen Widerstand zu stoßen, daß sie endlich überhaupt nicht überall anwendbar sind. Die Richtigkeit dieser Vorbehalte für die Zweckmäßigkeit von Preisfestsetzungen ist durch die Erfahrungen der Krieg swntschaft hinlänglich erwiesen. In der Verordnung vom 28. Oktober 1914 trat die Regirung auf den Boden der Höchstpreise, zunächst für Roggen, Weizen, Gerste und Kleie. Wenige Wochen später folgte die Festsetzung von Höchstpreisen für Speisekartoffeln und am 11. Dezember die gleiche Maßnahme für Futterkartrsfeln und Erzeugnisse der Kartoffeltrocknerei und Kartoffelstärkefabrikation. Die Erwartung, daß die Spekulation in Brodgetreide infolgedessen sich werde bändigen lassen, blieb un¬ erfüllt. Die Höchstpreise wurden umgangen, Vorräte wurden vom Markt zurückgehalten in der Rechnung auf höhere Preise, die Verfütterung von Brod¬ getreide an das Vieh wurde nicht in notwendigen Maße eingeschränkt. Dazu 25*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/399>, abgerufen am 23.12.2024.