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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Um "die öffentliche Meinung"

oder im Inseratenteil irgendwelche Erzeugnisse materieller oder geistiger
Art (Bücher, Kinos usw.) angepriesen werden, so zielt diese Werbearbeit auf
nichts weniger ab als auf die jeweilige Schaffang einer öffentlichen Meinung.
Einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gebiete der Politik haben diese
Dinge aber nicht. Daraus ergibt sich bereits eine Tatsache, die zu unter¬
streichen just die Zensurdebatte eifrig den Anlaß gibt: die Überschätzung des
politischen Wertes der Zeitung. Die öffentliche Meinung in Deutschland
wurde -- das kann man getrost behaupten -- in Friedenszeiten wahrhaftig
nicht weniger demokratisch gehandhabt als in England, Frankreich oder Amerika.
Damit war und ist ein Faktor des Ausgleiches gegeben und eine Strömung,
die einer Vertrustung irgendeiner Meinungssphäre hindernd im Wege steht.
Diese Fragen betreffen jedoch das Gebiet der Organisation der deutschen Presse
und der Zwitterstellung der Zeitung als kapitalistisches Privatunternehmen mit
öffentlichen Interessen. In der Tat liegen hier einige überlegenswerte wunde
Punkte. Doch darüber weiter unten.

Kehren wir zunächst zur Zensur zurück. Die Reichskanzlerrede am 5. Juni,
die in ihrer Wucht entschieden Bismarckschen Stil aufweist, hat über die ganzen
Zensurfragen eine Klärung gebracht in dem energischen Jn°Aussicht°stellen
einer möglichst milden Handhabung der politischen Zensur. Es ist selbstver¬
ständlich bei dem untrennbaren Zusammenhang von innerer Politik, äußerer
Politik und Kriegführung, daß ein oberster Wille auch auf dem Markt der
geistigen Ware herrschen und anerkannt werden muß. Die Aufgabe dieser
überwachenden Behörde ist es zu zensurieren, d. h. in jedem einzelnen Fall
nach Gunst oder Ungunst der Lage darüber zu entscheiden, ob eine Sache reif
ist zur öffentlichen Besprechung oder nicht. Sie ist damit in den Stand gesetzt,
zeitweilig Meinungsäußerungen zu verbieten, die dem Zweckstreben der mili¬
tärischen oder politischen Kriegführung zuwiderlaufen, oder wenn es ihr darum
zu tun ist, eine möglichst geschlossene Volkssümmung zu schaffen oder zu
erhalten. Über diese sinngemäße Befugnis der Zensur hinaus geht aber das
Vorschreiben einer Meinung. Die deutsche Presse hat auch schon vor dem
Kriege ein solches Maß von nationaler Disziplin gezeigt, daß dem Einsichtigen
kein Zweifel kommen konnte, den Wünschen und Andeutungen der Regierung wird
auch im Kriege vollkommen Rechnung getragen werden würde. Tatsächlich hat sie
sich denn auch leicht in die zahllosen Anordnungen des Auswärtigen Amtes
gefügt. Mit vollem Recht aber sind dort die Eingriffe kommandierender
Generale und anderer Behörden zurückgewiesen worden, wo sie Dinge
angehen, die öffentliche Meinungen als solche betreffen. Wir haben dabei
jene kleinlichen Verfügungen im Auge aus dem Kampfe gegen das Fremd-
wörtertum, die unter anderem zu den aus den Reichstagsverhandlungen wohl¬
bekannten Bonbonsprozessen geführt haben. Hier muß sich die Obrigkeit davor
hüten, die öffentliche Meinung zu behandeln wie ein subalternes Spießertum.
Jene Eingriffe bedeuten nichts mehr und nichts weniger als eine Verschiebung


Um „die öffentliche Meinung"

oder im Inseratenteil irgendwelche Erzeugnisse materieller oder geistiger
Art (Bücher, Kinos usw.) angepriesen werden, so zielt diese Werbearbeit auf
nichts weniger ab als auf die jeweilige Schaffang einer öffentlichen Meinung.
Einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gebiete der Politik haben diese
Dinge aber nicht. Daraus ergibt sich bereits eine Tatsache, die zu unter¬
streichen just die Zensurdebatte eifrig den Anlaß gibt: die Überschätzung des
politischen Wertes der Zeitung. Die öffentliche Meinung in Deutschland
wurde — das kann man getrost behaupten — in Friedenszeiten wahrhaftig
nicht weniger demokratisch gehandhabt als in England, Frankreich oder Amerika.
Damit war und ist ein Faktor des Ausgleiches gegeben und eine Strömung,
die einer Vertrustung irgendeiner Meinungssphäre hindernd im Wege steht.
Diese Fragen betreffen jedoch das Gebiet der Organisation der deutschen Presse
und der Zwitterstellung der Zeitung als kapitalistisches Privatunternehmen mit
öffentlichen Interessen. In der Tat liegen hier einige überlegenswerte wunde
Punkte. Doch darüber weiter unten.

Kehren wir zunächst zur Zensur zurück. Die Reichskanzlerrede am 5. Juni,
die in ihrer Wucht entschieden Bismarckschen Stil aufweist, hat über die ganzen
Zensurfragen eine Klärung gebracht in dem energischen Jn°Aussicht°stellen
einer möglichst milden Handhabung der politischen Zensur. Es ist selbstver¬
ständlich bei dem untrennbaren Zusammenhang von innerer Politik, äußerer
Politik und Kriegführung, daß ein oberster Wille auch auf dem Markt der
geistigen Ware herrschen und anerkannt werden muß. Die Aufgabe dieser
überwachenden Behörde ist es zu zensurieren, d. h. in jedem einzelnen Fall
nach Gunst oder Ungunst der Lage darüber zu entscheiden, ob eine Sache reif
ist zur öffentlichen Besprechung oder nicht. Sie ist damit in den Stand gesetzt,
zeitweilig Meinungsäußerungen zu verbieten, die dem Zweckstreben der mili¬
tärischen oder politischen Kriegführung zuwiderlaufen, oder wenn es ihr darum
zu tun ist, eine möglichst geschlossene Volkssümmung zu schaffen oder zu
erhalten. Über diese sinngemäße Befugnis der Zensur hinaus geht aber das
Vorschreiben einer Meinung. Die deutsche Presse hat auch schon vor dem
Kriege ein solches Maß von nationaler Disziplin gezeigt, daß dem Einsichtigen
kein Zweifel kommen konnte, den Wünschen und Andeutungen der Regierung wird
auch im Kriege vollkommen Rechnung getragen werden würde. Tatsächlich hat sie
sich denn auch leicht in die zahllosen Anordnungen des Auswärtigen Amtes
gefügt. Mit vollem Recht aber sind dort die Eingriffe kommandierender
Generale und anderer Behörden zurückgewiesen worden, wo sie Dinge
angehen, die öffentliche Meinungen als solche betreffen. Wir haben dabei
jene kleinlichen Verfügungen im Auge aus dem Kampfe gegen das Fremd-
wörtertum, die unter anderem zu den aus den Reichstagsverhandlungen wohl¬
bekannten Bonbonsprozessen geführt haben. Hier muß sich die Obrigkeit davor
hüten, die öffentliche Meinung zu behandeln wie ein subalternes Spießertum.
Jene Eingriffe bedeuten nichts mehr und nichts weniger als eine Verschiebung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/386>, abgerufen am 23.12.2024.