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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Stimnien der Vergangenheit

Gesetzgeber sehen möchten. Er, der so viele und schwere Kämpfe auf dem
Schlachtfelde ausgefochten hat, erkennt den höchsten Glanz eines Staates im
Gedeihen der Künste. Für ihn gibt es nur eine Fürstenweisheit: sein Bestes
zu tun und im Staat möglichst der Vollkommenste zu sein; wie der Grundton
einer Melodie klingt es immer wieder: der Herrscher ist der erste Diener seiner
Untertanen. Wie bezeichnend ist das politische Testament des Königs von 1752!
Aus jeder seiner Anweisungen spricht die Hingabe an die Aufgabe, der er dient
bei völliger Hintansetzung seiner Person. So sagt er in der geheimen Instruktion
für den Kabinettsminister Graf Finckenstein vom 10. Januar 1757: "Wenn
mir das Verhängnis zufließe, in Feindeshand zu fallen, so verbiete ich, die
geringste Rücksicht auf meine Person zu nehmen und sich im geringsten an das
zu kehren, was ich aus meiner Haft schreiben könnte. Sollte mir ein derartiges
Unglück zustoßen, so will ich mich für den Staat opfern, und man soll meinem
Bruder gehorchen, der ebenso wie alle meine Minister und Generale mir mit
seinem Kopf dafür haftet, daß keine Provinz, kein Lösegeld für mich geboten
und daß der Krieg unter Ausnutzung aller Vorteile fortgesetzt wird, ganz als
ob ich nie gelebt hätte."

Eine Volksausgabe hat die Aufgabe, die für einen Schriftsteller charakte¬
ristischen Züge in der Auswahl des Stoffes hervortreten zu lassen, daher
begegnen wir gern den Abhandlungen über die Erziehung und über die deutsche
Literatur, trotzdem uns hier mancher Ausspruch befremdet, so z. B. wenn der
vollständig im Bann der französischen Kunst stehende König schreibt: "Um sich
von demi Mangel an Geschmack zu überzeugen, der bis auf diesen Tag in
Deutschland herrscht, brauchen sie nur ins Schauspiel zu gehen. Da sehen Sie
die abscheulichen Stücke von Shakespeare in deutscher Sprache aufgeführt, sehen
alle Zuhörer vor Wonne hinschmelzen beim Anhören dieser lächerlichen Farcen,
die eines kanadischen Wilden würdig sind . . . ." oder wenn er um der Hebung
des Wohllauts der "spröden und unmelodischer" deutschen Sprache verfügen
möchte, daß wir statt sagen, geben, nehmen -- sagena, gebena, nehmena
gebrauchen mögen, obgleich Herder diesem Gedanken des Königs geschichtliche
Berechtigung zugesprochen hat.

Die feinsten Regungen der Seele Friedrichs dürften sich wohl in seinen
Gedichten und Briefen offenbaren -- hier tritt er uns stellenweise menschlich
ganz nahe. So mögen denn diese beiden Bände den Weg finden, der ihnen
als "Volksausgabe" gewiesen ist.

Wenden wir uns nun Gebieten zu, die vom Getriebe der Gegenwart er¬
drückt zu werden Gefahr zu laufen scheinen, so finden wir auch hier wertvolle
Arbeit der Vergangenheit aufs neue ans Licht gezogen.

Reinhold Steig hat eine stattliche Auswahl von Schriften Hermann Grimms
zur Literatur und Kunst in zwei Bänden zusammengestellt (Verlag von C. Bertels¬
mann, Gütersloh. Jeder Band geh. 5 Mark, geb. 6 Mary. Die Aufsätze sind
zum erstenmal an verschiedenen Stellen veröffentlicht worden, wirken aber


Stimnien der Vergangenheit

Gesetzgeber sehen möchten. Er, der so viele und schwere Kämpfe auf dem
Schlachtfelde ausgefochten hat, erkennt den höchsten Glanz eines Staates im
Gedeihen der Künste. Für ihn gibt es nur eine Fürstenweisheit: sein Bestes
zu tun und im Staat möglichst der Vollkommenste zu sein; wie der Grundton
einer Melodie klingt es immer wieder: der Herrscher ist der erste Diener seiner
Untertanen. Wie bezeichnend ist das politische Testament des Königs von 1752!
Aus jeder seiner Anweisungen spricht die Hingabe an die Aufgabe, der er dient
bei völliger Hintansetzung seiner Person. So sagt er in der geheimen Instruktion
für den Kabinettsminister Graf Finckenstein vom 10. Januar 1757: „Wenn
mir das Verhängnis zufließe, in Feindeshand zu fallen, so verbiete ich, die
geringste Rücksicht auf meine Person zu nehmen und sich im geringsten an das
zu kehren, was ich aus meiner Haft schreiben könnte. Sollte mir ein derartiges
Unglück zustoßen, so will ich mich für den Staat opfern, und man soll meinem
Bruder gehorchen, der ebenso wie alle meine Minister und Generale mir mit
seinem Kopf dafür haftet, daß keine Provinz, kein Lösegeld für mich geboten
und daß der Krieg unter Ausnutzung aller Vorteile fortgesetzt wird, ganz als
ob ich nie gelebt hätte."

Eine Volksausgabe hat die Aufgabe, die für einen Schriftsteller charakte¬
ristischen Züge in der Auswahl des Stoffes hervortreten zu lassen, daher
begegnen wir gern den Abhandlungen über die Erziehung und über die deutsche
Literatur, trotzdem uns hier mancher Ausspruch befremdet, so z. B. wenn der
vollständig im Bann der französischen Kunst stehende König schreibt: „Um sich
von demi Mangel an Geschmack zu überzeugen, der bis auf diesen Tag in
Deutschland herrscht, brauchen sie nur ins Schauspiel zu gehen. Da sehen Sie
die abscheulichen Stücke von Shakespeare in deutscher Sprache aufgeführt, sehen
alle Zuhörer vor Wonne hinschmelzen beim Anhören dieser lächerlichen Farcen,
die eines kanadischen Wilden würdig sind . . . ." oder wenn er um der Hebung
des Wohllauts der „spröden und unmelodischer" deutschen Sprache verfügen
möchte, daß wir statt sagen, geben, nehmen — sagena, gebena, nehmena
gebrauchen mögen, obgleich Herder diesem Gedanken des Königs geschichtliche
Berechtigung zugesprochen hat.

Die feinsten Regungen der Seele Friedrichs dürften sich wohl in seinen
Gedichten und Briefen offenbaren — hier tritt er uns stellenweise menschlich
ganz nahe. So mögen denn diese beiden Bände den Weg finden, der ihnen
als „Volksausgabe" gewiesen ist.

Wenden wir uns nun Gebieten zu, die vom Getriebe der Gegenwart er¬
drückt zu werden Gefahr zu laufen scheinen, so finden wir auch hier wertvolle
Arbeit der Vergangenheit aufs neue ans Licht gezogen.

Reinhold Steig hat eine stattliche Auswahl von Schriften Hermann Grimms
zur Literatur und Kunst in zwei Bänden zusammengestellt (Verlag von C. Bertels¬
mann, Gütersloh. Jeder Band geh. 5 Mark, geb. 6 Mary. Die Aufsätze sind
zum erstenmal an verschiedenen Stellen veröffentlicht worden, wirken aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/392>, abgerufen am 28.07.2024.