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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Um "die öffentliche Meinung"

Vielheit von Meinungen, deren Äußerungsmittel jeweilig von dem technischen
Stande der massenpsychologischer Verbreitungsmittel abhängt. Daraus ergibt
sich klar, daß das eigentliche Zeitalter der öffentlichen Meinung nur zurückreicht
in die Zeit der Reformation und der Erfindung und Ausnutzung der Buch¬
druckerkunst. Hauptsächlich von dem Faktor der Presse ist die Bildung von
öffentlichen Meinungen heute abhängig. Wirtschaftliche, kulturelle oder rein
politische Ideen sind durch sie recht eigentlich erst zur Geltung zu bringen.
Die Gesamtheit der öffentlichen Meinung auf allen Gebieten des Lebens nennen
wir den Zeitgeist. Von der immanenten Kraft einer Idee und der Vorbereitetheit
des Bodens hängt ihre Wirkung ab. Handelt es sich um einen zeitlosen Ge¬
danken, so wird sich leicht der Niederschlag in irgendeinem Menschheitsideal
wiederfinden lassen. Bei Gedankengängen beschränkteren Kreises wird aus einer
öffentlichen Meinung eine Sitte werden und die Sitte wird sich nach und nach
vertiefen zu einem Charakterzug des Volkes. So gehört in unseren Tagen zum
eisernen Bestand alles deutschen Staatsdenkens die Forderung eines Bildungs¬
individualismus neben dem Staatssozialismus. Eine öffentliche Meinung war
es, die seinerzeit unserem ganzen Schulwesen die Ausprägung der Bildung nach
diesen zwei Richtungen verliehen hat. Die allgemeine Wehrpflicht, vielleicht die
größte ethische Idee in der Weltgeschichte, leitet sich her aus einer allgemein
gewordenen öffentlichen Meinung, der steten Bedrängnis durch äußere Feinde
gewachsen zu sein. Der gleichen inneren Not ist zu danken, daß der Flotten¬
gedanke so ungemein rasch und herzhaft Wurzel geschlagen hat usw. usw. Nicht
zuletzt ist es heute eine bis zur allgemeinen Volksübcrzeugung durchgereiste
öffentliche Meinung, die uns Deutschen den Sinn des Wortes von Seelen als
maßgebend für uns empfinden läßt, das da besagt, daß die Summe der
inneren Freiheiten eines Volkes im umgekehrten Verhältnis steht zu dem äußeren
Druck, der auf seinen Grenzen lastet.

Die höchste Form der Gemeinschaft ist der Staat. Er hat seine bestimmte
Moral: die Staatsmoral. Ihr Wesen ist der soziale Ausgleich, ist die Schaffung
und Wahrung des gleichen Rechtes für alle. Wie alle politischen Begriffe sich
im Laufe der Geschichte entwickeln und verändern, so ist es auch mit dem
Wesen und dem Inhalt der Staatsmoral geschehen. Die Frage der Stellung
der Regierung ist, wie jeder einsehen wird, dabei ausschlaggebend. Vom
mittelalterlichen Ständestaat ist die Geschichte fortgeschritten zum Fürstenstaat
und zu einer Entpersönlichung der Staatsgewalt seit den Freiheitsideen der
französischen Revolutionszeit. Der Herrscher wird in dem modernen Ver¬
fassungsstaat kontrolliert und kritisiert durch einen tätigen Anteil des Volkes an
der Negierung. Diese allgemeine Tendenz zur Demokratisierung freilich findet
ihre Grenzen in dem jeweiligen Bildungsstande eines Volksganzen und in den
außerpolitischen Konstellationen. Wir sind im Deutschen Reiche an einem
Punkte angelangt, wo wir wohl einen Volkskrieg führen können auf Grund


Um „die öffentliche Meinung"

Vielheit von Meinungen, deren Äußerungsmittel jeweilig von dem technischen
Stande der massenpsychologischer Verbreitungsmittel abhängt. Daraus ergibt
sich klar, daß das eigentliche Zeitalter der öffentlichen Meinung nur zurückreicht
in die Zeit der Reformation und der Erfindung und Ausnutzung der Buch¬
druckerkunst. Hauptsächlich von dem Faktor der Presse ist die Bildung von
öffentlichen Meinungen heute abhängig. Wirtschaftliche, kulturelle oder rein
politische Ideen sind durch sie recht eigentlich erst zur Geltung zu bringen.
Die Gesamtheit der öffentlichen Meinung auf allen Gebieten des Lebens nennen
wir den Zeitgeist. Von der immanenten Kraft einer Idee und der Vorbereitetheit
des Bodens hängt ihre Wirkung ab. Handelt es sich um einen zeitlosen Ge¬
danken, so wird sich leicht der Niederschlag in irgendeinem Menschheitsideal
wiederfinden lassen. Bei Gedankengängen beschränkteren Kreises wird aus einer
öffentlichen Meinung eine Sitte werden und die Sitte wird sich nach und nach
vertiefen zu einem Charakterzug des Volkes. So gehört in unseren Tagen zum
eisernen Bestand alles deutschen Staatsdenkens die Forderung eines Bildungs¬
individualismus neben dem Staatssozialismus. Eine öffentliche Meinung war
es, die seinerzeit unserem ganzen Schulwesen die Ausprägung der Bildung nach
diesen zwei Richtungen verliehen hat. Die allgemeine Wehrpflicht, vielleicht die
größte ethische Idee in der Weltgeschichte, leitet sich her aus einer allgemein
gewordenen öffentlichen Meinung, der steten Bedrängnis durch äußere Feinde
gewachsen zu sein. Der gleichen inneren Not ist zu danken, daß der Flotten¬
gedanke so ungemein rasch und herzhaft Wurzel geschlagen hat usw. usw. Nicht
zuletzt ist es heute eine bis zur allgemeinen Volksübcrzeugung durchgereiste
öffentliche Meinung, die uns Deutschen den Sinn des Wortes von Seelen als
maßgebend für uns empfinden läßt, das da besagt, daß die Summe der
inneren Freiheiten eines Volkes im umgekehrten Verhältnis steht zu dem äußeren
Druck, der auf seinen Grenzen lastet.

Die höchste Form der Gemeinschaft ist der Staat. Er hat seine bestimmte
Moral: die Staatsmoral. Ihr Wesen ist der soziale Ausgleich, ist die Schaffung
und Wahrung des gleichen Rechtes für alle. Wie alle politischen Begriffe sich
im Laufe der Geschichte entwickeln und verändern, so ist es auch mit dem
Wesen und dem Inhalt der Staatsmoral geschehen. Die Frage der Stellung
der Regierung ist, wie jeder einsehen wird, dabei ausschlaggebend. Vom
mittelalterlichen Ständestaat ist die Geschichte fortgeschritten zum Fürstenstaat
und zu einer Entpersönlichung der Staatsgewalt seit den Freiheitsideen der
französischen Revolutionszeit. Der Herrscher wird in dem modernen Ver¬
fassungsstaat kontrolliert und kritisiert durch einen tätigen Anteil des Volkes an
der Negierung. Diese allgemeine Tendenz zur Demokratisierung freilich findet
ihre Grenzen in dem jeweiligen Bildungsstande eines Volksganzen und in den
außerpolitischen Konstellationen. Wir sind im Deutschen Reiche an einem
Punkte angelangt, wo wir wohl einen Volkskrieg führen können auf Grund


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[0384] Um „die öffentliche Meinung" Vielheit von Meinungen, deren Äußerungsmittel jeweilig von dem technischen Stande der massenpsychologischer Verbreitungsmittel abhängt. Daraus ergibt sich klar, daß das eigentliche Zeitalter der öffentlichen Meinung nur zurückreicht in die Zeit der Reformation und der Erfindung und Ausnutzung der Buch¬ druckerkunst. Hauptsächlich von dem Faktor der Presse ist die Bildung von öffentlichen Meinungen heute abhängig. Wirtschaftliche, kulturelle oder rein politische Ideen sind durch sie recht eigentlich erst zur Geltung zu bringen. Die Gesamtheit der öffentlichen Meinung auf allen Gebieten des Lebens nennen wir den Zeitgeist. Von der immanenten Kraft einer Idee und der Vorbereitetheit des Bodens hängt ihre Wirkung ab. Handelt es sich um einen zeitlosen Ge¬ danken, so wird sich leicht der Niederschlag in irgendeinem Menschheitsideal wiederfinden lassen. Bei Gedankengängen beschränkteren Kreises wird aus einer öffentlichen Meinung eine Sitte werden und die Sitte wird sich nach und nach vertiefen zu einem Charakterzug des Volkes. So gehört in unseren Tagen zum eisernen Bestand alles deutschen Staatsdenkens die Forderung eines Bildungs¬ individualismus neben dem Staatssozialismus. Eine öffentliche Meinung war es, die seinerzeit unserem ganzen Schulwesen die Ausprägung der Bildung nach diesen zwei Richtungen verliehen hat. Die allgemeine Wehrpflicht, vielleicht die größte ethische Idee in der Weltgeschichte, leitet sich her aus einer allgemein gewordenen öffentlichen Meinung, der steten Bedrängnis durch äußere Feinde gewachsen zu sein. Der gleichen inneren Not ist zu danken, daß der Flotten¬ gedanke so ungemein rasch und herzhaft Wurzel geschlagen hat usw. usw. Nicht zuletzt ist es heute eine bis zur allgemeinen Volksübcrzeugung durchgereiste öffentliche Meinung, die uns Deutschen den Sinn des Wortes von Seelen als maßgebend für uns empfinden läßt, das da besagt, daß die Summe der inneren Freiheiten eines Volkes im umgekehrten Verhältnis steht zu dem äußeren Druck, der auf seinen Grenzen lastet. Die höchste Form der Gemeinschaft ist der Staat. Er hat seine bestimmte Moral: die Staatsmoral. Ihr Wesen ist der soziale Ausgleich, ist die Schaffung und Wahrung des gleichen Rechtes für alle. Wie alle politischen Begriffe sich im Laufe der Geschichte entwickeln und verändern, so ist es auch mit dem Wesen und dem Inhalt der Staatsmoral geschehen. Die Frage der Stellung der Regierung ist, wie jeder einsehen wird, dabei ausschlaggebend. Vom mittelalterlichen Ständestaat ist die Geschichte fortgeschritten zum Fürstenstaat und zu einer Entpersönlichung der Staatsgewalt seit den Freiheitsideen der französischen Revolutionszeit. Der Herrscher wird in dem modernen Ver¬ fassungsstaat kontrolliert und kritisiert durch einen tätigen Anteil des Volkes an der Negierung. Diese allgemeine Tendenz zur Demokratisierung freilich findet ihre Grenzen in dem jeweiligen Bildungsstande eines Volksganzen und in den außerpolitischen Konstellationen. Wir sind im Deutschen Reiche an einem Punkte angelangt, wo wir wohl einen Volkskrieg führen können auf Grund

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/384>, abgerufen am 01.09.2024.