Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Um "die öffentliche Meinung" Randbemerkungen zur Zensurdebatte im Reichstage Dr, Otto Pfeffer von le Zensurfrage war in letzter Zeit im Reichstage mehrfach Gegen¬ Meinungsfreiheit ist Denkfreiheit. Sie kann keinem Menschen verboten 24*
Um „die öffentliche Meinung" Randbemerkungen zur Zensurdebatte im Reichstage Dr, Otto Pfeffer von le Zensurfrage war in letzter Zeit im Reichstage mehrfach Gegen¬ Meinungsfreiheit ist Denkfreiheit. Sie kann keinem Menschen verboten 24*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330483"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330101/figures/grenzboten_341903_330101_330483_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Um „die öffentliche Meinung"<lb/> Randbemerkungen zur Zensurdebatte im Reichstage<lb/><note type="byline"> Dr, Otto Pfeffer</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_1615"> le Zensurfrage war in letzter Zeit im Reichstage mehrfach Gegen¬<lb/> stand freimütiger Erörterungen. Ihr Inhalt läßt sich zusammen¬<lb/> fassen in wenige Sätze: Unter dem Zwang der Kriegsverhältnisse,<lb/> für die der Zuschnitt des Belagerungsgesetzes veraltet und ungeschickt<lb/> ist, hat sich neben der as jure bestehenden militärischen Zensur<lb/> eine politische Zensur entwickelt. Übertreibungen und Mißgriffe haben hierin<lb/> zu schwerwiegenden Klagen und Beanstandungen geführt. Während die<lb/> äußerste Linke von ihrem Jdealstandpunkt der unantastbaren Menschenrechte aus<lb/> die Aufhebung des Belagerungszustandes und damit die Beseitigung der Zensur<lb/> politischer Art fordert, sehen die bürgerlichen Parteien in der Zensur ein not¬<lb/> wendiges Übel. Der Regierung steht dabei die mehr oder minder dankbare<lb/> Aufgabe zu, ihrer Organe Maßregeln zu verteidigen. — All das Reden und<lb/> Streiten geht also im Grunde um die Freiheit der öffentlichen Meinung.<lb/> Dieser Begriff, der ja auch in der Debatte häufig genug genannt wurde, was<lb/> bedeutet er und wie stehts damit in Deutschland?</p><lb/> <p xml:id="ID_1616" next="#ID_1617"> Meinungsfreiheit ist Denkfreiheit. Sie kann keinem Menschen verboten<lb/> werden. Etwas anderes ist es um die Freiheit der Meinungsäußerung. Hier<lb/> ergeben sich aus den zahlreichen Abhängigkeiten des einzelnen vom<lb/> Ganzen tausenderlei Beschränkungen. So wenig wir den Kaiser beleidigen<lb/> dürfen, so wenig seine Beamten, so wenig aber auch den Lampenputzer<lb/> oder die Scheuerfrau. Wir werden bestraft für solche Vergehen. Auch<lb/> wenn wir glauben, es sei ganz in Ordnung, jemanden, dör's verdient<lb/> hat, totzuschlagen, so ist diese Meinungsäußerung doch durchaus verboten.<lb/> Unter dem unbeschränkten Gedeihen solcher Arkaden würden die Sitten<lb/> verwildern. Der einzelne Beleidigte genießt also den Schutz viel mehr um des<lb/> Gemeinschaftslebens als um seiner selbst willen. Der Schutz ist festgelegt im<lb/> Recht, im öffentlichen und privaten Recht. Gelingt es irgendeiner Meinung eines<lb/> einzelnen, Anhang zu gewinnen und sich zu organisieren, so entsteht bezüglich dieses<lb/> betreffenden Gegenstandes eine öffentliche Meinung. Wir haben es demgemäß nicht<lb/> mit einer Gesamterscheinung der öffentlichen Meinung zu tun, sondern mit einer</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 24*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0383]
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Um „die öffentliche Meinung"
Randbemerkungen zur Zensurdebatte im Reichstage
Dr, Otto Pfeffer von
le Zensurfrage war in letzter Zeit im Reichstage mehrfach Gegen¬
stand freimütiger Erörterungen. Ihr Inhalt läßt sich zusammen¬
fassen in wenige Sätze: Unter dem Zwang der Kriegsverhältnisse,
für die der Zuschnitt des Belagerungsgesetzes veraltet und ungeschickt
ist, hat sich neben der as jure bestehenden militärischen Zensur
eine politische Zensur entwickelt. Übertreibungen und Mißgriffe haben hierin
zu schwerwiegenden Klagen und Beanstandungen geführt. Während die
äußerste Linke von ihrem Jdealstandpunkt der unantastbaren Menschenrechte aus
die Aufhebung des Belagerungszustandes und damit die Beseitigung der Zensur
politischer Art fordert, sehen die bürgerlichen Parteien in der Zensur ein not¬
wendiges Übel. Der Regierung steht dabei die mehr oder minder dankbare
Aufgabe zu, ihrer Organe Maßregeln zu verteidigen. — All das Reden und
Streiten geht also im Grunde um die Freiheit der öffentlichen Meinung.
Dieser Begriff, der ja auch in der Debatte häufig genug genannt wurde, was
bedeutet er und wie stehts damit in Deutschland?
Meinungsfreiheit ist Denkfreiheit. Sie kann keinem Menschen verboten
werden. Etwas anderes ist es um die Freiheit der Meinungsäußerung. Hier
ergeben sich aus den zahlreichen Abhängigkeiten des einzelnen vom
Ganzen tausenderlei Beschränkungen. So wenig wir den Kaiser beleidigen
dürfen, so wenig seine Beamten, so wenig aber auch den Lampenputzer
oder die Scheuerfrau. Wir werden bestraft für solche Vergehen. Auch
wenn wir glauben, es sei ganz in Ordnung, jemanden, dör's verdient
hat, totzuschlagen, so ist diese Meinungsäußerung doch durchaus verboten.
Unter dem unbeschränkten Gedeihen solcher Arkaden würden die Sitten
verwildern. Der einzelne Beleidigte genießt also den Schutz viel mehr um des
Gemeinschaftslebens als um seiner selbst willen. Der Schutz ist festgelegt im
Recht, im öffentlichen und privaten Recht. Gelingt es irgendeiner Meinung eines
einzelnen, Anhang zu gewinnen und sich zu organisieren, so entsteht bezüglich dieses
betreffenden Gegenstandes eine öffentliche Meinung. Wir haben es demgemäß nicht
mit einer Gesamterscheinung der öffentlichen Meinung zu tun, sondern mit einer
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