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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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vom natürlichen Stil

Altdeutsch, weil unpopulär, ist auch jeglicher "Betreff". Statt "in dem
betreffenden Abschnitt" sagt man oft weit besser "in den einzelnen Abschnitten",
in anderen Fällen einfach "in dem Abschnitt", zumal eigentlich nicht der "be¬
treffende", sondern der betroffene Abschnitt gemeint ist. "Vereinbarungen
betreffend Ausgleichung . . . ." ist eine mindestens ungewöhnliche Anwendung
des Partizipiums, welches nur wie ein Eigenschaftswort zu gebrauchen wäre,
und kann nicht nur durch "Vereinbarungen betreffs. . . .", sondern noch besser
durch "Vereinbarungen über . . . ." ersetzt werden. All dies Sammelsurium
von Unschönen und Unrichtigem schleicht sich durch unsere Schriftsprache in der
Abkürzung "betr.". Unter anderem wird auch die Abkürzung "u. a." oft
ziemlich leichthin angewandt, und manchmal weiß der Leser aus dem Satzbau
nicht, ob "unter anderem" oder "unter anderen" gemeint war, in welchen
beiden Fällen sich ein verschiedener Sinn ergeben kann.

Nicht alle Abkürzungen wollen wir über einen Kamm scheren. Zum Bei¬
spiel benimmt sich das "z. B." wohl immer ganz manierlich, der "Leutnant
d. R." und der "Dr. phil.", "Ser." für Straße, "v. H." für Prozent und
andere Abkürzungen mehr sind uns so geläufig geworden, daß sie uns ganz
natürlich erscheinen, und Unklarheiten bergen sie nicht. Aber man wird viele
Schriften finden, in denen auch diese Worte in der Regel ausgeschrieben sind,
ohne daß uns das störte, das sind die belletristischen Werke, die erzählende
Literatur. In ihr findet sich, namentlich im Dialog, aber auch sonst, die
natürliche Sprachweise, der "unmittelbare Stil" verhältnismäßig am reinsten,
in ihr gibt es auch keine Einklammerungen, in ihr "zeigt" der Spatz nicht ein
graues Kopfplättchen, sondern er "hat" es, und so weiter. Alle jene Ab¬
kürzungen, Einklammerungen und die vielen undeutschen Sprachtorheiten sind
Papierdeutsch, geschaffen werden sie dort, wo es nicht darauf ankommt, zu
unterhalten, anzuregen, zum Leser zu reden, sondern das Wissen auf dem Papier
aufzubewahren, also vom Aktenschreiber und vom Gelehrten. Und dort mögen
sie zum Teil ihre Berechtigung haben, soweit sie nicht geradezu sprachlich falsch
sind. Wenn aber der Fachmann für den Laien oder für jedermann schreibt,
so möge er sich doch nicht gar zu deutlich anmerken lassen, wie viel von seinem
Wissen er aus gelehrten Annalen hat; man könnte sonst auf den Verdacht
kommen, daß er um so weniger aus eigener lebendiger Anschauung spricht.
Nach meiner Erfahrung ist das flotte Diktieren in die Schreibmaschine ein vor¬
treffliches Mittel, sich so natürlich wie möglich auszudrücken und Umständlich¬
keiten wie Unklarheiten zu vermeiden. Doch nicht auf das Wie, sondern auf
das Was kommt es mir heute an. Zur Sprachreinigung gehört nicht nur das
Ausweisen von lästigen Fremdlingen, sondern auch der Kehrdienst vor der
eigenen Tür.




vom natürlichen Stil

Altdeutsch, weil unpopulär, ist auch jeglicher „Betreff". Statt „in dem
betreffenden Abschnitt" sagt man oft weit besser „in den einzelnen Abschnitten",
in anderen Fällen einfach „in dem Abschnitt", zumal eigentlich nicht der „be¬
treffende", sondern der betroffene Abschnitt gemeint ist. „Vereinbarungen
betreffend Ausgleichung . . . ." ist eine mindestens ungewöhnliche Anwendung
des Partizipiums, welches nur wie ein Eigenschaftswort zu gebrauchen wäre,
und kann nicht nur durch „Vereinbarungen betreffs. . . .", sondern noch besser
durch „Vereinbarungen über . . . ." ersetzt werden. All dies Sammelsurium
von Unschönen und Unrichtigem schleicht sich durch unsere Schriftsprache in der
Abkürzung „betr.". Unter anderem wird auch die Abkürzung „u. a." oft
ziemlich leichthin angewandt, und manchmal weiß der Leser aus dem Satzbau
nicht, ob „unter anderem" oder „unter anderen" gemeint war, in welchen
beiden Fällen sich ein verschiedener Sinn ergeben kann.

Nicht alle Abkürzungen wollen wir über einen Kamm scheren. Zum Bei¬
spiel benimmt sich das „z. B." wohl immer ganz manierlich, der „Leutnant
d. R." und der „Dr. phil.", „Ser." für Straße, „v. H." für Prozent und
andere Abkürzungen mehr sind uns so geläufig geworden, daß sie uns ganz
natürlich erscheinen, und Unklarheiten bergen sie nicht. Aber man wird viele
Schriften finden, in denen auch diese Worte in der Regel ausgeschrieben sind,
ohne daß uns das störte, das sind die belletristischen Werke, die erzählende
Literatur. In ihr findet sich, namentlich im Dialog, aber auch sonst, die
natürliche Sprachweise, der „unmittelbare Stil" verhältnismäßig am reinsten,
in ihr gibt es auch keine Einklammerungen, in ihr „zeigt" der Spatz nicht ein
graues Kopfplättchen, sondern er „hat" es, und so weiter. Alle jene Ab¬
kürzungen, Einklammerungen und die vielen undeutschen Sprachtorheiten sind
Papierdeutsch, geschaffen werden sie dort, wo es nicht darauf ankommt, zu
unterhalten, anzuregen, zum Leser zu reden, sondern das Wissen auf dem Papier
aufzubewahren, also vom Aktenschreiber und vom Gelehrten. Und dort mögen
sie zum Teil ihre Berechtigung haben, soweit sie nicht geradezu sprachlich falsch
sind. Wenn aber der Fachmann für den Laien oder für jedermann schreibt,
so möge er sich doch nicht gar zu deutlich anmerken lassen, wie viel von seinem
Wissen er aus gelehrten Annalen hat; man könnte sonst auf den Verdacht
kommen, daß er um so weniger aus eigener lebendiger Anschauung spricht.
Nach meiner Erfahrung ist das flotte Diktieren in die Schreibmaschine ein vor¬
treffliches Mittel, sich so natürlich wie möglich auszudrücken und Umständlich¬
keiten wie Unklarheiten zu vermeiden. Doch nicht auf das Wie, sondern auf
das Was kommt es mir heute an. Zur Sprachreinigung gehört nicht nur das
Ausweisen von lästigen Fremdlingen, sondern auch der Kehrdienst vor der
eigenen Tür.




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[0038] vom natürlichen Stil Altdeutsch, weil unpopulär, ist auch jeglicher „Betreff". Statt „in dem betreffenden Abschnitt" sagt man oft weit besser „in den einzelnen Abschnitten", in anderen Fällen einfach „in dem Abschnitt", zumal eigentlich nicht der „be¬ treffende", sondern der betroffene Abschnitt gemeint ist. „Vereinbarungen betreffend Ausgleichung . . . ." ist eine mindestens ungewöhnliche Anwendung des Partizipiums, welches nur wie ein Eigenschaftswort zu gebrauchen wäre, und kann nicht nur durch „Vereinbarungen betreffs. . . .", sondern noch besser durch „Vereinbarungen über . . . ." ersetzt werden. All dies Sammelsurium von Unschönen und Unrichtigem schleicht sich durch unsere Schriftsprache in der Abkürzung „betr.". Unter anderem wird auch die Abkürzung „u. a." oft ziemlich leichthin angewandt, und manchmal weiß der Leser aus dem Satzbau nicht, ob „unter anderem" oder „unter anderen" gemeint war, in welchen beiden Fällen sich ein verschiedener Sinn ergeben kann. Nicht alle Abkürzungen wollen wir über einen Kamm scheren. Zum Bei¬ spiel benimmt sich das „z. B." wohl immer ganz manierlich, der „Leutnant d. R." und der „Dr. phil.", „Ser." für Straße, „v. H." für Prozent und andere Abkürzungen mehr sind uns so geläufig geworden, daß sie uns ganz natürlich erscheinen, und Unklarheiten bergen sie nicht. Aber man wird viele Schriften finden, in denen auch diese Worte in der Regel ausgeschrieben sind, ohne daß uns das störte, das sind die belletristischen Werke, die erzählende Literatur. In ihr findet sich, namentlich im Dialog, aber auch sonst, die natürliche Sprachweise, der „unmittelbare Stil" verhältnismäßig am reinsten, in ihr gibt es auch keine Einklammerungen, in ihr „zeigt" der Spatz nicht ein graues Kopfplättchen, sondern er „hat" es, und so weiter. Alle jene Ab¬ kürzungen, Einklammerungen und die vielen undeutschen Sprachtorheiten sind Papierdeutsch, geschaffen werden sie dort, wo es nicht darauf ankommt, zu unterhalten, anzuregen, zum Leser zu reden, sondern das Wissen auf dem Papier aufzubewahren, also vom Aktenschreiber und vom Gelehrten. Und dort mögen sie zum Teil ihre Berechtigung haben, soweit sie nicht geradezu sprachlich falsch sind. Wenn aber der Fachmann für den Laien oder für jedermann schreibt, so möge er sich doch nicht gar zu deutlich anmerken lassen, wie viel von seinem Wissen er aus gelehrten Annalen hat; man könnte sonst auf den Verdacht kommen, daß er um so weniger aus eigener lebendiger Anschauung spricht. Nach meiner Erfahrung ist das flotte Diktieren in die Schreibmaschine ein vor¬ treffliches Mittel, sich so natürlich wie möglich auszudrücken und Umständlich¬ keiten wie Unklarheiten zu vermeiden. Doch nicht auf das Wie, sondern auf das Was kommt es mir heute an. Zur Sprachreinigung gehört nicht nur das Ausweisen von lästigen Fremdlingen, sondern auch der Kehrdienst vor der eigenen Tür.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/38>, abgerufen am 01.09.2024.