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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Kriegerisches Prophetentum

Maulheldentum wirken? Wir kennen in der arabischen Volkspoesie jene für die
Stammeskämpfe zwischen denBeduinen so bezeichnenden Schimpf- und Schmähreden,
die zu jeder rechten Fehde gehören. Warum wirkt die prophetische Drohrede
an die Völker so ganz anders, obgleich sie doch völlig in der Luft schwebte und
durch keine irgendwie wirkliche Macht Nachdruck erhielt, ihr also das fehlte, was
einer Drohung sonst allein die Wirkung verleiht? Warum hatte sie Resonanz
ohne doch einen Resonanzboden zu haben?

Der Grund ist klar: weil alle diese Drob- und Scheltreden ins Unpersön¬
liche emporgehoben waren. Es war nicht die Stimme des Propheten, es war
auch nicht die Stimme des Volkes, es war Gottes Stimme, die redete. Diese
Form der Prophetenrede, die in Wirklichkeit doch alles andere war als Form,
hob ihre Sprache über aller Redner Redekunst hinaus, indem sie ihr ewige
Maße gab. Die Bilder, die Vergleiche, der ganze Stil geht immer aufs
Ungeheure: man denke nur an den alten Prophetenruf gegen Eton, aus dem
der deutsche Dichter das kraftvolle Lied: "Wo kommst du her in dem roten
Kleid?" geformt hat:


Wer ist es, der von Eton kommt, in roten Kleidern von Bozra?
Dieser da, herrlich geschmückt mit seinem Gewände, schreitend in der Fülle seiner Kraft I
Ich bin's, der Recht verheißt und Macht hat zu erretten!
Warum ist rot dein Gewand und deine Kleider wie eines, der die Kelter tritt?
Ja, eine Kelter habe ich getreten, ich allein, und von den Völkern stand niemand mir bei.
Ich trat sie nieder in meinem Zorn und stampfte sie zusammen in meinem Grimme,
Daß ihr Saft an meine Kleider spritzte und ich all meine Gewänder besudelte.
Denn einen Rachetag hatte ich im Sinne und mein Erlösungsjahr war herbeigekommen.

(Jesaja 63, 1-4)

Das ist doch keine Fehde wie andere Fehde, kein Hohn wie anderer Hohn,
da steckt doch die Urgewalt eines Weltenschicksals drin!

Damit sind wir aber gleichzeitig bei der Hauptfrage angelangt, die uns
das kriegerische Prophetentum aufgibt, der Frage nach dem sittlichen Gehalt
dieser Reden, ihrem ewigen Wert. Da muß nun eines gesagt werden: ein
Persönlichkeitsideal des Kriegers, wie es sich z. B. aus der deutschen Kriegs¬
poesie herausschälen läßt, dürfen wir hier nicht suchen. Solange das alte
Israel noch keine anderen Kämpfe kannte als die mit den nächsten Nachbar¬
völkern, solange es noch um Eroberung oder Selbstbehauptung ging, gab es
auch ein Heldenideal. Man denke nur an Josua, die Richter, Saul und David.
In jenen ältesten Zeiten war denn auch die Kriegsdichtung in Israel reine
Heldendichtung. Das Deborahlied ist so ein alter Heldensang:


"Es feierten die Edlen in Israel,
Feierten, bis du aufstandest, Deborah,
Aufstandest, eine Mutter in Israel.

Auch das Triumphlied, das die Frauen und Mädchen nach dem Goliathsiege
dem jungen David entgegensangen, gehört in diese Gattung:


Kriegerisches Prophetentum

Maulheldentum wirken? Wir kennen in der arabischen Volkspoesie jene für die
Stammeskämpfe zwischen denBeduinen so bezeichnenden Schimpf- und Schmähreden,
die zu jeder rechten Fehde gehören. Warum wirkt die prophetische Drohrede
an die Völker so ganz anders, obgleich sie doch völlig in der Luft schwebte und
durch keine irgendwie wirkliche Macht Nachdruck erhielt, ihr also das fehlte, was
einer Drohung sonst allein die Wirkung verleiht? Warum hatte sie Resonanz
ohne doch einen Resonanzboden zu haben?

Der Grund ist klar: weil alle diese Drob- und Scheltreden ins Unpersön¬
liche emporgehoben waren. Es war nicht die Stimme des Propheten, es war
auch nicht die Stimme des Volkes, es war Gottes Stimme, die redete. Diese
Form der Prophetenrede, die in Wirklichkeit doch alles andere war als Form,
hob ihre Sprache über aller Redner Redekunst hinaus, indem sie ihr ewige
Maße gab. Die Bilder, die Vergleiche, der ganze Stil geht immer aufs
Ungeheure: man denke nur an den alten Prophetenruf gegen Eton, aus dem
der deutsche Dichter das kraftvolle Lied: „Wo kommst du her in dem roten
Kleid?" geformt hat:


Wer ist es, der von Eton kommt, in roten Kleidern von Bozra?
Dieser da, herrlich geschmückt mit seinem Gewände, schreitend in der Fülle seiner Kraft I
Ich bin's, der Recht verheißt und Macht hat zu erretten!
Warum ist rot dein Gewand und deine Kleider wie eines, der die Kelter tritt?
Ja, eine Kelter habe ich getreten, ich allein, und von den Völkern stand niemand mir bei.
Ich trat sie nieder in meinem Zorn und stampfte sie zusammen in meinem Grimme,
Daß ihr Saft an meine Kleider spritzte und ich all meine Gewänder besudelte.
Denn einen Rachetag hatte ich im Sinne und mein Erlösungsjahr war herbeigekommen.

(Jesaja 63, 1-4)

Das ist doch keine Fehde wie andere Fehde, kein Hohn wie anderer Hohn,
da steckt doch die Urgewalt eines Weltenschicksals drin!

Damit sind wir aber gleichzeitig bei der Hauptfrage angelangt, die uns
das kriegerische Prophetentum aufgibt, der Frage nach dem sittlichen Gehalt
dieser Reden, ihrem ewigen Wert. Da muß nun eines gesagt werden: ein
Persönlichkeitsideal des Kriegers, wie es sich z. B. aus der deutschen Kriegs¬
poesie herausschälen läßt, dürfen wir hier nicht suchen. Solange das alte
Israel noch keine anderen Kämpfe kannte als die mit den nächsten Nachbar¬
völkern, solange es noch um Eroberung oder Selbstbehauptung ging, gab es
auch ein Heldenideal. Man denke nur an Josua, die Richter, Saul und David.
In jenen ältesten Zeiten war denn auch die Kriegsdichtung in Israel reine
Heldendichtung. Das Deborahlied ist so ein alter Heldensang:


„Es feierten die Edlen in Israel,
Feierten, bis du aufstandest, Deborah,
Aufstandest, eine Mutter in Israel.

Auch das Triumphlied, das die Frauen und Mädchen nach dem Goliathsiege
dem jungen David entgegensangen, gehört in diese Gattung:


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[0379] Kriegerisches Prophetentum Maulheldentum wirken? Wir kennen in der arabischen Volkspoesie jene für die Stammeskämpfe zwischen denBeduinen so bezeichnenden Schimpf- und Schmähreden, die zu jeder rechten Fehde gehören. Warum wirkt die prophetische Drohrede an die Völker so ganz anders, obgleich sie doch völlig in der Luft schwebte und durch keine irgendwie wirkliche Macht Nachdruck erhielt, ihr also das fehlte, was einer Drohung sonst allein die Wirkung verleiht? Warum hatte sie Resonanz ohne doch einen Resonanzboden zu haben? Der Grund ist klar: weil alle diese Drob- und Scheltreden ins Unpersön¬ liche emporgehoben waren. Es war nicht die Stimme des Propheten, es war auch nicht die Stimme des Volkes, es war Gottes Stimme, die redete. Diese Form der Prophetenrede, die in Wirklichkeit doch alles andere war als Form, hob ihre Sprache über aller Redner Redekunst hinaus, indem sie ihr ewige Maße gab. Die Bilder, die Vergleiche, der ganze Stil geht immer aufs Ungeheure: man denke nur an den alten Prophetenruf gegen Eton, aus dem der deutsche Dichter das kraftvolle Lied: „Wo kommst du her in dem roten Kleid?" geformt hat: Wer ist es, der von Eton kommt, in roten Kleidern von Bozra? Dieser da, herrlich geschmückt mit seinem Gewände, schreitend in der Fülle seiner Kraft I Ich bin's, der Recht verheißt und Macht hat zu erretten! Warum ist rot dein Gewand und deine Kleider wie eines, der die Kelter tritt? Ja, eine Kelter habe ich getreten, ich allein, und von den Völkern stand niemand mir bei. Ich trat sie nieder in meinem Zorn und stampfte sie zusammen in meinem Grimme, Daß ihr Saft an meine Kleider spritzte und ich all meine Gewänder besudelte. Denn einen Rachetag hatte ich im Sinne und mein Erlösungsjahr war herbeigekommen. (Jesaja 63, 1-4) Das ist doch keine Fehde wie andere Fehde, kein Hohn wie anderer Hohn, da steckt doch die Urgewalt eines Weltenschicksals drin! Damit sind wir aber gleichzeitig bei der Hauptfrage angelangt, die uns das kriegerische Prophetentum aufgibt, der Frage nach dem sittlichen Gehalt dieser Reden, ihrem ewigen Wert. Da muß nun eines gesagt werden: ein Persönlichkeitsideal des Kriegers, wie es sich z. B. aus der deutschen Kriegs¬ poesie herausschälen läßt, dürfen wir hier nicht suchen. Solange das alte Israel noch keine anderen Kämpfe kannte als die mit den nächsten Nachbar¬ völkern, solange es noch um Eroberung oder Selbstbehauptung ging, gab es auch ein Heldenideal. Man denke nur an Josua, die Richter, Saul und David. In jenen ältesten Zeiten war denn auch die Kriegsdichtung in Israel reine Heldendichtung. Das Deborahlied ist so ein alter Heldensang: „Es feierten die Edlen in Israel, Feierten, bis du aufstandest, Deborah, Aufstandest, eine Mutter in Israel. Auch das Triumphlied, das die Frauen und Mädchen nach dem Goliathsiege dem jungen David entgegensangen, gehört in diese Gattung:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/379>, abgerufen am 28.07.2024.