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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die kebensmittelverleilung

nisterium des Innern im Frühjahr 1915 in Hunderttausenden von Exemplaren
verbreiteten Büchlein "Die Ernährung im Kriege" wurde man belehrt: "Ver¬
gleicht man den Bedarf an den verschiedenen Nährstoffen mit den Nahrungs¬
mitteln, die wir im Kriege haben, so leuchtet ein, daß der Bedarf gedeckt
werden kann, wenn nur die Lebensweise geändert wird, wenn die fehlenden,
die knappen Nahrungsmittel sorgsam ersetzt werden durch die vorhandenen und
reichlichen." Na also! Was da fehlt, kann natürlich nicht verzehrt werden,
anderes aber ist reichlich vorhanden, und die Lebensweise muß -- ob man
will oder nicht -- auf das veränderte Angebot an Nahrungsmitteln ein¬
gestellt werden.

So dachten nicht alle, aber sehr viele, die mit der unermüdlich wieder¬
holten Parole "wir halten durch!" durchaus einverstanden, die auch ihrerseits
in ihrer vaterländischen Gesinnung zu den größten Opfern bereit waren, die
Notwendigkeit zu Einschränkungen jedoch nicht recht einsehen wollten, solange
Gutes für Zunge und Magen in beliebiger Menge dargeboten wurde. Aller¬
dings wurden für Fleisch, Butter und Gemüse sündhafte Preise verlangt, doch
daran brauchte sich nicht zu stoßen, wer die Mehraufwendung sich leisten konnte.
Solche, wenn man will, etwas leichtlebige Auffassung der vom feindlichen
Wirtschaftskriege her drohenden Gefahren darf nicht als Teilnahmlosigkeit
gegenüber den Nöten, die über Deutschland dräuend sich zusammenballten,
gewertet werden. Sie entsprach einem Optimismus, der im ersten Kriegsjahr,
als der überraschende Siegeszug durch Belgien und weit nach Frankreich hinein
vor den staunenden Augen der Welt sich vollzog, auch bezüglich der Kriegs¬
dauer gang und gäbe war. Bestärkt wurde die öffentliche Meinung in ihrer
zuversichtlichen Auffassung des Ganges der zu erwartenden Geschehnisse durch
das Verhalten der Regierung. Zudem kommt wohl ein jeder aus seinen
alten Falten erst heraus, wenn den Mahnungen zum Umlernen eine gewisse
Nötigung auf dem Fuße folgt. Vorerst wickelte sich die Lebensmittel¬
versorgung aber verhältnismäßig glatt ab. Wen die Klagen der Hausfrau
über die erschwerte Beschaffung der alltäglichen Atzung und die dreisten Preis¬
forderungen des Kleinhandels verdrossen machten, konnte sich in die Bierhäuser
oder Weinstuben flüchten, woselbst Fleichgerichte in überreicher Auswahl nach
wie vor ihm angeboten wurden. Die Einführung der fleischlosen Tage erfolgte
viel später und erst kürzlich wurde den Gastwirten ihr Wettlaufen um die
Gunst der Fleischesser durch eine verständige Verkürzung ihrer Speisenkarte
unterbunden.

Man kann nicht behaupten, daß die Regierung den kommenden Dingen
blind gegenübergestanden. Sie wußte, daß das Ernährungsproblem in mehr
oder weniger schroffen Formen an sie herantreten werde. In solcher Voraus¬
sicht erging sofort bei Ausbruch des Krieges die Verordnung betr. die Ermäch¬
tigung zur Festsetzung von Höchstpreisen. Wer konnte damals ahnen, daß auf
dieser rnaMa, edarta der staatlichen Lebensmittelpolitik im Laufe von achtzehn


Die kebensmittelverleilung

nisterium des Innern im Frühjahr 1915 in Hunderttausenden von Exemplaren
verbreiteten Büchlein „Die Ernährung im Kriege" wurde man belehrt: „Ver¬
gleicht man den Bedarf an den verschiedenen Nährstoffen mit den Nahrungs¬
mitteln, die wir im Kriege haben, so leuchtet ein, daß der Bedarf gedeckt
werden kann, wenn nur die Lebensweise geändert wird, wenn die fehlenden,
die knappen Nahrungsmittel sorgsam ersetzt werden durch die vorhandenen und
reichlichen." Na also! Was da fehlt, kann natürlich nicht verzehrt werden,
anderes aber ist reichlich vorhanden, und die Lebensweise muß — ob man
will oder nicht — auf das veränderte Angebot an Nahrungsmitteln ein¬
gestellt werden.

So dachten nicht alle, aber sehr viele, die mit der unermüdlich wieder¬
holten Parole „wir halten durch!" durchaus einverstanden, die auch ihrerseits
in ihrer vaterländischen Gesinnung zu den größten Opfern bereit waren, die
Notwendigkeit zu Einschränkungen jedoch nicht recht einsehen wollten, solange
Gutes für Zunge und Magen in beliebiger Menge dargeboten wurde. Aller¬
dings wurden für Fleisch, Butter und Gemüse sündhafte Preise verlangt, doch
daran brauchte sich nicht zu stoßen, wer die Mehraufwendung sich leisten konnte.
Solche, wenn man will, etwas leichtlebige Auffassung der vom feindlichen
Wirtschaftskriege her drohenden Gefahren darf nicht als Teilnahmlosigkeit
gegenüber den Nöten, die über Deutschland dräuend sich zusammenballten,
gewertet werden. Sie entsprach einem Optimismus, der im ersten Kriegsjahr,
als der überraschende Siegeszug durch Belgien und weit nach Frankreich hinein
vor den staunenden Augen der Welt sich vollzog, auch bezüglich der Kriegs¬
dauer gang und gäbe war. Bestärkt wurde die öffentliche Meinung in ihrer
zuversichtlichen Auffassung des Ganges der zu erwartenden Geschehnisse durch
das Verhalten der Regierung. Zudem kommt wohl ein jeder aus seinen
alten Falten erst heraus, wenn den Mahnungen zum Umlernen eine gewisse
Nötigung auf dem Fuße folgt. Vorerst wickelte sich die Lebensmittel¬
versorgung aber verhältnismäßig glatt ab. Wen die Klagen der Hausfrau
über die erschwerte Beschaffung der alltäglichen Atzung und die dreisten Preis¬
forderungen des Kleinhandels verdrossen machten, konnte sich in die Bierhäuser
oder Weinstuben flüchten, woselbst Fleichgerichte in überreicher Auswahl nach
wie vor ihm angeboten wurden. Die Einführung der fleischlosen Tage erfolgte
viel später und erst kürzlich wurde den Gastwirten ihr Wettlaufen um die
Gunst der Fleischesser durch eine verständige Verkürzung ihrer Speisenkarte
unterbunden.

Man kann nicht behaupten, daß die Regierung den kommenden Dingen
blind gegenübergestanden. Sie wußte, daß das Ernährungsproblem in mehr
oder weniger schroffen Formen an sie herantreten werde. In solcher Voraus¬
sicht erging sofort bei Ausbruch des Krieges die Verordnung betr. die Ermäch¬
tigung zur Festsetzung von Höchstpreisen. Wer konnte damals ahnen, daß auf
dieser rnaMa, edarta der staatlichen Lebensmittelpolitik im Laufe von achtzehn


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[0398] Die kebensmittelverleilung nisterium des Innern im Frühjahr 1915 in Hunderttausenden von Exemplaren verbreiteten Büchlein „Die Ernährung im Kriege" wurde man belehrt: „Ver¬ gleicht man den Bedarf an den verschiedenen Nährstoffen mit den Nahrungs¬ mitteln, die wir im Kriege haben, so leuchtet ein, daß der Bedarf gedeckt werden kann, wenn nur die Lebensweise geändert wird, wenn die fehlenden, die knappen Nahrungsmittel sorgsam ersetzt werden durch die vorhandenen und reichlichen." Na also! Was da fehlt, kann natürlich nicht verzehrt werden, anderes aber ist reichlich vorhanden, und die Lebensweise muß — ob man will oder nicht — auf das veränderte Angebot an Nahrungsmitteln ein¬ gestellt werden. So dachten nicht alle, aber sehr viele, die mit der unermüdlich wieder¬ holten Parole „wir halten durch!" durchaus einverstanden, die auch ihrerseits in ihrer vaterländischen Gesinnung zu den größten Opfern bereit waren, die Notwendigkeit zu Einschränkungen jedoch nicht recht einsehen wollten, solange Gutes für Zunge und Magen in beliebiger Menge dargeboten wurde. Aller¬ dings wurden für Fleisch, Butter und Gemüse sündhafte Preise verlangt, doch daran brauchte sich nicht zu stoßen, wer die Mehraufwendung sich leisten konnte. Solche, wenn man will, etwas leichtlebige Auffassung der vom feindlichen Wirtschaftskriege her drohenden Gefahren darf nicht als Teilnahmlosigkeit gegenüber den Nöten, die über Deutschland dräuend sich zusammenballten, gewertet werden. Sie entsprach einem Optimismus, der im ersten Kriegsjahr, als der überraschende Siegeszug durch Belgien und weit nach Frankreich hinein vor den staunenden Augen der Welt sich vollzog, auch bezüglich der Kriegs¬ dauer gang und gäbe war. Bestärkt wurde die öffentliche Meinung in ihrer zuversichtlichen Auffassung des Ganges der zu erwartenden Geschehnisse durch das Verhalten der Regierung. Zudem kommt wohl ein jeder aus seinen alten Falten erst heraus, wenn den Mahnungen zum Umlernen eine gewisse Nötigung auf dem Fuße folgt. Vorerst wickelte sich die Lebensmittel¬ versorgung aber verhältnismäßig glatt ab. Wen die Klagen der Hausfrau über die erschwerte Beschaffung der alltäglichen Atzung und die dreisten Preis¬ forderungen des Kleinhandels verdrossen machten, konnte sich in die Bierhäuser oder Weinstuben flüchten, woselbst Fleichgerichte in überreicher Auswahl nach wie vor ihm angeboten wurden. Die Einführung der fleischlosen Tage erfolgte viel später und erst kürzlich wurde den Gastwirten ihr Wettlaufen um die Gunst der Fleischesser durch eine verständige Verkürzung ihrer Speisenkarte unterbunden. Man kann nicht behaupten, daß die Regierung den kommenden Dingen blind gegenübergestanden. Sie wußte, daß das Ernährungsproblem in mehr oder weniger schroffen Formen an sie herantreten werde. In solcher Voraus¬ sicht erging sofort bei Ausbruch des Krieges die Verordnung betr. die Ermäch¬ tigung zur Festsetzung von Höchstpreisen. Wer konnte damals ahnen, daß auf dieser rnaMa, edarta der staatlichen Lebensmittelpolitik im Laufe von achtzehn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/398>, abgerufen am 01.09.2024.